Freiburgs Geschichte in Zitaten

1848/49 oder die gescheiterte Revolution

 

Der Ruf nach Freiheit und Einheit

 

 Der Ruf nach Freiheit und Einheit in den deutschen Landen nie verstummt er ganz, wenn auch der Augenarzt und ehemalige Burschenschaftler Alexander Pagenstecher in seinen Erinnerungen pessimistisch feststellt: Das Gefühl einer vaterländischen Politik [war] schlafen gegangen, die Erinnerung an die Befreiungskriege, in den höchsten Regionen schon lange mißliebig, war auch im Volke in den dunkelsten Hintergrund getreten. Nur auf den Universitäten, bei den Epigonen der alten Burschenschaftler, wurde noch die Kultur der deutschen Einheit und Freiheit, hier und da im Geheimen getrieben [Schä02].

 

Oder aus dem Ausland, als Hoffmann von Fallersleben, nachdem er 1842 als aufmüpfiger Professor in Breslau seinen Lehrstuhl verloren hatte, im folgenden Jahr in der Schweiz seine Deutschen Gassenlieder drucken lässt und trotzig behauptet:  

 

Ihr habt anno 13 den Michel gewecket
Und ihn aus dem bleiernen Schlafe geschrecket:
Wach nun, bis den Feind du gejagt übern Rhein -
Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein!

 Ihr habt anno 15 in Frankfurt gegründet
Den Deutschen Bund und den Deutschen verkündet:
Jetzt würden sie frei und glücklich erst sein -
Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein!

 Ihr habt anno 19 in Karlsbad gesprochen,
Der Michel, der habe gar vieles verbrochen,
er müsse wieder schlafen zu seinem Gedeihn -
Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein!

 Ihr habt auch den Michel noch unterdessen
Gefasset bei seinen materiellen Interessen
Und habet gestiftet den Zollverein -
Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein!

 Ihr habt für Walhall und den Dombau am Rheine
Begeistert die gläubige Michelsgemeinde
und bettet gerne den Michel hinein -
Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein!  

 Ihr habt euch bemühet mit allerlei Dingen,
den ehrlichen Michel in Schlummer zu bringen
Ihm gesungen von Einheit, vom frein deutschen Rhein -
Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein!

 Nein, Michel ist munter und wird hinfort wachen
Und lässt sich kein X für ein U hinfort machen,
Ihr möget zensieren und euch abkastein -
Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein!
[Trau14]

 

 Heine dagegen mault in seinem Versepos Deutschland ein Wintermärchen:  

Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Briten,
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft ist unbestritten
[Loew02].


Und weiter in der Ballade Tannhäuser:

Als ich auf dem Sankt Gotthard stand,
Da hört ich Deutschland schnarchen;
Es schlief da unten in sanfter Hut
Von sechsunddreißig Monarchen.
 

Heine sieht wie viele vor und nach ihm in der gemeinsamen Sprache die Grundlage einer deutschen Einheit: Diese Schriftsprache [Luthers] herrscht noch immer in Deutschland und gibt diesem politisch und religiös zerstückelten Lande eine literärische Einheit ... Alle Ausdrücke und Wendungen, die in der lutherschen Bibel stehn, sind deutsch, der Schriftsteller darf sie immerhin noch gebrauchen; und da dieses Buch in den Händen der ärmsten Leute, so bedürfen diese keiner besonderen gelehrten Anleitung, um sich literarisch aussprechen zu können. Dieser Umstand wird, wenn bei uns die politische Revolution ausbricht, gar merkwürdige Erscheinungen zur Folge haben. Die Freiheit wird überall sprechen können und ihre Sprache wird biblisch sein [Hein34].

 

 

 

Missachtung der Grundrechte

 

Den Empfehlungen des Wiener Kongresses folgend hatte Großherzog Karl I. drei Monate vor seinem Tod dem Land Baden am 29. August 1818 eine Verfassung oktroyiert. Diese landständige Verfassung, die unter Mitarbeit Karl von Rottecks entstanden war, ist eine der liberalsten in deutschen Landen. Deshalb artikulieren die Badener ihr Streben nach mehr Freiheit besonders eindrücklich. Es ist die häufige Missachtung der Grundrechte durch die Obrigkeit, die Unruhe schürt.

 

Auch ist die Nichtbestätigung der Wahl des Liberalen Karl von Rotteck zum Freiburger Oberbürgermeister im Jahre 1833 durch die Landesregierung in Karlsruhe noch in der Erinnerung vieler Bürger.

 

Das neue Ständehaus in Karlsruhe bezugsfertig für die beiden Kammern 1822 (©Wikipedia)

 

1844/45

 

Karlsruhe: Offene Spaltung der liberalen u. der radicalen Opposition

 

Bemühungen der beiden Kammern für eine Verbesserung der vorkonstitutionellen Zustände wenig wie etwa 1844 die Einführung der Gewaltenteilung zwischen Verwaltung und Justiz bis in die unteren Instanzen. Bei den Sitzungen der 2. Kammer von 1845 wird klar, dass die gemachten Concessionen nicht genügten, die Klagen über die Preßverhältnisse, polizeilichen Übergriffe, Beschränkung des Petitionsrechtes die alten blieben …

 

Von durchgreifender Bedeutung wurde erst die Abstimmung über das Budget, indem dadurch eine offene Spaltung der liberalen u. der radicalen Opposition herbeigeführt wurde. Die liberale Partei ging von da an entschiedener mit der in milder Form auftretenden Regierung, war aber deshalb nun auch den maßlosen Angriffen der radicalen Presse (besonders durch Gustav von Struve*) ausgesetzt [Pier57].

*Mannheimer Rechtsanwalt und Abgeordneter der Zweiten Kammer

 

 

Januar 1847

 

Karl Mathy

 

Karlsruhe: Zahmheit bringt nichts ...

 

Frustriert ruft der Mannheimer Verleger und lieberale Abgeornete Karl Mathy aus: Da die Zahmheit nichts gebracht hat, ist es an der Zeit, daß man es mit der Wildheit probiert, aber sie darf sich nicht auf den Ständesaal allein beschränken [Hein98].

 

Mathy liegt mit seiner Bemerkung voll im Trend, denn unzufrieden mit den Liberalisierungsfortschritten in Baden ist auch der Mannheimer Rechtsanwalt Gustav Struve. Im Januar 1847 entwickel er in einem Brief an den Redakteur der republikanischen Zeitung Seeblätter in Konstanz Joseph Fickler die Idee zu einem Treffen der entschiedenen Freunde der Verfassung wohl am besten [in] Offenburg als dem Mittelpunkt des Landes. Die Stadt bietet sich als Treffpunkt an, sie ist schnell zu erreichen, denn bereits seit 1844 gibt es eine Eisenbahnverbindung mit Heidelberg und Mannheim und die Strecke über Freiburg nach Süden in Richtung Basel erreicht 1847 Schliengen [Gall07].

 

 

März 1847

 

Karlsruhe: Heckers Advocatenberedtsamkeit

 

Derweil versucht Hecker die Einhaltung der Verfassung zu erzwingen und endlich Reformen in Baden voranzutreiben, indem er eine Steuerverweigerung anregt. Dabei zeichnet er sich durch eine gewandte unermüdliche, allzeit schlagfertige Advocatenberedtsamkeit, eine frische lebhafte, of stürmische Art des Kämpfens, unterstützt durch Energie und Unerschrockenheit einer jugendlichen und gewinnenden Individualität aus [Eng10a]. Als ihm seine Parlamentskollegen beim Steuerstreik nicht folgen wollen, legt er sein Mandat nieder.

 

 

April 1847

 

Müssen alle Beamte gemordet werden

 

1847 ist ein Krisenjahr, denn einer katastrophalen Missernte im Jahre 1846 folgen Hungersnöte in fast allen deutschen Regionen und wegen der Verteuerung der Lebensmittel auch Hungerrevolten.  

 

Dem vorausgegangen war der Weberaufstand in Schlesien vom Juni 1844 mit einer Hungerrevolte. Es ist die erste in der überregionalen Öffentlichkeit wahrgenommene Erhebung des Proletariats infolge der durch die Industrialisierung verursachten sozialen Not. Schon nach wenigen Tagen schlägt preußisches Militär den Aufstand nieder, doch das Bürgertum ist gewarnt und bleibt verängstigt.

 

Das Dokument befindet sich im Staatsarchiv Ludwigsburg.

 

 

Herbst 1847

 

Karlsruhe: Es näherte sich die liberale Partei
dem Ministerium mit größeren Vertrauen immer mehr

 

Die sozialpolitische Krise des Jahres 1847 schlägt sich auch in der parlamentarischen Arbeit der badischen Landstände nieder. Seit Johann Baptist Bekks Eintritt in das Ministerium hatte sich das Unbequeme des bureaukratischen Systems allmälig verloren, die Censur u. Polizeigewalt gemäßigt, die Regierung war jeder Weise zugänglicher, Vorabeiten zu einer volksthümlicheren Verwaltung waren bereits vollendet, u. so näherte sich die liberale Partei dem Ministerium mit größeren Vertrauen immer mehr. Um so augenscheinlicher wurde aber auch die, schon bis ins Privatleben fühlbare Spaltung zwischen ihr u. der von  Friedrich Hecker* und Struve geführten radicalen Partei. Bereits bei den Ergänzungswahlen im Herbst 1847 traten sich beide Parteien als Gegner zum ersten Male entgegen, der liberale Mittelstand verstärkte durch seine Wahl die Partei des Ministeriums [Pier57].

*Abgeordneter der Zweiten Kammer

 

 

 

 

 

 

 

Johann Philip Becker

 

Im Ganzen bot das Volk tüchtigen Revolutionsmännern genügendes Material

 

 Wie ist die revolutionäre Stimmung im Land Baden? Johann Philipp Becker, Teilnehmer am Hambacher Fest und später Chef der Badischen Volkswehr, analysiert in seinem Buch Geschichte der Süddeutschen Mai-Revolution die damaligen politischen Verhältnisse im Südwesten Deutschlands, die in vielen Teilen überraschend auch noch heute gültig sind:

 

Die geographische Lage Badens ist dem Verkehr der Ideen sehr günstig. Dem Rheine entlang gränzt dasselbe im Westen in einer Ausdehnung von 50 Stunden an Frankreich und lehnt sich im Süden in einer Breite von 30 Stunden an die Schweiz an. Das allemannische Gebiet, zwischen Schwarzwald, Vogesen und Alpen, durch deutsche Bürgerkriege und französische Intriguen auseinandergerissen, ist schon seit zwei Jahrhunderten von verschiedenen Staaten und Staatsformen beherrscht. Dennoch besteht in dem deutschen Baden, dem französischen Elsaß und den schweizerischen Grenzkantonen eine Uebereinstimmung des Dialektes, der Sitten, Gewohnheiten und Beschäftigungen, welche sich länger erhalten wird, wie die politische Trennung dieser Länder. Der bis in das Detail gehende Handel zwischen denselben zwingt die Bevölkerung oft zur Ueberschreitung des Rheines, und der Austausch der Landesprodukte erzeugt einen Verkehr der Gedanken, welcher die alte Stammverwandtschaft wieder auffrischt. Daher kommt es, daß Baden ebensosehr von den französischen Ideen überfluthet und von den Pariser Revolutionen umstimmt, wie durch die schweizerischen Nachbarrepubliken, deren Freiheit die Bürgschaft ihres Wohlstandes ist, zum Verständniß demokratischer Staatsformen herangebildet und zur Nachahmung derselben angespornt wird.

 

In Berlin und Wien hatte man sich deshalb schon längst daran gewöhnt, mit besorgten und ängstlichen Blicken Baden zu überwachen, welches die Republik zu nahe vor Augen hatte, um nicht dieselbe zu lieben und zu begehren. Der Charakter des Volkes unterstützte diese Besorgniß wenigstens teilweise. Ein gesunder, verständiger Menschenschlag lebt dort, der die Kraft und den Willen hat, selbstständig zu sein. Die Bildung ist mehr vorgeschritten, als in den andern Provinzen Deutschlands. Ein mäßiger Wohlstand gibt Kraft und Selbstvertrauen, ohne gerade eine reaktionäre Bourgeoisie zu erzeugen. Ein eigentliches Proletariat existirt freilich nicht, trotz der großen Bevölkerung des Landes; dagegen hat der Bauer genug Lasten auf seinem Rücken, welche an die gesegneten Zeiten des Mittelalters erinnern, um mit den bestehenden politischen Verhältnissen unzufrieden zu sein. Die Revolution findet allerdings mehr Girondisten in Baden, als Jakobiner; Bürger wie Bauern hatten bisher mehr Zuneigung als Leidenschaft zur Republik und zur Freiheit, und man kann nicht leugnen, daß die Meisten gern auf friedlichem Wege ohne Revolution zur Republik gelangen wollten. Da jedoch die Verhältnisse ihnen die Unmöglichkeit dessen bewiesen, willigten sie auch in die Revolution, freilich ohne ihre Folgen und Opfer im ganzen Umfange zu kennen. Im Ganzen bot das Volk tüchtigen Revolutionsmännern genügendes Material [Beck49].

 

 

12. September 1847

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Flugblatt mit den
13 Forderungen des Volkes

 

 

 

 

150-jähriges Jubiläum der
Forderungen des Volkes

 

 

 

 

Friedrich Daniel
Bassermann

Offenburg: Eine Versammlung von Verfassungsfreunden

 

Im Offenburger Wochenblatt liest man folgende Einladung:

Und so treffen sich am 12. September 1847 in Offenburg die entschiedenen Verfassungsfreunde aus ganz Baden in der Gaststätte Salmen zu einer Volksversammlung. Der Strom von „tüchtigen Revolutionsmännern“ aller Klassen, Handwerksgesellen, Hausknechte, Fuhrleute, Bauernknechte aber auch von Frauen reißt nicht ab, bis sich rund 900 Teilnehmer im Ballsaal des Salmen drängen.

 

Struves Frau Amalie erinnert sich: Mit der innigsten Theilnahme wohnte ich dieser Versammlung bei. Sie machte auf alle Anwesenden einen umso tieferen Eindruck, je größer und allgemeiner die Besorgniß war, die Regierung möchte dieselbe verbieten. Unter dem Jubel der versammelten Tausende zogen die Männer des Volkes ein ... Nichtsdestoweniger war der Festsaal dicht als möglich mit Männern, aus allen Theilen des Landes angefüllt. Die Gallerien waren von den Frauen eingenommen [Gall07].

 

Ihr Mann Gustav spricht zu den Versammelten und ruft schließlich von Beifall umtost in die Menge: Die Zeit des Adels ist vorbei. Bis zum heutigen Tag hieß ich Gustav von Struve. Ab sofort will ich nur noch Bürger Struve sein [Gunk14].

 

Hecker mit Hut and friends. Links von ihm stehend Gustav von Struve, der 1847 in Offenburg auf sein von verzichtet. Am Tisch sitzt Sekretär Karl Blind und führt Protokoll. Hecker trägt die Bluse (frz. Blouse), Fuhrmannskittel, leinenes oder baumwollenes Überhemd, in Frankreich das Kleid der sog. arbeitenden Klassen, 1830 in Belgien und 1848 in Frankreich die Tracht der Revolutionäre, daher in Deutschland von Hecker und andern republikanischen Affen ebenfalls angelegt [Herd57].

 

Höhepunkt der Versammlung bildet eine Rede Heckers, in der er 13 Forderungen des Badischen Volkes vorträgt.

 

Im ersten Abschnitt seiner Ausführungen verlangt er die Wiederherstellung der von der Regierung so häufig verletzten Badischen Verfassung und beschäftigt sich anschließend mit der Weiterentwicklung der Rechte des Volkes: Unsere Versammlung von entschiedenen Freunden der Verfassung hat stattgefunden. Niemand kann derselben beigewohnt haben, ohne auf das Tiefste ergriffen und angeregt worden zu sein. Es war ein Fest männlicher Entschlossenheit, eine Versammlung, welche zu Resultaten führen muß. Jedes Wort, was gesprochen wurde, enthält den Vorsatz und die Aufforderung zu thatkräftigem Handeln. Wir nennen keine Namen und keine Zahlen. Diese thun wenig zur Sache. Genug, die Versammlung, welche den weiten Festsaal füllte, eignete sich einstimmig die in folgenden Worten zusammengefaßten Besprechungen des Tages an:

 

 

Die Forderungen de$ Volke$ in Baden

 

I. Wiederherstellung unserer verletzten Verfassung

Art. 1. Wir verlangen, daß sich unsere Staat$regierung lo$sage von den Karl$bader Beschlüssen vom Jahr 1819, von den Frankfurter Beschlüssen von 1831 und 1832 und von den Wiener Beschlüssen von 1834. Diese Beschlüsse verletzen gleichmäßig unsere unveräußerlichen Menschenrechte wie die deutsche Bunde$akte und unsere Lande$verfassung.

Art. 2. Wir verlangen Preßfreiheit; da$ unveräußerliche Recht de$ menschlichen Geiste$, seine Gedanken unverstümmelt mitzutheilen, darf un$ nicht länger vorenthalten werden.

Art. 3. Wir verlangen Gewissen$- und Lehrfreiheit. Die Beziehungen de$ Menschen zu seinem Gotte gehören seinem inneren Wesen an, und keine äußere Gewalt darf sich anmaßen, sie nach ihrem Gutdünken zu bestimmen. Jede$ Glauben$bekenntniß hat daher Anspruch auf gleiche Berechtigung im Staate.

Keine Gewalt dränge sich mehr zwischen Lehrer und Lernende. Den Unterricht scheide keine Confession.

Art. 4. Wir verlangen Beeidigung des Militär$ auf die Verfassung. Der Bürger, welchem der Staat die Waffen in die Hand gibt, bekräftige gleich den übrigen Bürgern durch einen Eid seine Verfassungstreue.

Art. 5. Wir verlangen per$önliche Freiheit.

Die Polizei höre auf, den Bürger zu bevormunden und zu quälen. Da$ Verein$recht, ein frische$ Gemeindeleben, da$ Recht de$ Volke$ sich zu versammeln und zu reden, da$ Recht de$ Einzelnen sich zu ernähren, sich zu bewegen und auf dem Boden de$ deutschen Vaterlande$ frei zu verkehren - seien hinfürö ungestört.

 

II. Entwickelung unserer Verfassung

Art. 6. Wir verlangen Vertretung de$ Volk$ beim deutschen Bunde. Dem Deutschen werde ein Vaterland und eine Stimme in dessen Angelegenheiten. Gerechtigkeit und Freiheit im Inneren, eine feste Stellung dem Au$lande gegenüber gebühren un$ al$ Nation.

Art. 7. Wir verlangen eine volk$thümliche Wehrverfassung. Der waffengeübte und bewaffnete Bürger kann allein den Staat schützen.

Man gebe dem Volke Waffen und nehme von ihm die unerschwingliche Last, welche die stehenden Heere ihm auferlegen.

Art. 8. Wir verlangen eine gerechte Besteuerung. Jeder trage zu den Lasten de$ Staate$ nach Kräften bei. An die Stelle der bi$herigen Besteuerung trete eine progressive Einkommensteuer.

Art. 9. Wir verlangen, daß die Bildung durch Unterricht allen gleich zugänglich werde. Die Mittel dazu hat die Gesammtheit in gerechter Vertheilung aufzubringen.

Art. 10. Wir verlangen Au$gleichung de$ Mißverhältnisse$ zwischen Arbeit und Capital. Die Gesellschaft ist schuldig die Arbeit zu heben und zu schützen.

Art. 11. Wir verlangen Gesetze, welche freier Bürger würdig sind und deren Anwendung durch Geschwornengerichte.

Der Bürger werde von dem Bürger gerichtet. Die Gerechtigkeit$pflege sei Sache de$ Volke$.

Art. 12. Wir verlangen eine volk$thümliche Staat$verwaltung. Da$ frische Leben eine$ Volke$ bedarf freier Organe. Nicht au$ der Schreibstube lassen sich seine Kräfte regeln und bestimmen. An die Stelle der Vielregierung der Beamten trete die Selbstregierung de$ Volke$.

Art. 13. Wir verlangen Abschaffung alle Vorrechte.

Jedem sei die Achtung freier Mitbürger einziger Vorzug und Lohn.

Offenburg, 12. September 1847

 

 Auf Flugblättern verbreitet sich dieses Offenburger Manifest in ganz Deutschland, findet sogar den Weg bis Berlin. Zusammen mit seinem Freund Hecker adressiert Struve an die Deputierten zu Carlsruhe eine Kurzfassung.

 

Die Forderung des Artikels 6 bringt der liberale Abgeordnete Friedrich Daniel Bassermann als Antrag auf die Bildung einer deutschen Nationalvertretung am 12. Februar 1848 in der Zweiten, der Ständekammer des badischen Parlaments ein, während andere liberal-konservative Abgeordnete wie Karl Mathy vor allem die republikanischen und sozialistischen Ideen kritisieren: Wir sehen im Offenburger Manifest die wirklich rücksichtslose, wirklich freche Kriegserklärung einer Partei, welche sich allem Bestehenden entgegensetzt [Gunk14].

 

 

 

 

Offenburg: Die ganze Versammlung ist wie vom Revolutionsfieber ergriffen worden

 

Die badischen Behörden hatten die Offenburger Versammlung zwar genehmigt, doch die Polizei entsendet einige Bürger als Spitzel zu der Veranstaltung. Der 36jährige Bäckermeister Georg August Berberich aus Mannheim verfasst nach dem Besuch im Salmen einen über zehn Seiten langen Bericht über die Vorgänge.

 

Gustav Struve ergriff zuerst das Wort und erzählte, wie schon oft, wie die Fürsten nach den Befreiungskriegen dem Volke Versprechungen gemacht, diese aber nach 32 Jahren nicht erfüllt hätten.

 

 Es sei nun der Zeitpunkt gekommen, wo das Volk aufhören müsse, zu bitten; die Zeit der Worte sei vorüber, man müsse nun zur Tat schreiten. Er erklärte, dass er damit nicht die rohe Gewalt, sondern das verfassungsmäßige Mittel der Steuerverweigerung meine.

 

Danach sprach Dr. Hecker. Er sagte, unsere Verfassung sei unzureichend für die Volksfreiheit, denn was das Volk durch seine Vertreter beschließt, könne wieder aufgehoben werden. Die Volksmeinung werde durch einen roten gedankelosen Strich (Zensur) vernichtet u.s.w.

 

Allein schon bei den Zuhörern in meiner Umgebung konnte ich erkennen, wie tief und unauslöschlich die Lehren der Wühler in das Volk gedrungen sind. Wir Konservative sind zu der Veranstaltung gegangen, um Argumente für ein Vorgehen gegen die Revolutionäre zu sammeln. Dabei waren wir dem Argwohn und der Beobachtung der Zuhörer ausgesetzt. Das Vorhaben, Notizen niederzuschreiben mussten wir sofort aufgeben, indem ständig verdächtige Blicke und Äußerungen uns warnten. Die ganze Versammlung, mit Ausnahme nur Weniger, ist wie vom Revolutionsfieber ergriffen worden [LRPF23].

 

 

 

 

 

Georg Herwegh

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ehepaar Marx zu Besuch beim kränkelnden Heine

 

 

 

Friedrich Engels ©Andreas Höfert

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emma Siegmund 

 

 

Zürich: Georg Herwegh

 

Nicht nur in Baden; auch in anderen Teilen Deutschlands nährt die Knebelung von Freiheitsbestrebungen durch rückwärtsgewandte Obrigkeiten aufrührerische Gedanken. Bereits um 1841 hatte der Dichter Georg Herwegh im Schweizer Exil – dorthin war er geflohen, um dem württembergischen Militärdienst zu entgehen - einen Zyklus Gedichte eines Lebendigen geschrieben. Darunter ein Gedicht frei nach Goethes Wiegenlied: Schlafe, was willst du mehr?

 

Deutschland - auf weichem Pfühle
Mach dir den Kopf nicht schwer!
Im irdischen Gewühle
Schlafe, was willst du mehr?

 

Lass jede Freiheit dir rauben,
Setze dich nicht zur Wehr,
Du behältst ja den christlichen Glauben:
Schlafe, was willst du mehr?

 

Und ob man dir alles verböte,
Doch gräme dich nicht zu sehr,
Du hast ja Schiller und Goethe:
Schlafe, was willst du mehr?

 

Dein König beschützt die Kamele
Und macht sie pensionär,
Dreihundert Taler die Seele:
Schlafe, was willst du mehr?

 

Es fechten dreihundert Blätter
Im Schatten, ein Sparterheer;
Und täglich erfährst du das Wetter:
Schlafe, was willst du mehr?

 

Kein Kind läuft ohne Höschen
Am Rhein, dem freien, umher:
Mein Deutschland, mein Dornröschen,
Schlafe, was willst du mehr?

 

 

Paris: Er war im Exil!

 

Auch Heinrich Heine wird steckbrieflich gesucht und wohnt bereits seit 1831 in Paris, dem Wartesaal der Revolution. Er weiß um den Schmerz des Exils. hatte er schon 1840 über seinen politisch erzwungenen Aufenthalt in Frankreich geschrieben: Wer das Exil nicht kennt, begreift nicht, wie grell es unsere Schmerzen färbt, und wie es Nacht und Gift in unsere Gedanken gießt ... Ihr habt vielleicht einen Begriff vom leiblichen Exil, jedoch vom geistigen Exil kann nur ein deutscher Dichter sich eine Vorstellung machen, der sich gezwungen sähe, den ganzen Tag französisch zu sprechen, zu schreiben, und sogar des Nachts, am Herzen der Geliebten französisch zu seufzen! Auch meine Gedanken sind exilirt, exilirt in eine fremde Sprache ...

 

Wenn ich auch am Tage wohlbeleibt und lachend dahinwandle durch die funkelnden Gassen Babylons, glaubt mir's! sobald der Abend herabsinkt, erklingen die melancholischen Harfen in meinem Herzen und gar des Nachts erschmettern darin alle Pauken und Zimbeln des Schmerzes die ganze Janitscharenmusik der Weltqual, und es steigt empor der entsetzlich gellende Mummenschantz ...

 

Wenn Dante durch die Straßen von Verona ging, zeigte das Volk auf ihn mit Fingern und flüsterte: Der war in der Hölle! Hätte er sie sonst mit allen ihren Qualen so treu schildern können? Wie weit tiefer, bey solchem ehrfurchtsvollen Glauben, wirkte die Erzählung der Franzesca von Rimini, des Ugolino und aller jener Qualgestalten, die dem Geiste des großen Dichters entquollen . . . Nein, sie sind nicht bloß seinem Geiste entquollen, er hat sie nicht gedichtet, er hat sie gelebt, er hat sie gefühlt, er hat sie gesehen, betastet, er war wirklich in der Hölle, er war in der Stadt der Verdammten ... er war im Exil! [Hein40].

 

Acht lange, schmerzhafte Jahre noch muss Heine in seiner Matratzengruft, wie er sein Pariser Krankenzimmer nennt, auf den Tod warten und entsetzt seine Besucher. Am 14. Januar 1848 schreibt Friedrich Engels an Karl Marx: Heine ist am Kaputtgehen. Vor 14 Tagen war ich bei ihm, da lag er im Bett und hatte einen Nervenanfall gehabt. Gestern war er auf, aber höchst elend. Er kann keine drei Schritt mehr gehen, er schleicht, an den Mauern sich stützend, vom Fauteuil bis ans Bett und vice versa [Prei15].

 

 

Paris. Herwegh, du eiserne Lerche

 

Im Jahr 1841 besucht Herwig Heine in seinem Pariser Exil, der ihn ironisch bewundernd mit einem skeptischen Gedicht begrüßt:.

 

Herwegh, du eiserne Lerche,
Mit klirrendem Jubel steigst du empor
Zum heilgen Sonnenlichte!
Ward wirklich der Winter zu nichte?
Steht wirklich Deutschland im Frühlingsflor?
Herwegh, du eiserne Lerche,
Weil du so himmelhoch dich schwingst,
Hast du die Erde aus dem Gesichte Verloren -
 Nur in deinem Gedichte
Lebt jener Lenz den du besingst.

 

 Heine fragt zurecht: Ist Deutschland, das ihn nach Paris vertrieben hat, bereit und fähig zu Revolutionen wie in Frankreich?

 

Sind nicht die deutschen Beamten ihren Brötchengebern treu ergeben, die Presse traut sich nicht, weil sie nicht darf, und von Revolutionären sans culottes ist diesseits des Rheins nichts zu sehen.

 

Später formuliert Herwegh seine Gedanken schärfer und schreibt Das Lied vom Hasse mit der verstörenden zweiten Strophe:

 

… Die Liebe kann uns helfen nicht,
Die Liebe nicht erretten;
Halt du, o Haß, dein jüngst Gericht,
Brich du, o Haß, die Ketten!
Und wo es noch Tyrannen gibt
Die laßt uns keck erfassen
wir haben lang genug geliebt
Und wollen endlich hassen! ...

 

Immer noch findet Heine Herweghs revolutionärpoetischen Ergüsse zu zahm und verspottet ihn 1844 in seinem Gedicht Die Tendenz:

 

Deutscher Sänger! sing und preise
Deutsche Freiheit, dass dein Lied
Unsrer Seelen sich bemeistre
Und zu Taten uns begeistre,
In Marseillerhymnen Weise.

 

Girre nicht mehr wie ein Werther,
Welcher nur für Lotten glüht –
Was die Glocke hat geschlagen
Sollst du deinem Volke sagen,
Rede Dolche, rede Schwerter!

 

Sei nicht mehr die weiche Flöte,
Das idyllische Gemüt
Sei des Vaterlands Posaune,
Sei Kanone, sei Kartaune,
Blase, schmettre, donnre, töte!

 

Blase, schmettre, donnre täglich,
Bis der letzte Dränger flieht –
Singe nur in dieser Richtung,
Aber halte deine Dichtung
Nur so allgemein als möglich.

 

Hier hätte auch ein Ausspruch Heines: Worte, Worte, niemals Taten, viel Gemüse, niemals Braten gepasst.

 

 

Berlin: Emma Siegmund

 

Nach einer Lockerung der preußischen Zensur reist Georg 1842 nach Berlin. In den Universitätsstädten flechten die Studenten dem erst 25-Jährigen Lorbeerkränze, singen Ständchen vor seinem Quartier und das liberale Bürgertum gibt für den Troubadour des Aufruhrs redegeschwängerte Festdiners [Sieb17]

 

Begeistert begrüßen ihn auch seine Dichterkollegen, den, der für das Recht des Sklaven gegen den Freien, des Armen gegen den Reichen, des Menschen gegen den Aristokraten, der Republik gegen die Monarchie eintritt [Krau14a].

 

Mit seinen revolutionären Versen gewinnt Herwegh das Herz der schönen Berlinerin Emma Siegmund, oder umgarnt das späte Mädchen, der Ladenhüter aus dem reichen jüdischen Kaufmannshause Siegmund, den Dichter?

 

Es wird wohl so gewesen sein. Emma konnte mit Schießgerät seit ihrer Jugend umgehen, sie wuchs in einer toleranten Atmosphäre auf, bekam Privatunterricht von erstklassigen Lehrern, ritt wie der Teufel und pfiff auf blasierte Heiratskandidaten.

 

Über den Moment, als sie Georg am 6. November 1842 in ihr Haus gelockt und ihm den Kopf verdreht hatte schreibt sie später: Geahnt habe ich dich, seit ich bin. Schon eine Woche später verloben sich Georg und Emma [Sieb17].

 

  Doch bereits im Dezember weist Friedrich Wilhelm IV. (1840-1858) wegen Herweghs Schriften, welche die revolutionäre Stimmung des Vormärz in Deutschland kräftig anheizen, das junge Paar aus Preußen aus. In die Schweiz zurückgekehrt müssen die Eheleute wiederum aus politischen Gründen 1843 nach Paris umsiedeln. Dort nehmen sie gemeinsame Wohnung mit Karl und Jenny Marx, die Georg von seiner Arbeit bei der Rheinischen Zeitung her kennt. Georg stellt ihnen Emma als une revolutionaire comme il faut vor [Sieb17].

 

Die Herweghs werden Freunde von Pierre-Jean de Béranger, Franz LisztGeorge Sand und dem Emigranten Adalbert von Bornstedt  der Anfang März 1848 die Deutsche Demokratische Gesellschaft als Sammlungsbewegung aller Deutschen, die aus politischen Gründen Deutschland verlassen mussten, gründen wird.

 

 

Baden: Im Vormärz

 

In seinem Buch Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden schreibt Struve über die Zustände in deutschen Landen: Die künstlich gehegten Gefühle der Liebe und Achtung für die Fürsten, den Adel und die Obrigkeit konnten nicht länger fortbestehen, nachdem das Volk über die Ursachen seiner Noth einigermaßen belehrt worden war. Die bestehende Gewalt hatte nach und nach alle anderen Stützen verloren, als diejenigen, welche der Aberglaube und die Furcht vor ihrer Macht dem Volke einflößten. Die Wortbrüchigkeit der Fürsten war zum Spruchworte, die trügerischen Künste der Geistlichkeit zum Kinderspotte geworden. Die Brutalität der Soldaten hatte wiederholt die Entrüstung des Volkes hervorgerufen. Die Anmaßungen des Geburtsadels hatten sich bis zur Lächerlichkeit gesteigert. Die Charakterlosigkeit des Beamtenthums hatte den Glauben an Gesetz und Recht untergraben und der Wucher der Geldleute hatte die große Masse des Volkes zur Verzweiflung gebracht.  

 

In dieser trüben Zeit, als viele minder kräftige Freiheitskämpfer nur in der Auswanderung noch Heil zu finden glaubten, - brach die Februarrevolution in Frankreich aus [Stru49].

 

 

24. Februar 1848

Paris: Une chose retenait mes regards, tous les drapeaux des nations

 

Am 24. Februar 1848 wird im Mutterland der Revolution der Bürgerkönig Louis Philippe gestürzt und die Zweite Republik ausgerufen, das Signal für Volkserhebungen in vielen Staaten Europa. Heine kann seine spöttische Feder nicht ruhig halten: Armer Ludwig Philipp! In so hohem Alter wieder zum Wanderstab greifen! Und in das nebelkalte England, wo die Konfitüren des Exils doppelt bitter schmecken [Bong22].

 

Volkserhebungen auch in den Ländern des Deutschen Bundes unter schwarz-rot-goldenen Fahnen, von denen der berühmte französische Historiker Jules Michelet so überschwänglich und romantisch schwärmt, als er diese Farben in der Pariser Kirche Madeleine bei der Totenfeier für die Gefallenen der Pariser Februarrevolution erblickt: Au bas, une chose retenait mes regards, tous les drapeaux des nations ... Jamais je n'avais vu le grand drapeau du Saint-Empire, de ma chère Allemagne noir, rouge et l'or, le sait drapeau de Luther, Kant, Fichte, Schelling et Beethoven. Je fus attendri et ravi ... Je m'en allait rêver, me disant que le peuple se fera par les fêtes, aura sa grande école dans les Fédérations, les Fraternités d'avenir [Kata48].

*Drunten fesselte mich der Anblick aller Fahnen der Nationen ... Niemals hatte ich die große Fahne des Heiligen Reiches gesehen, das meines teuren Deutschlands, schwarz, rot und gold die bekannte Fahne Luthers, Kants, Fichtes, Schellings und Beethovens. Ich war gerührt und hingerissen ... Ich fing an zu träumen und sagte mir, das Volk wird bei Festlichkeiten geschmiedet und wird seine hohe Ausbildung in Vereinigungen, den zukünftigen Brüderschaften. finden.

 

Der Traum Michelets ist auch der des Maler Frédéric Sorrieu: Frankreich führt die Völker Europas
 in ihrem Zug zur Freiheit an: Allemagne, Autriche, Deux Siciles, Lombardia, Toscagne ...

 

Baden: An der französischen Freiheitssonne entbrannte
die bis dahin verborgen glimmende deutsche Revolution zu heller Flamme.

 

Und auch in Deutschland war es anders geworden. Das Volk fühlte mit richtigem Takte, daß nun die Zeit da sei, wo es sein Recht und die Freiheit einzufordern habe. Mit dem ersten Tage des Eintreffens der Nachrichten von der französischen Republik begannen die revolutionären Bewegungen in Deutschland vor Allem in Baden eine ernstere Färbung zu erhalten. An der französischen Freiheitssonne entbrannte die bis dahin verborgen glimmende deutsche Revolution zu heller Flamme. Dabei war es aber wieder seltsam, wie der jahrhundertlange Druck, der die deutsche Nation wirklich bis in ihre innersten Lebenspunkte zusammengepreßt hatte, bei dem plötzlichen Nachlasse und der eintretenden Lockerheit aller bisherigen Bande, nicht einen unendlich starken Gegendruck verursachte, so daß in dieser thatenfordernden Zeit wieder unendlich mehr gesprochen und geschrieben wurde als gehandelt. Und gerade da, wo am meisten Freiheit und daher politischer Sinn und männliche Selbstständigkeit zu finden war, in Baden, war man zu energischem Auftreten am meisten vorbereitet, während die lange Unterdrückung anderswo die Geister abgestumpft und zu willenlosen Werkzeugen gemacht zu haben schien [More49].

 

 

Freiheit ein großes Wort, wer's recht verstände

 

Ja, die Bürger in deutschen Landen wollen auch eine Revolution freiheitlich und national, doch mit dieser allgemeinen Beschreibung hört der gemeinsame Nenner bereits auf. Schon Goethe lässt in seinem Drama Egmont Herzog Alba auf des Titelheldens Frage, wer den Niederländern die Freiheit verbürgt, antworten: Freiheit ein großes Wort und fügt gleich hinzu: wer's recht verstände.

 

Soll die deutsche Zukunft nun republikanisch oder beschränkt monarchistisch, föderalistisch oder zentralistisch, klein- oder großdeutsch aussehen. Soll es statt den Söldnern der Herrschenden ein echtes Volksheer oder nur Bürgerwehren geben. Neben radikalen Scharfmachern gibt es moderate Revolutionäre, die nach ein bisschen mehr Sozialem an Industriestandorten, weniger Feudalismus auf dem Lande oder mehr Durchblick bei der Justiz in den Städten trachten.

 

Der biedere deutsche Bürger, der in bescheidenem Wohlstand lebt, möchte keinen blutigen Umsturz, so wie die Franzosen ihn einst in ihrer sozialen Not 1789 vorgemacht hatten. Doch wäre es schön, wenn sich existierende Strukturen reformieren und mit ein wenig Preßfreyheit überpudern ließen. Allerdings wird in diesem Punkt selbst Heine zum Bedenkenträger: Das helle Licht der Preßfreiheit ist für den Sklaven, der lieber im Dunklen die allerhöchsten Fußtritte hinnimmt, ebenso fatal wie für den Despoten, der seine einsame Ohnmacht nicht gern beleuchtet sieht. So zerrissen präsentiert sich die revolutionäre Szene im Vormärz des Jahres 1848 in den deutschen Landen.

 

 

27 Februar 1848

 

 

Karl Theodor Welcker

 

 

 

Johann Adam von Itzstein

 

Mannheim - Karlsruhe: Petition vieler Bürger und Einwohner

 

In der Zweiten Kammer der badischen Ständeversammlung beginnen die revolutionären Aktivitäten zunächst mit einer Umarmungstaktik, die nicht nur unterschwellig an die bürgerlichen Instinkte des Biedermanns appelliert: Am 26. Februar, dem Tag des Eintreffens der Proklamation der Republik, sogleich Motion von Welker (Karl Theodor Welcker): die Regierung solle sich alsbald von dem System der Reaktion lossagen (dem sie bisher, wie alle andern deutschen Regierungen, so treu zugethan war), denn „jetzt thut nichts mehr Noth, als daß alle redlichen Deutschen auf Thronen wie in Hütten fest zusammenhalten." So vertuschte und umkleidete dieser wackere Veteran deutscher Volksfreiheiten seinen Antrag in einem Augenblick, wo in der Volkskraft und dem Volkswillen die einzige und alleinstarke Hülfe zu finden war [More49].

 

Und doch: Als nun die Nachrichten der französischen Revolution hereinbrachen, war in Mannheim ungeheure Aufregung. Alle Gedanken, Wünsche, Bedürfnisse der Zeit drängten, sich durch alle andern Interessen vor. Man blieb nicht bei der passiven Bewunderung der großen That stehen, sondern benutzte dies Ereigniß sogleich, um Forderungen zu stellen, deren schleunige Verwirklichung das Volk erwartete. Sonntag, den 27. Februar versammelten sich an 3000 Bürger in der Aula in Mannheim, behufs einer Petition an die zweite Kammer zur schleunigen Einsetzung wichtiger Institutionen [More49]. Zu den Ereignissen in Paris sprechen die Landtagsabgeordneten Friedrich Daniel Bassermann, Johann Adam von Itzstein und Karl Mathy [Enge10]. Unter der maßgeblichen Mitwirkung Struves entwerfen einige entschlossene Patrioten eine Petition an die zweite Kammer:

 

Hohe zweite Kammer!

 

Petition vieler Bürger und Einwohner der Stadt Mannheim, betreffend die endliche Erfüllung der gerechten Forderungen des Volkes.

 

Eine ungeheure Revolution hat Frankreich umgestaltet. Vieleicht in wenigen Tagen stehen französische Heere an unsern Grenzmarken, während Rußland die seinigen im Norden zusammenzieht. Ein Gedanke durchzuckt Europa. Das alte System wankt und zerfällt in Trümmer. Aller Orten haben die Völker mit kräftiger Hand die Rechte sich selbst genommen, welche ihre Machthaber ihnen vorenthielten. Deutschland darf nicht länger geduldig zusehen, wie es mit Füßen getreten wird. Das deutsche Volk hat das Recht zu verlangen: Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen der Gesellschaft, ohne Unterschied der Geburt und des Standes. Die Zeit ist vorüber, die Mittel zu diesen Zwecken lange zu berathen. Was das Volk will, hat es durch seine gesetzlichen Vertreter, durch die Presse und durch Petitionen deutlich genug ausgesprochen. Aus der großen Zahl von Maßregeln, durch deren Ergreifung allein das deutsche Volk gerettet werden kann, heben wir hervor:  

 

1) Volksbewaffnung mit freien Wahlen der Offiziere.
2) Unbedingte Preßfreiheit. 
3) Schwurgerichte nach dem Vorbilde Englands.
4) Sofortige Herstellung eines deutschen Parlamentes.

 

Diese vier Forderungen sind so dringend, daß mit deren Erfüllung nicht länger gezögert werden kann und darf.

 

Vertreter des Volkes! Wir verlangen von Euch, daß Ihr diese Forderungen zu ungesäumter Erfüllung bringet. Wir stehen für dieselben mit Gut und Blut ein, und mit uns, davon sind wir durchdrungen, das ganze deutsche Volk.  

Mannheim, den 27. Febr. 1848 [Heck48].

 

Die Forderungen wurden des folgenden Tages in einer großen Volksversammlung angenommen. Exemplare eilten nach allen Gegenden Deutschlands, überall erhob man sich, in Nassau, beiden Hessen, Baiern, Württemberg, Preußen, Sachsen u. s. w., den gegebenen Impulsen folgend; in Massen strömten die Männer nach den Residenzen, die alten Minister entwichen, die Fürsten, verlassen und rathlos, versprachen und unterschrieben [Stru49]. Zugleich beschlossen die Mannheimer diese Forderungen durch einen massenhaften, aber unbewaffneten Zug nach Karlsruhe zu unterstützen, was auch sogleich in Heidelberg, Offenburg und vielen andern Orten angenommen wurde. So kam es denn, daß am 29. Februar und 1. März Tausende nach Karlsruhe sich in Bewegung setzten [More49].

 

 

28. Februar

 

 

 

Carl Mez

 

Freiburg: Der Makel des Revolutionismus

 

In Freiburg kommen am 28. Februar 800 Personen im Haus Zur Tannen zusammen. Dieses aus dem Jahre 1460 stammende Haus in der Grünwälderstraße ist die Heimstatt der Bürgerlichen Lesegesellschaft Harmonie, die 1835 von Karl von Rotteck und dem Fabrikanten Carl Mez  als Abspaltung von der traditionellen Museumsgesellschaft gegründet worden war, denn das Museum von 1807 war für die Liberalen ein Verein ohne politischen Biss geworden, der fast ausschließlich - in Anbetracht der repressiven Maßnahmen des Deutschen Bundes - auf das Privat-Gesellige ausgewichen war [Kort06].

 

Außerdem hatten Mitglieder der Museumsgesellschaft ihre Kollegen Johann Georg Duttlinger und Karl von Rotteck anonym beschuldigt, auf die Stadt den Makel des Revolutionismus zu ziehen [Rödl98]. Allein hier ward eine traurige Thatsache anschaulich, eine Thatsache, deren Existenz die Klippe der deutschen Revolution ausmacht, indem sie zumeist die Unklarheit der Begriffe unterstützte und das Aufkommen einer Reaktion möglich machte - ich meine die Indolenz und Muthlosigkeit der ruhigeren Bürger [Mörd49].  

 

Weitere Mitglieder der Harmonie sind u. a. Freiburger Wirte, vom "Bären"- bis zum "Römischen Kaiser“. Hier im Haus Zur Tannen wählen die Versammelten einen Volksausschuss, stellen einen Katalog revolutionärer Forderungen zusammen und senden damit eine Delegation nach Karlsruhe.  Die Abordnung trifft rechtzeitig am 1. März in der Landeshauptstadt zu einer Versammlung vor dem Ständehaus ein. Bei ihrer Rückkehr am 2. März wird die Deputation mit einem Fackelzug begeistert empfangen.

 

 

28. Februar

 

 

 

 

Karlsruhe: Gegen 20 000 Männer versammelten sich

 

Bereits am Nachmittag des 28. Februar zog von der Kammer weg ein Volkshaufe von 4-600 Mann auf den Schloßplatz, drang sogar in den innern Schloßhof ein und hielt etwa zehn Schritte vor der Façade des Schlosses, längs welcher eine Kompagnie Pompiers aufgestellt war. Aus dem Haufen heraus wurden gleich vier junge Leute gewählt, welche den Großherzog zu sprechen und die Freilassung von einigen Gefangenen zu verlangen hatten, die man Aufruhrsgedanken bezichtigte, unter denen besonders der bekannte Karl Blind ein Mann, der mit großem Scharfsinn, bedeutendem Rednertalente und unermüdlicher Energie für die Sache der Republik thätig war, doch weniger aus politischem als socialem Interesse, der Weise ähnlich, wie die französischen Kommunisten an der Februarrevolution Theil genommen hatten. Im Schlosse Schrecken; Hausofficianten rannten auf dem Platze herum, um die auf ihrem Wunsche Festbeharrenden zur Heimkehr zu beschwören. Da fand der komische Vorfall statt, daß ein alter General einen der jungen Revolutionäre, der als Sprecher bestimmt war, bei den Händen faßte und beschwor: er möchte doch die Leute nach Hause gehen heißen und dem guten Großherzog keinen solchen Schrecken machen. Einige beliebte Deputirte wurden gerufen, auf deren Zureden die Menge sich wieder verlief. In den mannigfaltigsten Aeußerungen über diesen Vorgang brachte man die Zeit bis zum Abend hin [More49].

 

 

1. März

 

 

 

Karlsruhe: Übergabe der Forderungen des Volkes

 

Schon 1848 veröffentlicht der Schweizer Historiker und Dichter Carl Morel die erste Auflage eines Buches über Die März-Revolution und der badische Aufstand aus seiner eidgenössischen Sicht. Besonders seine Beschreibungen der Ereignisse im benachbarten Baden sind von einer solchen Lebendigkeit, dass es sich lohnt, ganze Passagen zu zitieren wie etwa die Übergabe der Forderungen des Volkes an die badische Ständeversammlung in Karlsruhe am 1. März 1848:

 

Der Morgen des 1. März ist ein unvergeßlicher. Ein Riesenzug mit zwei Lokomotiven brachte viele hundert Männer aus. Mannheim, Heidelberg etc. nach Karlsruhe, ein gleicher Zug kam aus dem Oberlande, nachdem schon eine außerordentlich große Zahl den Abend vorher angekommen war, um am folgenden Morgen die Kammerverhandlungen anhören zu können. Die Turner von Karlsruhe mit einigen Heidelberger Turnern, ein kleines Häufchen von 50 Mann, zogen den Ankommenden entgegen. Mit der Zeit sammelte sich eine zahllose Menschenmasse vor dem Bahnhofe und als nun gegen 11 Uhr die Mannheimer etc., Struve an ihrer Spitze, ankamen, erdröhnte die Luft von Freudengrüßen. Mit Jubel erblickte das Volk, hier zum erstenmal die schwarz-roth-goldnen Schleifen, welche die Mannheimer an ihren Hüten trugen, von Struve's begeisterter Frau verfertigt, die die ganze Nacht hindurch daran gearbeitet hatte. Damals war ein tieferer Sinn, indem die Gleichgesinnten und Entschiedenen durch diese Auszeichnung leichter zusammenfanden. Die deutschen Farben waren noch revolutionäre Eroberung, sie waren noch nicht offiziell wie jetzt und die konstitutionelle  Freiheit mit ihnen.

 

Die Menge strömte nun in den großen Saal der Bürgergesellschaft „Harmonie". Dort wurden nun aus der Versammlung Männer gewählt, welche den Auftrag hatten, die Petition den Kammern persönlich zu überreichen. Struve ward zum Sprecher gewählt. Nun setzte sich der ganze Zug in der besten Ordnung in Bewegung, die Abgeordneten mit dem Sprecher voraus. Durch die leeren Straßen der Residenz* zog die große Schaar, 5 Mann hoch, in den innern Hof unmittelbar vor der Kammer, in welcher die Gallerien und die Zwischenräume im Saale selber so von Menschen überfüllt waren, daß die Deputirten Mühe hatten durchzukommen.

*Neben der begeisterten, gehobenen Stimmung der Angekommenen (meistens angesehene Bürger) nahm sich die Theilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit der Karlsruher Bürger traurig aus. Viele schlossen sogar ihre Läden aus Furcht vor Plünderungen.

 

Struve verlangte nun, mit den andern vom Volk Gewählten vorgelassen zu werden [More49]. Man verweigerte es als gegen die Geschäftsordnung des Ständehauses verstoßend; bleich saßen die reaktionären Abgeordneten, unruhig die Unentschlossenen und Halben; ängstliche Gruppen umstanden den rathlosen Präsidenten [Stru49]. Schließlich verständigte man sich dahin, daß Struve die Petition Hecker übergebe und dieser sie dem Präsidenten abzugeben habe. Endloser Jubel erscholl in dem Augenblick, als Struve seinem Freund Hecker die Forderungen des Volkes anvertraute; sie hätten in keine würdigere Hand gelangen können. Nun vergingen denkwürdige Stunden. Im Ständesaal lebhafte Debatte, im Hofe und vor demselben die dichtgedrängte Menschenmasse aus allen Gegenden des Landes, die mit der regsten Theilnahme die Kammerverhandlungen sekundirte. In den freudigen Zuruf bei Bekanntmachung, daß die Regierung die Censur aufgehoben und die Forderung der Preßfreiheit gewähre, mischten sich allgemeine Ausrufe wie: „ Nicht genug, nieder mit Regenauer, Trefurt, Blittersdorf!*" und neben der gewöhnlichen Petition zirkulirte ein Blatt unter dem Volke, in dem noch Weiteres als die vier erwähnten Punkte stand, und das hier mitgetheilt wird, weil es embryonenartig, wie es ist, dennoch schon die Offenburger Proklamation und das Manifest der Republikaner in Frankfurt in sich schließt [More49].

*Minister der großherzoglichen Regierung

 

  Die Forderungen des deutschen Volkes

 

Allgemeine Volksbewaffnung mit freier Wahl der Offiziere.
Ein deutsches Parlament, frei gewählt durch das Volk.
Unbedingte Preßfreiheit. Vollständige Religions-, Gewissens- und Lehrfreiheit.
Volksthümliche Rechtspflege mit Schwurgerichten.
Allgemeines deutsches Staatsbürger-Recht.
Gerechte Besteuerung nach dem Einkommen.
Wohlstand, Bildung und Unterricht für Alle.
Schutz und Gewährleistung der Arbeit. 
Ausgleichung des Mißverhältnisses Kapital und Arbeit. 
Volkstümliche und billige Staatsverwaltung. 
Verantwortlichkeit aller Minister und Staatsbeamten. 
Abschaffung aller Vorrechte.

 

Die hohe Wichtigkeit dieser Forderungen sollte aus einem anderen unendlich wichtigen und inhaltschweren Ereignisse in der Kammer selber hervorgehen. Während die „Forderungen" unten im Hofe unter dem Volke kursirten und die einzelnen Punkte tausendstimmig verlangt wurden, trat im Ständesaal Hecker auf und trug eine von acht Abgeordneten unterzeichnete Erklärung vor, welche auch weitere Volkswünsche enthielt, die sich die Kammer aneignen und dem Gr. Staatsministerium überreichen sollte [More49]. Darunter waren: die Beseitigung der Adelsprivilegien und die Befreiung der Bauern, somit die Aufhebung der Überreste des mittelalterlichen Feudalsystems. Staatsrath (Johann Baptist) Bekk und Präsident (Karl) Mittermaier verwiesen auf die entgegenstehenden Bestimmungen der Geschäftsordnung. Der greise Republikaner Itzstein, der General der Freisinnigen wie ihn das Volk nannte, und Hecker zeigten auf den Drang der Umstände, welcher keine Zögerung gestatte, indem das Volk in einem sehr gereizten Zustand sei und sich mit den vier Punkten nicht begnüge. Mathy machte nun den Vorschlag, die acht neuen Punkte augenblicklich an die Abtheilungen zu ungesäumter Berathung zu weisen, um einerseits die Sache im gesetzlichen Wege zu erhalten, anderseits den Volkswünschen entgegen zu kommen. Dieser Antrag wurde angenommen, die Kommission sogleich gewählt und dies dem Volke angezeigt. Die Kammersitzung wurde nun aufgehoben und das Volk ging auseinander, zweifelhaft den Kopf schüttelnd, mit dem festen Entschlusse jedenfalls auszuharren, bis die Kammer einen entscheidenden Schritt thun würde. Struve's Haltung bei der Sache war würdig. Zugleich zeigte sich aber die große Gewalt, die er und Hecker über das Volk hatten, indem diese Männer allein den hochgestiegenen Unwillen desselben in das gesetzliche Bett zurück bannten [More49].

 

 

1. März

 

 

 

Lorenz Brentano

Karlsruhe: Ist's wo man in der Kammer spricht?

 

Hecker beschreibt die weitere Entwicklung am Nachmittag des 1. März: Mit drei Freunden der Ständeversammlung hatte der Verfasser dieses Werkchens [Heck49] die bekannten 13 Artikel entworfen, welche die unentbehrlichsten Grundlagen für die rechtliche Existenz eines Volkes sind. Wir beschlossen, sämmtliche Abgeordnete davon in Kenntniß zu setzen und zum Beitritt aufzufordern; man versammelte sich Nachmittags zu einer Besprechung; aber schon beim ersten Artikel begannen die HH. Mathy und Welker an Form und Inhalt zu mildern und zu verwässern, so daß endlich der Abgeordnete (Lorenz) Brentano und der Schreiber dieser Zeilen entrüstet erklärten, sie würden allein die Anträge des anderen Tages stellen und für die Rechts-charte des Volkes einstehen [Heck48]. Da hatten die Badener dann wohl recht mit ihrer Parodie des Arndtschen Gedichts aus der Zeit der napoleonischen Erniedrigung:

 

Was ist der Deutschen Vaterland?
Ist's Haderland? Salbaderland?
Ist's wo man in der Kammer spricht?
Und doch forcirt den Jammer nicht?
O nein, o nein etc.

 

So zog am Nachmittag des gleichen Tages von der Kammer weg ein Volkshaufe von 4-600 Mann auf den Schloßplatz, drang sogar in den innern Schloßhof ein und hielt etwa zehn Schritte vor der Façade des Schlosses, längs welcher eine Kompagnie Pompiers aufgestellt war. Aus dem Haufen heraus wurden gleich vier junge Leute gewählt, welche den Großherzog zu sprechen und die Freilassung von einigen Gefangenen zu verlangen hatten, die man Aufruhrsgedanken bezichtigte, unter denen besonders der bekannte Karl Blind ein Mann, der mit großem Scharfsinn, bedeutendem Rednertalente und unermüdlicher Energie für die Sache der Republik thätig war, doch weniger aus politischem als socialem Interesse, der Weise ähnlich, wie die französischen Kommunisten an der Februarrevolution Theil genommen hatten. Im Schlosse Schrecken; Hausofficianten rannten auf dem Platze herum, um die auf ihrem Wunsche Festbeharrenden zur Heimkehr zu beschwören. Da fand der komische Vorfall statt, daß ein alter General einen der jungen Revolutionäre, der als Sprecher bestimmt war, bei den Händen faßte und beschworer möchte doch die Leute nach Hause gehen heißen und dem guten Großherzog keinen solchen Schrecken machen. Einige beliebte Deputirte wurden gerufen, auf deren Zureden die Menge sich wieder verlief. In den mannigfaltigsten Aeußerungen über diesen Vorgang brachte man die Zeit bis zum Abend hin [More49].

 

 

Karlsruhe: Ein „provisorisches Gesetz"

 

Des Abends versammelte sich eine große Menge, der Angekommenen im Saale des Prinz Karl, wo die freisinnigen Deputirten zusammen kamen. Auch die Führer der Republikaner, vor Allen Struve, waren da. Gewichtige Reden über die Fragen der Zeit wurden mit stummem Ernste aufgenommen. Alles fühlte, daß die Zeit Großes verlange, doch hoffte man, mit der Kraft der öffentlichen Meinung und des unzweideutig ausgesprochenen Volkswillens friedlich zum Ziele zu kommen. Man war auf Alles gefaßt, Gutes und Schlimmes je nach Gebühr aufzunehmen. In die seltsame Stimmung dieses Augenblicks, im lebendigen Gefühle sich trotz der großen Aufregung in den Schranken der Ordnung und des Gesetzes gehalten zu haben, traf nun eine Nachricht ein, welche die ruhige Stimmung im Nu umwandelte. Man überreichte Struve ein eben herausgekommenes Regierungsblatt. Oben stand: „provisorisches Gesetz." Hatte man, belehrt durch die unzweideutigsten Erfahrungen, sogar der neuesten Zeit (ich erinnere an das oben erwähnte Preß- und Wehrgesetz), den Maßregeln der Regierung mit Mißtrauen entgegengesehen, so war nun beim Erscheinen dieses Blattes, das schon die Aufschrift als ein bloß dem aufgeregten Augenblick zugestandenes Provisorium bezeichnete, die allgemeine Erbitterung auf den höchsten Grad gestiegen. Struve las das Blatt (worin, statt der verlangten vollständigen Preßfreiheit, das Herausgeben von Journalen an große Cautionen gebunden war, wodurch zwar die Censur aufgehoben, aber der ganze Verlag mit Beschlag belegt werden konnte etc.), unter fortwährender Unterbrechung durch den allgemeinen Unwillen, zu Ende. Buchhändler Hoff, nahm es aus seiner Hand und verbrannte es unter allgemeinem Jubel an einer Gasflamme. Struve sprach hierauf in wenigen Worten: „man sehe nun, wie weit man auf dem Wege des Vertrauens komme," und forderte Alle auf, morgen nach Hause zu gehen und zu Hause zu erzählen, wie es in Karlsruhe zugegangen. Das wurde von Allen angenommen und der Sturm des Unwillens wogte in bittern Worten. In diese Aufregung trat nun ein Mitglied der Kammer, Brentano, ein Mann, der in diesen ernsten Tagen entschieden für die Sache des Volks ohne loyale Umschweife, wie so viele Andere, sich aussprach und die Erklärung der Acht mit unterzeichnet hatte. — Brentano erschrak, als er die ungeheure Aufregung sah und beschwor die Versammlung, sich durch das traurige Edikt nicht irren zu lassen und doch diesen revolutionären Schritt nicht zu thun; wenigstens die Kammersitzung des morgigen Tages abzuwarten [More49]. Als nun ein Sturm unter den Massen zu drohen begann, weil das Ministerium die Erfüllung blos zugesagt, traten selbst Hecker und Struve als Mittler auf, und erklärten, man habe ja Alles erhalten, die Bürger möchten sich jetzt nach Hause begeben. Und doch hatte dieses Volk Recht; wurde es doch fast in demselben Augenblicke um die unbedingte Anerkennung des am wenigsten streitigen Rechtes betrogen. Statt daß man freie Presse gewährte, erklärte man die elenden Censurbestimmungen für suspendirt, und bequemte sich erst auf die Reklamation der Kammer dahin, das Ganze als einen Druckfehler im Regierungsblatte zu erklären [Mörd49].

 

Die ganze Nacht hindurch arbeitete nun die von der Kammer gewählte Kommission (die Abtheilungen) an den von den acht Deputirten vorgeschlagenen Anträgen und nahm den Vorschlag mit einigen Aenderungen und Ergänzungen an. Welker ward die Ehre zugetheilt, Berichterstatter zu sein und die einzelnen Punkte der Kammer vorzubringen [More49].

 

 

2. März

 

 

Karlsruhe: Die Kammer verlangt

 

Am Morgen des 2. März waren schon früh, vor 8 Uhr, die Gänge vor dem Saale voll, während die Sitzung erst um 12 Uhr anging. Gegen 12 Uhr versammelten sich die Deputirten. Hoher Ernst war auf der Stirne dieser Männer zu lesen. Der Saal war wo möglich oben und unten noch gefüllter als gestern. Die Logen des Hofes und der ersten Kammer waren vom Volk eingenommen. Um 12 Uhr eröffnete Mittermaier die Sitzung. Welker trat als Berichterstatter auf und brachte den Inhalt der vier ersten und acht weitern Forderungen in folgenden zwölf Punkten vor:

 

„Die Kammer verlangt:

1) daß die Regierung sofort die provisorischen Ausnahmsgesetze, als die Karlsbader Beschlüsse vom 20. Sept. 1819, die Frankfurter vom 30. Mai, 28. Juni und 8. Nov. 1832, so wie die Beschlüsse der geheimen Wiener Konferenzen von 1834 als rechtsverbindlich für das Großherzogthum Baden nicht betrachte;
2) daß ungesäumt gleiche Beeidigung sämmtlicher Staatsbürger, mit Einschluß des Militärs, auf die Verfassung angeordnet werde;
3) daß alle Beschränkungen politischer Rechte aus dem Grunde, daß ein Staatsbürger einer bestimmten Konfession angehöre, aufgehoben, beziehungsweise den Ständen ein Gesetzesentwurf darüber vorgelegt werde;
4) daß ein Gesetz über Veranwortlichkeit der Minister in der Art, daß ein Staatsgerichtshof mit Geschwornen entscheide, vorgelegt werde;
5) daß in Beziehung auf die übrigen Staatsbeamten eine vorgängige Ermächtigung des Ministeriums zur Anstellung von Klagen über Handlungen ihrer Verwaltung nicht erforderlich sei;
6) daß die Großherzogliche Regierung die Zusicherung ertheile, daß sie in nächster Bälde die Reste des Feudalwesens, insbesondere das Jagdregal, die Bürgereinkaufsgelder, so wie die Abzugssteuer der Standes- und Grundherren beseitigen werde;
7) daß Anordnungen für gerechtere Vertheilung der Staats- und Gemeindelasten, für Pflege der Gewerbsamkeit und der einfachen Arbeit getroffen werden;
8) daß die privilegirten Gerichtsstände aufgehoben werden;
9) daß eine volksthümliche Kreisverwaltung, durch geeignete Betheiligung der Bürger an derselben, eingeführt werde;
10) daß die Regierung dringend darauf hinwirken möge, daß bei der Bundesversammlung eine Vertretung des deutschen Volkes eingerichtet werde;
11) daß eine unabhängige Stellung der Richter nach den bereits früher von der Kammer gestellten Anträgen gesichert werde;
12) daß das Staatsministerium und die Stelle eines Gesandten des Großherzogthums Baden bei der Bundesversammlung nur mit Männern besetzt werde, welche das allgemeine Vertrauen des Volkes genießen."

 

Nach einer herrlichen Diskussion, die mit voller Freiheit auf beiden Seiten, bei musterhafter Haltung der Zuhörer, geführt wurde und die erhebendste war von allen bisherigen, wurden alle Anträge fast einstimmig angenommen. Der Jubel des Volkes war groß, doch ließ man es nicht bei dem Kammerbeschluß bewenden, sondern bewies der Regierung, durch erhebende, großartige Demonstrationen, daß diese Gedanken im Volk tiefe Wurzel gefaßt hatten. Abends zog Alles wieder heim und erzählte zu Haus die schönen Ereignisse der zwei Tage. Struve und Hecker wurden fortwährende Lebehoch gebracht, während die brausende Maschine den jubelnden Zug pfeilschnell durch die Nacht führte [More49].

 

 

Karlsruhe: Das deutsche Volk hat ein heiliges Recht
 und eine heilige Pflicht, eine freie Nation zu sein

 

Unter dem Eindruck dieser gewaltigen Demonstration war die Regierung eingeknickt und hatte in ihrer Herzensangst Pressefreiheit, Geschworenengerichte und Bürgerbewaffnung bewilligt, was freilich allgemeines Hohngelächter erregte, aber nichtsdestoweninger für einen großen Sieg gehalten wurde [Mögl09]. Jetzt will die Ständekammer nicht nachstehen und verabschiedet am 2. März eine Gesetzesvorlage zur Abschaffung der Reste des Feudalwesens, zur Verteidigung des Heeres auf die badische Verfassung und zur religiösen Gleichstellung von Angehörigen nichtchristlicher Bekenntnisse [Schw93]. Das Volk, sich etwas freier fühlend, triumphierte zu bald wegen seiner sogenannten Märzerrungenschaften, es dachte nicht an das Sprichwort: Wie gewonnen, so zeronnen [Mögl09].

 

Die erst 1846 gegründete, von Friedrich Daniel Bassermann verlegte und von den Heidelberger Professoren Gottfried Gervinus, Ludwig Häusser und Karl Mittermaier herausgegebene liberale Deutsche Zeitung verkündet am 3. März: Die badische Revolution ist in friedlicher Weise ohne Verletzung der Gesetze vollendet worden [Enge05]. Allerdings nehmen sich die wirklichen Zugeständnisse des Entscheidungsträgers Großherzog Leopold I. recht bescheiden aus: eine Regierungsumbildung und die Ernennung der Liberalen Friedrich Daniel Bassermann und Karl Theodor Welcker zu badischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt.

 

Als Abgeordneter der Zweiten Kammer hatte Welcker bereits 1831 einen Antrag zur Vervollkommnung der organischen Entwicklung des Deutschen Bundes zur bestmöglichen Förderung deutsche Nationaleinheit und deutscher staatsbürgerlicher Freiheit eingebracht. Er wird die damalige Erklärung der Badischen Zweiten Kammer: Das deutsche Volk habe ein heiliges Recht und eine heilige Pflicht ... eine freie Nation zu sein, und sie will es sein, mit zum Bundestag nach Frankfurt nehmen [Kata02].

 

Während mit diesen Concessionen der Regierung ein friedlicher Entwickelungsproceß der staatlichen Verhältnisse in Aussicht gestellt war u. die allgemeinen Zustände auch wirklich in ein ruhiges Stadium traten: machte sich die einmal ins Volk gedrungene Gährung doch noch hier u. da, wenn auch nur vorübergehend, Luft durch Verfolgung der Juden u. in ausgedehnterer Weise durch Aufstände der Bauern im Odenwalde u. in den fränkischen Gegenden gegen ihre Herren, wobei in vereinzelten Fällen Plünderungen u. Gewaltthätigkeiten gegen mißliebige Persönlichkeiten vorfielen [Pier57].

 

 

5. März

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heidelberg: Eine Deutsche Nationalversammlung als Ventil?

 

Nach den politischen Entwicklungen in Karlsruhe möchte man das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist. Bereits am Sonntag, den 5. März, kamen nun 51 Männer, meistens Mitglieder süddeutscher Kammern, in Heidelberg zusammen, um die Forderungen und Bedürfnisse der Zeit zu besprechen. Nach langer Debatte kam man überein, auch eine Proklamation an das deutsche Volk zu erlassen, somit die des Bundestags überflüssig zu machen. Und allerdings waren in dieser Versammlung Männer, deren Namen einen guten Klang im Vaterlande hatten und deren entschiedenes Auftreten das Volk mit Jubel begrüßt [More49], darunter der hessische Minister Gagern, der Professor Gervinus, der Buchhändler Bassermann, sein Lehrmeister und Faktotum Mathy, Gustaf Struve und andere. [Mörd49]. Die Versammlung sah ein, daß das alte Regierungssystem in dem Sturm dieser Tage gescheitert war, daß aber die Nation noch zu wenig politische Selbstständigkeit besaß, um einen vollständigen Bruch mit der Vergangenheit zu tun [More49].

 

In seinen Erinnerungen Die Deutsche Revolution blickt Florian Mördes auf diese Versammlung äußerst kritisch zurück: Die Vorberathung bildete eine Censur Gagerns. Derselbe wollte nicht mit Struve zusammentreten. Der Mann der gesetzlichen Revolution, der Held der Philister konnte keine Struve'sche Kritik ertragen und wollte die beginnende Revolution meistern. Damit war die Einigkeit der Parteien unmöglich geworden. Heinrich von Gagern hatte in seinem ersten Auftreten der Revolution unbewußt den Todesstoß versetzt. Die Parteien waren gebildet, bevor sie noch ein Programm aufgestellt hatten. Der Hochmut und die Intoleranz hatten eine giftige Verdächtigung erzeugt, welche jede Vereinigung unmöglich machte. Das Programm dieser Versammlung entfernt sich nicht von dem Wege der Verständigung. Es spricht von der traurigen Erfahrung, welche die Bundesbehörde erzeugt habe — aber zugleich von der Treue gegenüber den Thronen und wünscht eine Vertretung der Nation…: die Sorge für den Schutz der innern und äußern Sicherheit Deutschlands, insbesondere die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten, des Heerwesens und der Volksbewaffnung in die Hand eines Kabinets zu legen, auf daß das einstweilige Haupt Deutschlands Gesetzgebung und Besteuerung in Uebereinstimmung mit einem Rathe der Fürsten und einem Rathe des Volks nach den wesentlichen Formen des repräsentativen Systemes ausübe und daß die Berufung einer Nationalversammlung gleichzeitig mit der Ernennung des Bundeshauptes erfolge [Mörd49].

 

Ihm trat Struve entgegen, welcher unumwunden erklärte, daß er kein Heil für Deutschland sehen könne, so lange 34 Fürstenfamilien über dasselbe herrschten. Nur die föderative Republik nach dem Vorbilde der nordamerikanischen Freistaaten könne die Einheit und zu gleicher Zeit die Freiheit Deutschlands sicherstellen. Nach einer wirren und ordnungslosen Discussion beschloß die Versammlung auf (Gottfried) Eisenmann's Antrag zuvörderst die Berufung einer konstituirenden Nationalversammlung zu berathen. Hecker stellte den Antrag, die Versammlung möge nach dem Beispiele der nordamerikanischen Bill of rights die Rechte des Volkes feststellen. Man ging jedoch auf diesen Antrag nicht ein, faßte vielmehr nur den Beschluß, eine größere Versammlung zusammen zu berufen, welcher alles weitere vorbehalten bleiben sollte [Stru49].

 

So beschließen die Teilnehmer, neben dem Bundestag in Frankfurt für den 30. des gleichen Monats im Kaisersaal des Römers ein Vorparlament einzuberufen, welches die Wahlen für eine konstituierende Nationalversammlung vorbereiten soll:  

 

„Die Versammelten sprechen ihre Ueberzeugung von dem, was das Vaterland dringend bedarf einstimmig dahin aus:

Deutschland darf nicht durch Dazwischenkunft in die Angelegenheiten des Nachbarlandes oder durch Nichtanerkennung der dort eingetretenen Staatsveränderung in Krieg verwickelt werden.
Die Deutschen dürfen nicht veranlaßt werden, die Freiheit und Selbständigkeit, welche sie aIs ihr Recht für sich selbst fordern, andern Nationen zu schmälern oder zu rauben.
Die Vertheidigung der Deutschen und ihrer Fürsten darf hauptsächlich nur in der Treue und dem bewährten Kriegsmuth der Nation, nie in einem russischen Bündnisse gesucht werden.  
Die Versammlung einer in allen deutschen Landen nach der Volkszahl gewählten Nationalvertretung ist unaufschiebbar, sowohl zur Beseitigung der nächsten inneren und äußeren Gefahren, wie zur Entwickelung der Kraft und Blüthe deutschen Nationallebens.

 

Um zur schleunigsten und möglichst vollständigen Vertretung der Nation das Ihrige beizutragen, haben die Versammelten beschlossen:

Ihre betreffenden Regierungen auf das Dringendste anzugehen, so bald und so vollständig, als nur immer möglich ist, das gesammte deutsche Vaterland und die Throne mit diesem kräftigen Schutzwalle zu umgeben.  
Zugleich haben sie verabredet, dahin zu wirken, daß baldmöglichst eine vollständigere Versammlung von Männern des Vertrauens aller deutscheu Volksstämme zusammentrete, um diese wichtigste Angelegenheit weiter zu berathen und dem Vaterlande wie den Regierungen ihre Mitwirkung anzubieten.  
Zu dem Ende wurden sieben Mitglieder ersucht, hinsichtlich der Wahl und der Einrichtungen einer angemessenen Nationalvertretung Vorschläge vorzubereiten und die Einladung zu einer Versammlung deutscher Männer schleunigst zu besorgen.  
Eine Hauptaufgabe der Nationalvertretung wird jedenfalls die Gemeinschaftlichkeit der Vertheidigung und der Vertretung nach Außen sein, wodurch große Geldmittel für andere wichtige Vedürfnisse erspart werden, während zugleich die Besonderheit und angemessene Selbstverwaltung der einzelnen Länder bestehen bleibt."

 

 Aber auch das Volk blieb bei der Sache nicht theilnahmlos. Eine ungeheure Menschenmasse wogte in der Straße vor dem Versammlungsorte der Männer. Mittags, während man über die Proklamation debattirte, war eine große Volksversammlung in der Stadt, wo man beschloß, den Versammelten auszusprechen, wie sehr das Volk an seinen Forderungen festhalte, die Nothwendigkeit dieses Schrittes einsehe und den Männern dies energische Auftreten, trotz der Proklamation des Bundestags, verdanke. Die Versammlung wählte eine Deputation von zehn wackren, durch ihre tüchtige Gesinnung bekannten Heidelberger Bürgern und einen jungen Mann zum Sprecher. Nach geendigter Debatte wurde die Deputation vorgelassen und von dem alten Itzstein auf männliche, liebevolle Weise begrüßt. Die entschiedenen Worte des Sprechers wurden von den Versammelten mit der größten Theilnahme aufgenommen und herzliches Händedrücken besiegelte den neuen Bund des Volkes mit seinen Vertretern [More49].

 

 

7. März

 

 

Joseph von Rotteck

Freiburg - Frankfurt: Schwarz-rot-gold

 

Am 7. März löst in Freiburg der liberale Joseph von Rotteck den konservativen Friedrich Wagner im Amt des Oberbürgermeisters ab. Als Bonus bringt Joseph in die Freiheitsbestrebungen den großen Namen seines 1840 verstorbenen Onkels Karl ein.

 

Derweil nimmt der revolutionäre Druck auf den Deutschen Bundestag zu. Der erklärt am 9. März: Eben so werden die Bundesfarben der deutschen Vorzeit zu entnehmen seyn, wo das deutsche Reichspanier schwarz, roth und golden war.

 

Einige Revolutionäre sehen in diesem symbolischen Zugeständnis bereits den Anfang einer Liberalisierung. Doch die Wiener Zeitung Die Constitution schätzt in ihrer Ausgabe vom 20. März die politische Lage viel nüchterner ein: Noch sind wir ein Volk ohne Constitution, wir haben eine Preßfreiheit ohne Preßgesetze, eine Nationalgarde ohne definitive Organisation. Riesige Aufgaben müssen gelöst werden; denn alle Zweige der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Besteuerung sind vom Grunde auf zu reformieren.

 

 

 

 

Paris:Tausende von deutschen Handwerksgesellen wurden Republikaner

 

Heine hatte die wachsende politische Gärung unter den deutschen Handwerkern in Paris seit der Revolution von 1830 miterlebt und bereits 1840 über die Zusammenkünfte der deutschen Handwerker gespottet: Jene pariser Propaganda bestand vielmehr aus rohen Händen als aus feinen Köpfen; es waren Zusammenkünfte von Handwerkern deutscher Zunge, die in einem großen Saale des Passage Saumon oder in den Faubourgs sich versammelten, wohl fürnemlich, um in der lieben Sprache der Heimath über vaterländische Gegenstände miteinander zu konversiren. Hier wurden nun, durch leidenschaftliche Reden im Sinne der rheinbayrischen Tribüne, viele Gemüther fanatisirt, und da der Republikanismus eine so grade Sache ist, und leichter begreifbar, als z. B. die konstituzionelle Regierungsform, wobei schon mancherlei Kenntnisse vorausgesetzt werden, so dauerte es nicht lange und Tausende von deutschen Handwerksgesellen wurden Republikaner und predigten die neue Ueberzeugung [Hein40].

 

Theodor Mögling schreibt in seinen Mitteilungen eines 1848er-Revolutionärs über die weitere Entwicklung der post-revolutionären Zustände in Frankreich: Gleich nach dem Ausbruch der Februarrevolution hatten die materiellen und sozialen Fragen sich in den Vordergrund gedrängt. Der Arbeiterstand von Paris hatte ein sogenanntes Arbeiterparlament im (Palais de) Luxemburg gebildet, um die Angelegenheiten seines Standes besonders zu beraten … Die Bewegung der französischen Arbeiter war nun auch gegen die Konkurrenz der fremden Arbeiter gerichtet. Gewaltsam wollte man Letztere nun nicht gerade fortschaffen, und die provisorische Regierung griff daher zu einer sehr unedlen List. Alle Völker waren durch die Revolution in große Aufregung gekommen, die arbeitenden Klassen in Folge ihrer größeren geistigen Regsamkeit natürlich am meisten. Die republikanischen Ideen sind unter ihnen am festesten gewurzelt, und dies benützte man, um sie aufzumuntern, in ihre Heimat zurückzugehen, um dort für die Sache der Republik zu wirken, dabei machte man ihnen Hoffnung auf kräftige Unterstützung von Seiten der französischen Republik [Mögl09].

 

 Das Ehepaar Herwegh gerät ins Schwärmen. Die republikanisch indoktrinierten deutschen Arbeiter und Handwerker in Paris sollen jetzt die Revolution in die Heimat tragen, denn  Deutschland ist bereits in seinen tiefsten Tiefen erregt und wird und kann in dem begonnen Kampfe nicht zurückbleiben, dem es längst durch den Gang seiner geistigen Entwicklung mit vorgearbeitet hat. Die Freiheit bricht sich Bahn [Sieb08b].

 

 

8. März

Paris: Französisches Volk, wir gehen Hand in Hand mit dir

 

 

Der Justizminister der neuen Regierung Adolphe Crémieux antwortete in entsprechender Weise und zum Zeichen der Verbrüderung beider Nationen wurden unsere Fahnen auf dem Stadthause aufgestellt. Als Herwegh der Versammlung die Antwort Crémieux's verkündigt hatte, bewegte sich der Zug, von begeisterten Massen der Franzosen verstärkt, nach der Julisäule, um den gefallenen Helden zweier Revolutionen die verdiente Ehre zu bezeigen. Ein Theil der Menge zog von dort nach dem (Friedhof) Pére la Chaise und an dem Grabe des edlen Börne hat Mancher der Schmach des Vaterlandes gedacht, und den heiligen Schwur gethan, für die Freiheit zu kämpfen bis in den Tod.

 

Obgleich nun der nähere Zweck des Tages, die Ueberreichung der Adresse, erfüllt war, so fühlten es doch die Meisten, daß die Zeit der bloßen Demonstrationen vorüber sei, und das Bedürfniß wurde laut, die Kräfte der Deutschen zu vereinigen, um thatkräftig für die Sache der Menschheit zu wirken. Der Gedanke reifte schnell zur That. Noch denselben Abend wurde die Gesellschaft der deutschen Demokraten gegründet. Herwegh war Präsident, aber (Adelbert von) Bornstedt der eigentliche Leiter des Vereins. Der Zweck des Vereins war, Alles anzuwenden, um die Demokratie in Deutschland zur Geltung zu bringen und jede Volkserhebung mit Waffengewalt zu unterstützen. Die radikalen Mitglieder der provisorischen [französischen] Regierung sagten den deutschen Demokraten ihre Unterstützung zu [Stru49].

 

 

9. März

 

 

Karlsruhe: Einladung an das Badische Volk nach Offenburg

 

 Seltsam und erwähnenswert ist die Stellung, die das badische Militär, mit Ausnahme des 1sten Regiments (Leibregiment), und der Bruchsaler-Dragoner, gegen das Volk einnahm. In Mannheim, wo das 4te Regiment stationirt war, fraternisirte dasselbe mit den Republikanern. Eine Kneipe, die man „Republik" taufte, und in der die entschiedensten Republikaner zusammentrafen, war immer voll Soldaten. Das spätere energische Auftreten der Soldaten in Mannheim und der Festung Rastatt ist nur aus dem engen Anschließen derselben an die republikanische Partei zu erklären. Besonders nützlich waren die neu eingetretenen Conscriptionen, durch welche viele junge Republikaner mitten unter die Soldaten versetzt wurden [More49].

 

Am 9. März erschien folgende „Einladung an das badische Volk":

Die freiheitlichen Bestrebungen des badischen Volks entbehren der Einigung. Die Aufregung äußert sich theilweise in beklagenswerthen Ausbrüchen. Die Feinde der Freiheit und des Vaterlands treten zwar im Augenblick nicht offen auf, können aber leicht wieder ihre Macht entwickeln. Unter diesen Umständen ist zum Schutz der öffentlichen Ordnung und der Rechte des Volks ein Zusammentreten aller Freunde des Vaterlandes nothwendig, wenn sich nicht der gute Geist zersplittern oder gar von feindseligen Umtrieben unter« drückt sehen soll. Von diesen Erwägungen geleitet, laden die Unterzeichneten alle badische Staatsbürger, welche das Recht haben, Wahlmänner zu wählen, auf Sonntag, den 19. i. M,, Vormittags 10 Uhr, zu einer allgemeinen Versammlung nach Offenburg ein, wo das Weitere berathen und beschlossen werden wird.;
Karlsruhe, 9. März 1848.
 Dr. Hecker. Peter. Struve. Welker. E. Eller. v. Itzstein. Richter. Sachs. Kapp. Val. Streuber. Soiron. Straub. Metz. J. P. Grohe. Heinrich Hoff.

 

 Diese Einladung war somit von zehn Deputaten und fünf allgemein geliebten Volksmännern unterzeichnet. Die Vorbereitungen auf dieses Fest nahmen die ganze Zeit bis zum 19. März in Anspruch [More49].

 

 

12. März

 

 

Heidelberg: Einladung von Männern des Vertrauens des Volkes
nach Frankfurt zum 31. März

 

Nach getaner Arbeit erlässt ein von der Heidelberger-Versammlung gewählte Siebenerausschuss* am 12. März folgende Anzeige:

 

Der Ausschuß, welchen die zu Heidelberg am 5. März versammelten deutschen Männer beauftragten, vorläufig die Grundlagen einer nationalen deutschen Parlamentsverfassung zu berathen, hat über diese Grundlagen sich so weit geeinigt, daß dieselben einer größern Versammlung der Männer des Vertrauens unseres Volkes zur weiteren Berathung vorgelegt werden können. Wir laden demgemäß alle früheren oder gegenwärtigen Ständemitglieder und Teilnehmer gesetzgebender Versammlungen in allen deutschen Landen (natürlich Ost- und Westpreußen und Schleswig-Holstein mit einbegriffen) hiermit ein, sich Donnerstag, den 31. März in Frankfurt a. M. zu dieser Berathung einzufinden. Eine bestimmte Anzahl anderer durch das Vertrauen des deutschen Volkes ausgezeichneter Männer, die bisher nicht Ständemitglieder waren, werden noch besondere Einladungen erhalten. Alle diejenigen, welche dieser Einladung Folge leisten, bitten wir am 30., als am Anmeldungstage, oder vor der 1sten Sitzung etc.
Heidelberg, 12. März 1848.
*Binding, Gagern, Itzstein, Römer, Stettmann, Welker. Willich.
[More49]

 

So verläuft die Revolution in Baden und seiner Hauptstadt Karlsruhe in geordneten Bahnen. Derweil kommt es an anderen Orten zu blutigen Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit; etwa in Berlin und Wien:

 

 

13 März

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verklärter Marx. Portraitstudie am
Marx-Engels-Denkmal
 in Berlin 

 

Wien: Die Märzrevolution hat das Volk gemacht

 

Für den Vielvölkerstaat Österreich sind revolutionäre Erhebungen, die für Preußen letztlich ein logistisches Problem bei der Truppenverschiebung darstellen, existenzbedrohend, da sich in den nichtdeutschen Gebieten soziale Unzufriedenheit mit nationalistischen Autonomiebestrebungen mischt. Deshalb ist Metternichs Bestreben, die Bevölkerung zu entpolitisieren, ins Biedermeiertum abzudrängen getreu der Devise: Was Verfassung, was Verwaltung, Wiener Wahlspruch Unterhaltung [Böni14].

 

Da kommt es ausgelöst durch die Pariser Ereignisse in den italienischen Provinzen zu offenem Aufruhr, die Ungarn melden Ansprüche auf eine Verfassung und Selbstständigkeit an, die Tschechen zielen in ihrem Wenzelsbad-Programm auf Autonomie und in Galizien demonstriert die Landbevölkerung gegen die Feudallasten. Angesichts der bedrohlichen Lage an der Peripherie entwickelt sich die Revolution bei den bürgerlichen Kreisen in der Hauptstadt recht zögerlich, doch dann entladen sich soziale Spannungen und das Proletariat aus den Industrievorstädten Wiens ergreift die Initiative.

 

Hermann Jellinek ein Wortführer der Revolution schreibt: Die Märzrevolution hat das Volk gemacht, der Pöbel, auf den die Bourgeoisie so stolz herabblickt, das Gesindel, welches der hohe Adel für Bestien erklärt. Die Märzrevolution war das große Werk der Volksmassen [Dipp98]. So kommt es, dass in Wien bald Bürgerwehr und Nationalgarde den Arbeitern gegenüberstehen, um bürgerliches Eigentum zu schützen. Karl Marx als Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung in Wien hatte bereits 1845 das Credo aller Revolutionäre veröffentlicht: Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern, ein Zitat, welches in der DDR gut hundert Jahre später in goldenen Lettern in der Eingangshalle der Berliner Humboldt Universität prangt. Jetzt sieht er in den blutigen Auseinandersetzungen den Beginn des Kampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Wie sollte er auch anders.

 

Die Beliebtheit des immer noch regierenden Metternichs in österreichischen Landen lässt sich an folgendem Gebet ermessen: Vater unser Metternich, der du bist in Wien, entheiliget werde dein Name, zu uns komme nie mehr Deine Regierung, der Wille der Unterthanen geschehe, wie in Ungarn, so auch in Steiermarck, Oesterreich, Böhmen, Mähren und Schlesien, gib uns ein größeres Brod, nicht nur für heute, sondern auch für immer, und vergib uns unser Schimpfen und Schelten, wie auch wir vergeben Dir die neue Anleihe, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns durch Deine Millionen von allem Uebel, Amen.

 

Ein ähnlich böses Vater unser hatte das Volk bereits Maria Theresia gewidmet, und nun schickt es wegen der österreichischen Finanzpolitik noch ein aktuelles Ave Maria hinterher: Gegrüßest seist du Papiergeld, du bist voll des Betruges, der Kurs ist mit dir, du bist vermitleidet unter den Geldern, und vermaledeit ist der, der dich erfunden hat. Scheinheiliges Papiergeld, bitt für uns arme Unterthanen jetzt und in der Stunde unseres Leidens durch die Rinderzufuhr auf den Eisenbahnen, Amen [DHMB].

 

Der 74-jährige Metternich flieht am 13. März nach England und erinnert sich dabei schmerzlich seiner eigenen Worte: Die Zeit schreitet in Stürmen vorwärts, ihren ungestümen Gang gewaltsam aufhalten zu wollen, wäre ein eitles Unternehmen [Wieg07b].

 

Metternich auf dem Esel

 

Die Zeit jedoch arbeitet für die Konterrevolution. In den Provinzen zersprengen österreichische Truppen unter Feldmarschall Alfred, Fürst zu Windischgrätz im Juli einen nationalslawischen Kongress in Prag, der 81-jährige General Joseph Wenzel Graf Radetzky von Radetz bläst den Italienern bei Custozza seinen Marsch, dieweil Graf Josip Jellaci´c de Buzcim (auch ihm hat Johann Strauß Vater einen solchen gewidmet) einen Aufstand der Ungarn niederwirft.

 

Albrecht Adam: Radetzky vor Mailand

Nach Beruhigung der Peripherie kann Feldmarschall Windischgrätz im Oktober frische Truppen nach Wien führen und dort die Revolution blutig niederschlagen. Auf beiden Seiten fallen etwa 7000  Menschen, Soldaten wie Revolutionäre. Anschließend werden die Anführer der Aufstände, so auch Hermann Jellinek, hingerichtet.  Der Abgesandte der Frankfurter Nationalversammlung Robert Blum wird, ohne auf seine Immunität als Abgeordneter Rücksicht zu nehmen, in seinem Hotel verhaftet und am 9. November standrechtlich erschossen.

 

Robert Blum weist die Augenbinde von sich: Das Grab des Freien ist der Freiheit Wiege.

 In einem Neuanfang übergibt der kinderlose Kaiser Ferdinand im Dezember in Olmütz seinem Neffen Franz Josef den Thron. Des neuen Kaisers selbstbewusstes WIR in seiner Proklamation, vom Volk spöttisch mit den Initialen der siegreichen Militärführer identifiziert, zeigt, dass die Reaktion auf der ganzen Linie gesiegt hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Michel mit seiner Kappe
aus dem Eulenspiegel von 1848

 

Berlin: Ich fühle mich ganz und gar von Gottes Gnaden

 

Schon kurz nach seiner Thronbesteigung 1840 hatte König Friedrich Wilhelm IV. klargestellt: Ich fühle mich ganz und gar von Gottes Gnaden und werde mich so mit seiner Hilfe bis zum Ende fühlen … Glanz und List überlasse ich ohne Neid sogenannten konstitutionellen Fürsten, die durch ein Stück Papier dem Volke gegenüber eine Fiktion, ein abstrakter Begriff geworden sind. Ein väterliches Regiment ist deutscher Fürsten Art … [Wink00].

 

Friedrich Wilhelm IV.

 

Am 11. April 1847 nimmt der König in seiner Thronrede bei der Eröffnung des jahrelang hinausgezögerten Vereinigten Landtags das Thema des Gottesgnadentum wieder auf: Nie und nimmer gebe ich zu, dass sich zwischen unseren Herr Gott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt gleichsam als einen zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen[Wink00, Salt14], und, dass es keiner Macht der Erde je gelingen soll, mich zu bewegen, das natürliche Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles, konstitutionelles zu wandeln [Berh09].

 

Als Friedrich Wilhelm am 28. Februar 1848 die Meldung vom Sturz Louis-Philippes erreicht, kommentiert er knapp: Der Satan ist wieder los. Die Stimmung der Menschen in Preußen ist gereizt, haben sich doch nach schlechten Ernten die Preise für die Grundnahrungsmittel Getreide und Kartoffeln verdoppelt oder sogar verdreifacht. Es kommt vielerorts zu Brotunruhen und Hungerkrawallen.

 

Auch muss Preußen um seine Randgebiete fürchten: den polnischen Nationalismus in Westpreußen, die Armut der Weber in Oberschlesien, die Antistimmung im katholischen Rheinland, welches noch immer mit dem Anschluss an Preußen hadert, und das aufkommende Proletariat im Ruhrtal: Mann der Arbeit aufgewacht! Und erkenne Deine Macht! Alle Räder stehen still, Wenn Dein starker Arm es will.

 

Auch aus anderen Ländern des Deutschen Bundes treffen beunruhigende Neuigkeiten in Berlin ein. So am 29. Februar die Nachricht über die Gewährung der Pressefreiheit im Großherzogtum Baden.

 

Als das Königreich Württemberg nachzieht, gibt am 3. März der Bundestag in Frankfurt unter dem Druck des Volkes grünes Licht: Es sei jedem Mitglied freigestellt, die Pressefreiheit einzuführen. Schon in der Mitte März sprach man von einer bedenklichen Stimmung der Arbeiter. Man hörte von Arbeiterversammlungen, wobei es zu keinen Excessen kam, wo die Leute sich aber auf drohende Weise über die Lage ihres Standes (?) ausließen. Zugleich bedeutende Truppenzusammenziehungen um Halle, man wußte nicht gegen wen. — Auch anderswo waren bedeutende Truppenmassen beisammen, vor Allem in Berlin [More49]. 

 

Immer häufiger kommt es in der aufgeladenen Atmosphäre der preußischen Hauptstadt zu Konfrontationen zwischen Soldaten und Bürgern, die mit Säbelhieben und durch Gewehrschüsse verletzt oder getötet werden. Der Obrigkeit sind vor allem die Treffen der Oppositionellen im Ausflugslokal Unter den Zelten im Tiergarten ein Dorn im Auge, zumal im Laufe des März Arbeiter vermehrt zu den Versammlungen strömen, nachdem der Berliner Lokomotivbauer Borsig wegen der Welthandelskrise Anfang März ein Drittel seiner Belegschaft entlassen hatte.

 

Montagehalle des Lokomotivkönigs Borsig. Im 20. Jahrhundert lehrte mich dann mein Vater den Vers:
Wer nie bei Siemens war, bei AEG und Borsig,
der kennt des Lebens Leid noch nicht, der hat es erst noch vor sich!

Am 14. Abends umzingelte Militär eine Versammlung unter den Zelten. Die Leute, die überall eingeschlossen waren, bekamen nun den Befehl auseinander zu gehen, obwohl nirgends ein Ausweg war. Da man der Aufforderung nicht gehorchen konnte, wurde eingehauen, wobei bedeutende Verwundungen vorfielen. Bald nachher floß wieder auf ähnliche Weise Blut in der Brüderstraße, auf der Jungfernbrücke und anderswo. Mitten in die Schandthaten der preußischen Soldaten kam nun wie ein Wetterschlag die Nachricht von der Revolution in Wien und dem Siege des Volkes daselbst [More49]. Die Nachricht von der Flucht Kanzler Metternichs aus Wien erreicht den König in seiner Potsdamer Residenz am 15. März.

 

Da befindet Friedrich Wilhelm: Nu werd ick nach Berlin missen, damit se mir nich dort ooch dolle Streiche machen [Berh09]. Und so befindet der Chronist Karl August Varnhagen von Ense: Man erwartete nur sehnlichst die gute Gelegenheit, das unverschämte Volk die Zuchtruthe fühlen zu lassen, in die Massen einzuhauen oder sie niederzuschießen [Sont14].

 

An den Iden des März ging der Kampf gegen die modernen Cäsaren los, von Männern, welchen die Republik noch nicht eine schöne Vergangenheit ist, sondern die sie vor sich haben, die Republik, die noch nie ohne Bluttaufe in's Leben getreten [More49]. Am 17. März kondensieren sich die Proteste der Berliner Bevölkerung in vier Märzforderungen:

 

1. Zurückziehung der militärischen Macht
2. Organisation einer bewaffneten Bürgergarde
3. Pressefreiheit
4. Einberufung des Vereinigten Landtags

 

 Diese vier Punkte sollen am folgenden Tag als Sturmpetition im Rahmen einer Massendemonstration vor dem Stadtschloss vorgebracht werden [Pröv98]. Am 18. März Nachmittags hatte nun der König der Kölner Deputation Preßfreiheit, Ministerwechsel und Berufung des Landtags auf den 2. April zugesagt. Das Volk drängte sich unter Jubel und Vivatgeschrei um den Palast [More49].

 

Als Friedrich Wilhelm sich am frühen Nachmittag des 18. März auf dem Balkon des Stadtschlosses der Menge zeigt und zu ihr spricht, brandet stürmischer, fast trunken zu nennender Beifall auf. Ein Staatssekretär verliest das Patent des Königs: Der König will, dass Pressefreiheit herrsche; der König will, dass der Landtag sofort berufen werde; der König will, dass eine Konstitution auf der freisinnigsten Grundlage alle deutschen Länder umfasse; der König will, dass eine deutsche Nationalflagge wehe; der König will, dass alle Zollschlagbäume fallen; der König will, dass Preußen sich an die Spitze der Bewegung stelle [Schr11]. Was für ein Programm aus der Angst geboren!

 

 

18. März

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kartätschenprinz Wilhelm um 1848

Berlin: Verrat! Man schießt auf uns!

 

Und es  fehlt nicht an Skeptikern. So fühlt der Student Paul Boerner: Was kümmerten in diesem Augenblick die königlichen Konzessionen, es waren leere Worte geworden, Phrasen [Berh09].

 

Das Volk verharrt auf dem Schlossplatz, wirkt auf den Monarchen zunehmend bedrohlich und so erteilt er dem Stadtkommandanten General von Prittwitz den Befehl, die Leute mit der Kavallerie ohne gezogenen Säbel vom Platz zu drängen. Bruder Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I. (1871-1888), soll verlangt haben: Und nur tüchtig, blindlings und schonungslos [Sont14]. Dabei lösen sich versehentlich (?) zwei Schüsse. Die Menge stiebt auseinander aufgeregt bis zur rasenden Wut, knirschend, bleich, atemlos. Verrat! Man schießt auf uns!

 

 Revolutionäre auf den Barrikaden in der Breiten Straße, gegen die das Militär fünfmal stürmt.
Dabei werden 4 Offiziere und 30 Mann getötet

Zeitzeuge Varnhagen von Ense berichtet über den nun folgenden Barrikadenbau: Einige wohlgekleidete junge Leute, dem Ansehen nach Studenten, gaben Anleitung und Befehl, eine gemischte Menge, Hausknechte, Bürger, Alt und Jung, waren eifrig am Werk, Droschken und Wagen wurden angehalten und umgestürzt, die Rinnsteinbrücken und das Pflaster aufgerissen. Fässer und Kästen herbeigeholt. Alles wurde ohne viel Geräusch, mit großer Ordnung und Folgsamkeit ausgeführt [Sont14].

 

Nun begann der blutige Kampf. Die Volksmasse wuchs lawinenschnell. Ueberall Barrikaden. Wildes Straßengefecht bis zum Morgen des 19. [More49].

 

Vertraute beschwören den König, das Feuer einstellen zu lassen, doch Bruder Wilhelm widerspricht: Nein, das soll nicht geschehen, nimmermehr! Eher soll Berlin mit allen seinen Einwohnern zu Grunde gehen. Wir müssen die Aufrührer mit Kartätschen zusammenschießen!

 

Nach pessimistischen Meldungen seitens von Prittwitz‘ von der Straßenfront biedert sich der König an der Macht hängend, väterlich und thrähnenreich mit einer Proklamation An meine lieben Berliner beim Volk an und schildert die Ereignisse aus seiner Sicht:

 

 

 Als die lieben Berliner auf seinen Aufruf ihren unseligen Irrtum nicht erkennen wollen und lediglich drei Barrikaden räumen, sieht Friedrich Wilhelm ein, dass mit militärischer Gewalt nichts gegen den Volksaufstand auszurichten ist. So heißt er die Truppen aus Berlin abrücken und stimmt einer Bürgerbewaffnung zu.

 

Seinem Bruder, inzwischen als der Kartätschenprinz* beim Volk verhasst, befiehlt der König, sofort nach London zu reisen, wo er unter dem Pseudonym Lehmann untertaucht. Derweil singen die Berliner Spottlieder auf ihn:

*der Freiheitskämpfer Max Dortu prägt diesen Beinamen, worauf er wegen Majestätsbeleidigung zunächst verurteilt, dann in einem Berufungsverfahren aber freigesprochen wird

 

Schlächtermeister Prinz von Preußen
Komm doch, komm doch nach Berlin!
Wir wollen Dich mit Steinen schmeißen
Und auf die Barrikaden ziehn.

 

 

19. März

Berlin: Der König soll die Leichen sehen

 

Am 19. März bringt die Menge die Wagen mit den Getöteten, die blutigen Wunden aufgedeckt bekränzt mit Blumen und Laub, in den Hof des Stadtschlosses. Die Menge ruft: Der König soll die Leichen sehen und Friedrich Wilhelm verneigt hinter einem Fenster stehend vor den Särgen [Sont14].  

 

Wie vom König in seinem Patent verlangt tritt unbeeindruckt von den blutigen Ereignissen unter dem Vorsitz Adolf Heinrich Graf von Arnim-Boitzenburgs als Ministerpräsident am 19. März eine preußische Regierung zusammen, die für den Mai Wahlen zu einer verfassungsgebenden (preußischen) Nationalversammlung vorbereiten soll.

 

Am 21. März lässt Friedrich Wilhelm IV. folgende Proklamation veröffentlichen:

 

Eine neue glorreiche Geschichte hebt mit dem heutigen Tag für Euch an! Ihr seid fortan wieder eine einige große Nation, stark, frei und mächtig im Herzen von Europa! Preußens Friedrich Wilhelm IV. hat Sich, im Vertrauen auf Euren heldenmüthigen Beistand und Eure geistige Wiedergeburt, zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Gesammtvaterlands gestellt. Ihr werdet Ihn mit den alten, ehrwürdigen Farben deutscher Nation noch heute zu Pferd in Eurer Mitte erblicken. Heil und Segen dem konstitutionellen Fürsten, dem Führer des gesammten deutschen Volkes, dem neuen Könige der freien wiedergebornen deutschen Nation!

Berlin, 21. März 1848. [More49]

 

Da schlägt die Stimmung spürbar um, denn als Friedrich Wilhelm und seine Begleiter drapiert mit den Farben schwarz-rot-gold  hoch zu Ross durch Berlin reiten, jubeln ihnen Bürger und Aristokraten zu. Der König ... zog über die blutgetränkten Straßen, das schwarz-roth-goldne Banner in der Hand und rief sich selbst zum Vorkämpfer der deutschen Freiheit aus. Die Truppen bekamen schwarz-roth-goldne Kokarden. — Was sind Worte, diesen Thatsachen gegenüber? Wem zuckt nicht bitterer Hohn um die Lippen? — Jedenfalls waren die Helden und Märtyrer dieser Tage, die Republikaner, nicht unter den tollen Schaaren, die das königliche Komödienspiel mit so ungeheuern Applaus begleiteten [More49].

Als Friedrich Wilhelm die Universität passiert, hält er an und wendet sich an die Studenten: Ich trage die Farben, die nicht meine sind, aber ich will damit nichts usurpieren, ich will keine Krone, keine Herrschaft, ich will Deutschlands Einigkeit, ich will Ordnung, das schwöre ich zu Gott! Ich habe nur gethan, was in der deutschen Geschichte schon oft geschehen ist, daß mächtige Fürsten und Herzöge, wenn die Ordnung niedergetreten war, das Banner ergriffen und sich an die Spitze des deutschen Volkes gestellt haben, und ich glaube, daß die Herzen der Fürsten mir entgegenschlagen und daß der Wille des Volkes mich unterstützen werden [Berh09].

 

Am Abend setzt der König noch einen drauf und erlässt einen Aufruf an mein Volk und die deutsche Nation: Ich übernehme heute die Leitung für die Tage der Gefahr ... Ich habe heute die alten deutschen Farben angenommen und Mich und Mein Volk unter das ehrwürdige Banner des deutschen Reiches gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf [Wieg07b, Wink00].

 

 

22. März

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

General von Wrangel

 

Berlin: Jetzt fehlt bloß noch die Guillotine!

 

Am Morgen des 22. März werden unter großer Anteilnahme der Bevölkerung 183 tote Barrikadenkämpfer auf dem Gendarmenmarkt auf den Stufen des Deutschen Doms aufgebahrt. Nach einer Trauerfeier bewegen sich endlos lange Züge zum neu eingerichteten Friedhof der Märzgefallenen in Friedrichshain.

 

Königin Elisabeth hatte beim Ausbruch der Aufstände gejammert: Jetzt fehlt nur noch die Guillotine, doch als die ersten Trauernden am Nachmittag am Stadtschloss vorbeikommen und der König auf den Balkon tritt, verlangt das Volk nicht seinen Kopf, sondern lediglich: Hut ab! Gedemütigt aber auch erleichtert zieht Majestät seine Militärmütze und verneigt sich vor den Gefallenen, die sein Bruder Wilhelm hatte zusammenkartätschen lassen.

 

Adolph von Menzels unvollendetes? Bild: Aufbahrung der Märzgefallenen (Wikipedia)

Bei den vielen Trauerzügen, die sich über Stunden hinzogen, musste Friedrich Wilhelm seine Zeremonie mehrmals wiederholen. Der Maler Adolph von Menzel war Augenzeuge: So oft nun ein Zug Särge vorbeikam, trat der König barhaupt heraus und blieb stehen, bis die Särge vorüber waren. Sein Kopf leuchtete von Ferne wie ein weißer Flecken. Es mag wohl der fürchterlichste Tag seines Lebens gewesen sein. - Die Züge waren auch endlos [Wiki].

 

 

Berlin: Auch im Tiergarten darf geraucht werden, meine Herren

 

Männern voll des ächten alten Berliner Geistes, die versuchen, zum König vorzudringen, wird beschieden, eure Forderungen sind erfüllt: Ooch dat Roochen? Ja, auch das Rauchen. Ooch im Dierjarten? Ja, auch im Tiergarten darf geraucht werden, meine Herren* [Wieg07b]. Das stört die Brüder Grimm, die in Berlin in der Lennéstraße an dem großen Park wohnen und an ihrem Deutschen Wörterbuch arbeiten oder besser sich verzetteln, bei ihren häufigen Spaziergängen: Jeder geht, wie üblich, eigene, von Lenné geebnete Wege, auf denen ihnen zu ihrem Ärger manchmal Pfeifen- und Cigarrenraucher begegnen, obgleich nach kurzer Duldung das Rauchen im Tiergarten [erneut] verboten ist [Gras10].

*Rauchen in der Öffentlichkeit war vor dem 18. März 1848 in Preußen verboten.  

 

 

 

Sich entschuldigend hatte der König an seinen Bruder Wilhelm in London geschrieben: Die Reichsfarben musste ich freiwillig aufstecken, um Alles zu retten. Ist der Wurf gelungen, so lege ich sie wieder ab. Der Wurf gelingt, nachdem Mitte September in Potsdam zunächst Soldaten gegen ihre Offiziere meutern und Friedrich Wilhelm General Friedrich von Wrangel zum Oberbefehlshaber aller Truppen zwischen Elbe und Oder ernennt. In einem Tagesbefehl weist Papa Wrangel seine Soldaten an: Haltet an Euren Offizieren fest, wie die an Euch; zwischen beiden darf sich kein fremdes Element einschleichen und ködert seine Soldaten mit dem Versprechen von Solderhöhungen [Sont14a].

 

Als Wrangel am 6. Oktober mit seinen Truppen vor Berlin steht und nur auf den Befehl zum Einmarsch wartet, verhängt der König den Belagerungszustand über die Stadt. Dem bayrischen Gesandten sagt er: Jetzt bin ich wieder ehrlich [Sont14a].

 

Am 10. November zieht Wrangel mit 12 000 Soldaten durchs Brandenburger Tor.  Die Bürgerwehr wird entwaffnet, die Nationalversammlung, die sich bis dato über eine neue Verfassung gestritten hatte, aufgelöst. Seit dem 14. November herrscht in der Stadt das Kriegsrecht. Am 5. Dezember schließlich oktroyiert Friedrich Wilhelm dem preußischen Volk eine, seine Verfassung [Goer06].

 

Schließich kehrt Prinz Wilhelm aus seinem Londoner Exil nach Berlin zurück. Als er die Straße Unter den Linden hinunterreitet, begrüßt ihn die Menge: Da kommt Lehmann! [Fisc06].

 

Der Historiker Sigismund Stern schreibt dann 1850 auf die Märzereignisse zurückblickend über die Verdummung des Volkes: Die riesigen schwarz-roth-goldenen Fahnen, welche alsbald von der Kuppel des königlichen Schlosses und anderen Gebäuden herniederwehten, und mit denen andern Tages jedes Haus geschmückt war, wurden zum Blendwerk des Volkes und zur täuschenden Hülle für die geheimen Pläne der Reaction, bis diese stark genug war, offen mit derselben hervorzutreten [Dipp98].

 

Florian Mördes fasst die Entwicklung in Preußen so zusammen: Zwar hatte der Märzkampf [] in Berlin die Zusage des constitutionellen Systems gebracht. Die nöthigen Gesetze waren hiezu gegeben worden, und die Nationalversammlung kam zusammen. Aber bis dahin hatte das Königthum wieder neuen Boden gewonnen. Herr Wrangel wurde Diktator, Herr Pfuel war Minister, und der König hielt an die schwarzbefrackte Volksvertretung bei der unterthänigen Aufwartung folgende lakonische, vielbedeutende Rede: Wir besitzen, und wir werden darum wohl von vielen Seiten beneidet, noch eine angestammte Obrigkeit von „Gottes Gnaden", welche noch mit voller Macht ausgestattet ist. Sie ist das Fundament, auf welchem einzig und allein das Gebäude aufgeführt werden kann, wenn es von Dauer sein soll. Meine Herren, ich bin sehr erfreut, Sie gesehen zu haben, es ist gut, sich von Zeit zu Zeit zu sehen [Mörd49].

 

 

19. März

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Entschließung der Volksversammlung zu Offenburg 

Offenburg: Die Volksversammlung

 

Der Eindruck der Wiener- und Berliner-Ereignisse in Süddeutschland, besonders in Baden, war, wie sich denken läßt, außerordentlich. Die Nachrichten des Verrathes und dann des glorreichen Sieges des Volkes kamen noch in den letzten Tagen vor der Öffenburger-Versammlung nach Baden. Die Republikaner wollten damals schon losbrechen. — Allgemein erwartete man, daß die Versammlung, die Sonntags, den 19. März, in Offenburg stattfand, die Republik proklamiren würde. — Eine Menschenmasse von mehr als 20,000 Mann, durch das demokratische Komite zusammenberufen, faßte einstimmig die Beschlüsse, die in dem unten angeführten Manifest aufgezählt sind [More49]:

 

Die Volksversammlung zu Offenburg

am 19. März 1848

Bereits unterm 12. September v. J. stellte die Versammlung zu Offenburg die Forderungen des Volkes fest.

Sie verlangte damals schon unter anderen namentlich eine volksthümliche Wehrverfassung, eine gerechte Besteuerung, Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital und Abschaffung aller Vorrechte. Die Regierung hat diesen Forderungen mit Hochverrathsprozessen geantwortet, allein das Volk hat sie beim Zusammentritt des Landtages erneuert und nach dem gewaltigen Umsturze im Westen mit gesteigerter Kraft auf deren Erfüllung gedrungen. Diesem unwiderstehlichen Drange nachgebend, haben dieselben Regierungsmänner, welche die Redner der Offenburger Versammlung vom 12. September mit Hochverrathsprozessen verfolgt hatten, Zugeständnisse gemacht, deren Halbheit nur schlecht den Hintergedanken verhüllte, bei günstiger Gelegenheit, wie im den dreißiger Jahren, die abgedrungenen Zugeständnisse zurückzunehmen und in ihr Gegentheil zu verkehren.

Das Volk hat erkannt, daß die ihm zum Theil gewordenen Zugeständnisse nicht der staatsmännischen Einsicht und dem guten Willen der Machthaber, sondern den gewaltigen Bewegungen des Volkes, der äußeren Anregung der französischen Revolution und den Kundgebungen vom 1. und 2. März d. J. zuzuschreiben seien.

Jeder denkende Freund des Vaterlandes erkennt klar und deutlich, daß in den Pariser Februartagen nur der Anfang einer Völkerbewegung gemacht worden sei, welcher mit unabweisbarer Nothwendigkeit seine Fortsetzung in allen Staaten Europa's erlangen müsse.

Der Kampf der Volksherrschaft und der Einherrschaft hat begonnen. Deutschland, seit Jahrhunderten das große Schlachtfeld aller staatlichen und kirchlichen Kämpfe, wird auch jetzt wiederum den Zusammenstoß zwischen dem despotischen Nordosten und dem freigesinnten Südwesten Europa's am schwersten empfinden. Darum thut es Noth, daß unser Vaterland bei Zeiten eine feste Stellung seinen auswärtigen und inneren Feinden gegenüber einnehme.

Es verlangt daher vor allen Dingen:

Ein deutsches Parlament,

welches im Großen seine Verhältnisse nach Innen und Außen kräftig ordne und frei gestalte, und dessen erste Aufgabe sein wird, der deutschen Nationalität und Selbstständigkeit Anerkennung zu verschaffen.

Was insbesondere unsere badenschen Angelegenheiten betrifft, so erklärt die Volksversammlung von Offenburg:

I. Mehrere Mitglieder der Regierung und der größte Theil der Beamten besitzen das Vertrauen des Volkes nicht, weil Einzelnen der gute Wille, Anderen die erforderliche Kraft fehlt. Das Volk kann kein Vertrauen in Männer setzen, welche vor wenigen Wochen noch als revolutionär bekämpften, was sie theilweise jetzt selbst zugestanden haben. Es läßt sich nicht täuschen durch das Vorschieben liberaler Persönlichkeiten. Anstößig ist dem Volke namentlich der Einfluß, welchen der Markgraf Wilhelm* seit langer Zeit auf die Staatsgeschäfte überhaupt und das Militärwesen insbesondere ausgeübt hat. Nicht minder anstößig ist ihm der Einfluß einiger Personen aus der nächsten Umgebung des Großherzogs, welche man mit dem Namen Camarilla zu bezeichnen pflegt.

II. Das Volk hat kein Vertrauen zu der ersten Kammer der Ständeversammlung, da dieselbe aus Privilegirten besteht, welche ihren Sonderinteressen das Wohl des Volkes stets geopfert haben. - Das Volk verlangt Abhülfe gegen diesen Uebelstand vermittelst einer Revision der Verfassung.

III. Das Volk hat kein Vertrauen zu einer großen Anzahl der Mitglieder der zweiten Kammer, da dieselben durch Wahlbeherrschung und Wahlverfälschung unter dem Einfluß der Censur und der Polizei gewählt wurden, und sich als blinde Werkzeuge in den Händen jeden Ministeriums erwiesen haben. - Das Volk verlangt den Rücktritt der reactionären und gesinnungslosen Parthei der zweiten Kammer.

IV. Das Volk besitzt durchaus keine Bürgschaften für die Verwirklichung seiner Forderungen und die Begründung eines dauerhaften Zustandes der Freiheit. Es muß sich diese Bürgschaften selbst verschaffen:

Demzufolge bildet sich:

1) In jeder Gemeinde des badenschen Landes ein vaterländischer Verein, dessen Aufgabe es ist, für die Bewaffnung, die politische und sociale Bildung des Volkes, so wie für die Verwirklichung aller seiner Rechte Sorge zu tragen.

2) Sämmtliche Vereine eines Wahlbezirks bilden einen Bezirksverein, sämmtliche Bezirksvereine einen Kreisverein, die vier Kreisvereine einen Landesverein.

3) An der Spitze jedes dieser Vereine steht ein leitender Ausschuß.

4) Für jeden dieser Vereine bildet sich sofort eine Vereinskasse zur Bestreitung der nothwendigen Auslagen.

5) Alle Provinzen Deutschlands sollen aufgefordert werden, ähnliche Vereine zu bilden, und mit dem badenschen Landesvereine in freundschaftlichen Verkehr zu treten.

V. Das Volk verlangt von der Ständeversammlung, daß sie die entschiedensten Maßregeln treffe, um zu bewirken, daß die Regierung:

1) Sofort eine Verschmelzung der Bürgerwehr und des stehenden Heeres durchführe zum Behufe der Bildung einer wahren, alle waffenfähigen Männer umfassenden Volkswehr.

2) Alsbald alle Abgaben abschaffe, außer den Zollvereins=Abgaben und etwa der direkten Steuern, und ihre Ausgabe decke durch eine progressive Einkommen= und Vermögensteuer.

3) Daß sofort alle Vorrechte, welchen Namen sie tragen, abgeschafft werden.

4) Daß ungesäumt die Schule von der Kirche getrennt werde.

Vorstehende Anträge wurden der Vollversammlung vorgelegt und von derselben mit nachfolgenden Abänderungen und Zusätzen mit überwältigender Stimmenmehrheit angenommen:

Zu I. wurde beschlossen, statt "mehrere Mitglieder der Regierung" zu setzen: der Präsident des Kriegsministeriums.

Zu II. wurde angenommen mit dem Zusatze: Das Volk will nur eine Kammer.

Zu V. 1) wurde angenommen mit der Abänderung, statt sofort: unverzüglich, oder auf der Stelle.

Zu V. 2) wurde angenommen mit dem Zusatze: wir wollen eine wohlfeile Regierung, Abschaffung der Apanagen und unverdienter Pensionen.

Zu V. 4) wurde angenommen, mit dem Zusatze: die Pfaffen haben zu viel, die Lehrer zu wenig. Wir wollen gerechte Ausgleichung dieses Mißverhältnisses.

Nachdem diese Beschlüsse gefaßt worden waren, wurden folgende Männer zu Mitgliedern des Central=Ausschusses gewählt:

1. Unterrheinkreis:

G. Struve von Mannheim.                            Bürgermeister Winter von Heidelberg.

Heinrich Hoff von Mannheim.                     Junghans von Mosbach.

2. Mittelrheinkreis:

Brentano von Bruchsal.                                Rehmann von Offenburg.

Bürgermeister Rée von Offenburg.              Schubert von Lahr.

3. Oberrheinkreis:

Kiefer von Emmendingen.                            Torret von Waldshut.

Rotteck von Freiburg.                                 Weißhaar von Lottstetten.

4. Seekreis:         

Würth von Konstanz.                                   Bürgermeister Emmert von Möskirch.

Vanotti prakt. Arzt von Konstanz.                Grüninger von Donaueschingen.

Als Obmann:

Friedrich Hecker von Mannheim.

*dritter Sohn Ghz Leopolds und Bruder des späteren Friedrich I.

 

Seltsam war die Stellung der Parteien. Von einem entschiedenen Konstitutionalismus war unter den ersten Männern keine Rede. Mit wenig Ausnahme besonders Welker's, der vor einer Proklamation der Republik mit Eifer warnte, waren alle Männer, die das Volk zusammenberufen hatten und sich sonst als Sprecher einfanden für die Republik. Nur schied man sich in diejenigen, welche die Republik jetzt schon proklamirt sehen wollten und in solche, welche glaubten, man müsse noch zuwarten. Diese letztere Meinung gewann im Rathe der Volksmänner die Oberhand und man beschloß zwar auf die Nothwendigkeit der Republik hinzudeuten, eine Proklamation derselben aber zu unterlassen. Itzstein eröffnete die Versammlung in väterlichen Worten und brachte zum Schluß die Nachricht von dem Amnestiedekret. — Nach ihm trat Struve auf und erklärte in meisterhafter Rede die Lage des Landes, die Notwendigkeit durchgreifender Verbesserungen und brachte alle Vorschläge vor das Volk [Mor49]. Er wirft der badischen Regierung vor, die Vertreter der 13 Forderungen des Volkes vom September des vergangenen Jahres mit Hochverratsprozessen verfolgt zu haben; dann unter dem Eindruck der Volksbewegung Anfang März den damaligen Forderungen zwar zugestimmt zu haben, aber mit deren verzögerter Umsetzung nur Zeit für die Rücknahme der Zugeständnisse bei nächster Gelegenheit gewinnen zu wollen.

 

Ihm folgten andere Redner, so (Alexander von) Soiron, der das Volk schwören ließ, an seinem Rechte unverbruchlich zu halten, so ein greiser 80jähriger katholischer Priester, der früher Abgeordneter war und nun sein Schicksal selig pries, daß er diesen Tag noch gesehen habe [Mor49].

 

 

Offenburg: 34 Fürsten oder eine Republik?

 

Heftige Diskussionen in der Volksversammlung entbrennen über die nächsten zu unternehmenden Schritte. So lässt Joseph Fickler  in der Versammlung ein radikales Flugblatt mit dem Titel: 34 Fürsten oder eine Republik? verteilen. Darin liest man:

 

Die Last der Abgaben erdrückt das Volk; ein gedrücktes Volk aber ist nie frei. Und wenn seine Führer glauben, das Volk sei zufrieden mit den schönen Reden, wenn sie glauben, es lasse sich heute noch länger vertrösten und hinhalten, so wird es sich bald zeigen, daß sie sich irren, und daß das Volk sich von den bisherigen Führern trennt und auf eigene Faust handelt.

 

Wir werden unter der bisherigen Fürstenherrschaft also weder frei, noch einig, noch wohlfeil regiert sein. Darum Volk mahne deine Führer ernsthaft: Muth und Entschlossenheit zu zeigen oder handle selbst. Fort mit den Fürsten und ihrem Anhang; wir wollen uns selbst regieren, einig, frei und wohlfeil.

 

Es lebe die Republik.

Offenburg, 19. März 1848

 

Als der Liebling des Volkes, Friedrich Hecker, erschien, hatte der Jubel kein Ende. Einige Minuten währte der freudige Zuruf und es war ein seltsamer Anblick, zu sehen, wie aus dieser ungeheuern Masse die tausend und tausend Mützen und Hüte auftauchten und hin und her geschwenkt wurden, während aus allen Fenstern ringsherum weiße Tücher wehten. Man hatte unter Anderm ein neues Ministerium verlangt: „Hecker muß hinein!", erscholl es tausendstimmig. Hecker aber sprach vor Allen am hellen lichten Tage aus: "Fürstendiener kann ich nicht sein. Wir wollen frei werden und nicht daran denken, das alte Geschäft unter neuer Firma fortzusetzen." Da begann der Jubel wilder und stürmischer als zuvor. Hecker hatte sich zurückgezogen, doch das Volk wollte ihn noch einmal sehen und mit ruhiger aber hochst bewegter Stimme dankte nun Hecker dem Volk mit wenigen Worten. — Mathy hörte das Alles und sah Allem aus dem neben dem Balkon befindlichen Versammlungssaale zu. — Von ihm sprach kein Mensch, keine Stimme ertönte für ihn, sein Name blieb, unerwähnt— eine Thatsache, die sehr unerklärlich scheint* [More49].

*Sahen die Versammelten hier die unrühmliche Rolle Mathys bei der weiteren Entwicklung der revolutionären Ereignisse in Baden voraus?

 

Nach Schluß der Reden brachte nun Struve die einzelnen Punkte dem Volke zur Abstimmung vor, die dann auch alle einstimmig angenommen wurden. Interessante Zwischenfälle waren mehrere, z. B. als über die Trennung der Schule von der Kirche gesprochen wurde, ertönte eine Stimme aus dem Volke: „Die Pfaffen müssen weniger und die Schullehrer müssen mehr haben." Da rief das Volk tausendstimmig: „Ja! ja! die Pfaffen weniger, die Schullehrer mehr!" und jubelnd und lachend wurden die Hüte geschwenkt. — Der letzte der Vorschläge war die Eintheilung des Landes in politische Kreise, mittelst welchen die vaterländischen Interessen besprochen und die neuen Einrichtungen in's Leben gesetzt werden sollten. Zum Obmann aller Kreise wurde Hecker vorgeschlagen, was dann das Volk mit unendlichem Jubel annahm [More49].

 

 

 

 

 

Karlsruhe: Jetzt ist es Zeit!

 

Deutschlands südwestliche Peripherie ist für revolutionäre Erhebungen prädestiniert. Baden hat 50 Stunden Gränze mit dem revolutionären Frankreich und 30 mit der Schweiz, in der es keine Fürsten gibt und wo nach dem Sonderbundkrieg von 1847 der Einfluss des konservativ religiösen Lagers geschwächt ist. Beide Staaten sind eine Quelle idealistischer Mitstreiter und ideale Rückzugsräume für deutsche Revolutionäre. So schreibt Hecker zuversichtlich: Die Beschlüsse der Offenburger Versammlung sind bekannt, das Volk wurde von dem Schreiber dieses (Hecker) aufgefordert, sich zu bewaffnen und bereit zu halten, um auf den erschallenden Ruf: Jetzt ist es Zeit! die Feuerzeichen auf den Bergen anzuzünden, sich in Massen zu erheben für den deutschen Freistaat [Heck48].

 

Doch nun bekommen die Menschen Furcht vor radikalen Umwälzungen und möglichem Krieg und wagen nicht den Schritt zu einem republikanischen Umsturz [Gall07]. Deshalb setzt Struve seine Hoffnung für eine deutsche Republik auf das Frankfurter Vorparlament. Statt auf Landesebene das Volk zu einer Erhebung aufzufordern, versucht er, die Deputierten in Karlsruhe in Verhandlungen für seine Forderungen nach mehr Demokratie in einer Republik zu gewinnen. Doch die Gespräche verlaufen zäh, denn auch in Baden ist das Lager der Erneuerer gespalten zwischen Anhängern einer konstitutionellen Monarchie und einer Republik. Schließlich bestimmt die Offenburger Versammlumg die Einsetzung eines 17-köpfigen Zentralausschusses, dem zwar Brentano, Hecker und Struve angehörten, Fickler bezeichnenderweise jedoch nicht [Enge10].

 

 

24. März

 

Paris: Die Gesellschaft der deutschen Demokraten bittet um Waffen

 

Mit Maueraufklebern bittet die Société démocratique allemande um Waffen: Déposer les armes 64 rue Montmartre au bureau central des Républicains allemands et chez M. Georges Herwegh, 13 boulevard des Capucines [Kata48].

 

Als die deutschen Männer ihrer Meinung nach genügend Waffen beieinanderhaben, bitten sie ihren Präsidenten, sie nach Deutschland zur Unterstützung ihrer Landsleute bei den bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit zu führen. Es formieren sich etwa 7000 Mann in fünf Bataillonen, die ab dem 24. März in Richtung Straßburg marschieren.

 

 

Bei seiner Abreise von Paris bekräftigt Herwegh nochmals und bittet gleichzeitig: Französisches Volk wir gehen Hand in Hand mit dir. Die einzige Hilfe, die wir von dir erwarten, ist, dass du beiseitebleibst [sic!] und uns deinen Beifall kundgibst, wenn wir von den Zinnen eines durch deutsche Hände eroberten Deutschlands herab zu dir sagen können: es lebe die Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit! Da ist sie wieder, die Furcht vor einem Einfall des Erbfeindes ins Reichsgebiet.

 

 

24.März

Straßburg: Sozialistisches Raubgesindel

 

Die Reaktion jenseits der Grenze lässt nicht auf sich warten. Am 24. März war nun die merkwürdige Kammersitzung, in der Ministerpräsident Bekk der Kammer die Zusammenziehung von Truppen am Rhein anzeigte, zur Sicherung der Gränze gegen die unter Herwegh's Leitung von Paris aufgebrochen waren, um allfällige republikanische Bewegungen zu unterstützen. Eigenthümlich ist die Erscheinung, daß Bekk diese Anzüge für gefahrlos erklärte, um die Kammer glauben zu machen, daß die Truppenzusammenziehungen unbedeutend sein würden. Bekk gebrauchte die Worte: „die Absicht der Deutschen in Paris gehe vielmehr dahin, im Fall einer Reaktion gegen die Bewegung in Deutschland der Freiheit ihren Arm zu leihen." Und gegen diese Freunde fand Bekk sich bewogen, Truppen zusammenzuziehen, das 4te Regiment aus Mannheim abzurufen und ein hessisches und nassauisches Regiment zu „erbitten"! Erbauliche Heuchelei einer Politik, die sich auf das Volk beruft, um ihre Handlungen zu rechtfertigen und zugleich sich nicht scheut, die freie Aeußerung des Volkswillens mit Gewaltmitteln zu hemmen [More49].  

 

In der Debatte des Landtages, ob die Bedrohung durch Herweghs Freischaren die Stationierung fremder Truppen in Baden rechtfertige, fragt Hecker: Was verlangt das gährende Volk in Schlesien, in Preußen, in Baden? Verlangt es Soldaten? Nein, es fordert reelle Hülfe [Enge10a]. Um den Bürger zu verschrecken, wird in der Presse am 26. März, als die Legion noch tief in Frankreich steht, verbreitet, das sozialistische Raubgesindel sei brennend und plündernd über die Rheingrenze nach Baden eingefallen. Schließlich reisen zwei Abgesandte der badischen Regierung nach Straßburg und bieten den Legionären eine Amnestie an. Herwegh berichtet: Auf den Ölblättern, welche beide Boten zierlichst entgegentrugen, stand in großen Lettern auf dem Einen Amnestie, auf dem Andern: Schleswig-Holstein [Kapp06].

 

 

26. März

Freiburg: Volksversammlung mit Anleitung zur Flaggenherstellung

 

In Freiburg wird am 23. März im Hinblick auf eine Volksversammlung am 26. März zur Beflaggung der Innenstadt mit den deutschen Farben aufgerufen, wobei in der Anleitung zur Fahnenherstellung die Reihenfolge der Farben mit gold-roth-schwarz gegenüber der Hambacher Fahne vertauscht wird (heute noch vielfach im Ausland vor Hotels und ähnlichen Einrichtungen zu beobachten). Die Stadt war dem Feste gemäß geschmückt; vom Münster flaggte die Fahne deutscher Einheit, selbst an dem geringsten Häuschen erblickte man das Farbenzeichen, welches sich endlich zur Geltung erhoben hat. Der geräumige Münsterplatz war überfüllt von Menschen, man schlägt ihre Zahl über 40.000 (?) an [More49].

 

Einladung zur Flaggenverzierung in Freiburg nebst Anleitung zur Herstellung von gold-roth-schwarz

 

Dagegen gibt der beobachtende Heinrich Schreiber zu bedenken: Wohl wehten aus den meisten Fenstern deutsche Fahnen; Tausende strebten von allen Seiten zu Fuß und auf schön verzierten Wagen, mit vergoldetem Adler und Gemeindefahnen, herbei und gruppierten sich geschmackvoll auf dem Münsterplatze vor dem Gasthause zum Geist, von dessen Balkon die Redner und vor allem Struve mit Begeisterung sprachen und die Versammelten zum Aufheben der Hände als Zeichen der Zustimmung fortrissen. Und dennoch war das Ganze nicht aus dem Volke herausgewachsen, sondern größtenteils in dasselbe hineingelegt. Es zeigte sich der Glanz, der Frohsinn und die flüchtige Täuschung eines großartigen Volksschauspiels -  und als solches wird es gewiß jedem, der es sah, unvergeßlich bleiben - nicht aber der tiefe, nachhaltige Ernst eines Tages, an welchem ein Grundstein mitgelegt werden sollte zum vollständigen politischen Umbau des Vaterlandes [Hunn41].

 

Jetzt nur keine Flausen: Arndt's Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland" eröffnete die Versammlung; hierauf hieß der Abgeordnete Mez (Karl Mez, Freiburger Fabrikant, Stadtrat und zukünftiger Abgeordneter der Nationalversammlung) dieselbe im Namen der Stadt willkommen; wobei er an eine ähnliche Versammlung erinnerte, die auf demselben Platze im J. 1248 stattfand. Hierauf sprachen nach einander Rotteck aus Freiburg (Carl von Rotteck junior, Sohn des großen Karl von Rotteck und Vetter des Freiburger Bürgermeisters Joseph von Rotteck) [More49].

 

Die Offenburger Forderungen nach den Grundrechten und seine Erwartungen an ein deutsches Parlament, zirkulieren in folgendem Flugblatt:

 

Die Beschlüsse der Offenburger Volksversammlung vom 19. März 1848 haben den kräftigen Wiederhall gefunden, nicht blos im ganzen badischen, sondern auch im gesammten deutschen Vaterland. Dieselben haben den Grund gelegt zu einer freiheitlichen Organisation des deutschen Volkes. Die blutigen Ereignisse, welche an dem Tage selbst, da das badische Volk in Offenburg die Angelegenheiten Deutschlands berieth, und welche daher von demselben damals nicht in Erwägung gezogen werden konnten, stattfanden, bilden einen neuen Beweis von der blutdürstigen Unterdrückungswuth deutscher Tyrannen und der erschöpften Geduld des deutschen Volkes. Auch die Wiener Ereignisse waren am 19. März noch nicht in dem Maße bekannt, wie am heutigen Tage.

 

Diese großartigen Ereignisse, welchen gegenüber die Unthätigkeit und theilweise sogar die verkehrte Thätigkeit unserer badischen Regierung in einem sehr trüben Licht erscheint, machen es dem Volke zur ernsten Aufforderung, auf der zu Offenburg betretenen Bahn rüstig vorwärts zu schreiten.

 

Das Volk verlangt Bürgschaften, daß ähnliche Schlächtereien, wie sie zu Wien, und in noch schrecklicherem Maße zu Berlin stattfanden, sich nicht wiederholen können. Diese Bürgschaften werden ihm nur zu Theil werden, wenn das zu erwartende deutsche Parlament die Zustände Deutschlands von Grund aus verbessert.

 

Das deutsche Volk begnügt sich nicht mit einem neuen Flecke auf dem alten Kleide deutscher Einherrschaft. Es will nicht, daß der neue Wein des deutschen Volkes in seinen alten Schläuchen verbleibe, diese zersprenge, ausfließe und zu Grunde gehe, es verlangt daher vor allen Dingen, daß das deutsche Parlament:

 

I. Die von demselben zu entwerfende neue Verfassung Deutschlands auf den Grundlagen der föderativen Republik (des republikanischen Bundesstaats) feststelle, und durch eine Reihe von Gesetzen, welche ganz Deutschlands gemeinsam umfassen, allen gerechten Forderungen des Volkes genüge leisten.

 

Das Volk verlangt von dem zu erwartenden deutschen Parlamente:

 

II. Daß dasselbe unter den vielen Gegenständen, welche neu zu gestalten sein werden, vor allen Dingen:

1) die Verschmelzung der Bürgerwehr und des stehenden Heeres zum Behufe der Bildung einer wahren, alle waffenfähigen Männer umfassenden Volkswehr;
2) die Preßfreiheit;
3) das Schwurgericht;
4) gleiche Berechtigung aller Bürger ohne Unterschied des Glaubens anordne,

überwache und leite.

 

III. Zu den mannigfaltigen Forderungen, welche das deutsche Volk aller Orten aufstellt, fügt dasselbe folgende hinzu: Das Volk verlangt:

1) Sicherstellung der persönlichen Freiheit durch ein besonderes Gesetz ("habeas corpus-Akte") -
3) Vollständige Trennung der Kirche vom Staate und insbesondere Uebertragung und Führung der bürgerlichen Standesbücher an die weltlichen Behörden.
3) Freigebung der Wahl der Geistlichen und Bürgermeister.
4) Augenblickliche Aufhebung aller, auf der Benützung von Flüssen und Straßen ruhenden Abgaben, sowie Aufhebung sämmtlicher, die verschiedenen Theile Deutschlands trennende Zollschranken.
5) Sofortige Erleichterung des Nothstandes der arbeitenden Klassen und des Mittelstandes, und vorzüglich Hebung des Handels, des Gewerbestandes und der Landwirthschaft.

Die bisherigen ungeheuern Civillisten, Apanagen, die unverdienten und zu hohen Besoldungen und Pensionen, die mannigfaltigen Stiftungen und die jetzt brach liegenden Besitzungen vieler Körperschaften, sowie die Domänen des Landes bieten dazu reiche Mittel.

 

IV. Das Volk erkennt in der Verwirklichung der zu Offenburg beschlossenen Organisation vaterländischer Vereine die kräftigste Bürgschaft für die Begründung eines dauerhaften Zustands der Freiheit und erwartet von der Vaterlandsliebe aller Deutschen, daß sie diese Organisation rasch und kräftig verwirkliche.

 

Diese Vorschläge wurden von der Versammlung mit Jubel begrüßt und alle fast einstimmig zum Volksbeschlusse erhoben. Von der Volksversammlung zu Freiburg wurden ferner die in Offenburg gewählten Männer des Central-Ausschusses für den allgemeinen Volksverein bestätigt.

 

Im Rausche der Begeisterung akklamiert die Versammlung auf dem Münsterplatz nicht nur eine föderative deutsche Republik, sondern auch eine Antwort an Friedrich Wilhelm IV. von Preußen wurde durch Struve verlesen und mit dem hellsten Beifalle aufgenommen [More49], worin er des Königs Verhalten in den Märztagen als königlicher Schauspieler und Bürgertöder brandmarkt.

 

Auch zu Freiburg sprach sich das Volk entschieden dahin aus, daß Gewalt gebraucht werden müßte, falls die Regierung nicht sämmtliche Beschlüsse der Volksversammlung vollziehen würde. Als ein Redner insbesondere die Frage an das Volk richtete, ob es sich wie ein Mann erheben wolle, falls Hecker an seinen Schild schlagen sollte? erschallte ein tausendstimmiges donnerndes Ja [Stru49].

 

 

30. März

 

 

 

Theodor Mögling

 

Frankfurt: Vom Vorparlament zur Nationalversammlung

 

Zu den zum Vorparlament Reisenden zählt auch der Abgeordnete der württembergischen Kammer Theodor Mögling: Bei der Reise nach Frankfurt, welche ich in Gesellschaft einer Anzahl Liberaler machte, fiel mir auf, daß diese Leute, welche bisher doch schon eine geschlossene Partei gebildet hatten, sich durchaus nicht klar darüber zu sein schienen, was und auf welchem Wege sie ihren Zweck durch diese Versammlung erreichen wollten. Die soziale Bedeutung der Bewegung hatten nur wenige erkannt, manche wären mit leeren formellen Änderungen der deutschen Bundesverfassung zufrieden gewesen etc.

 

In Frankfurt angekommen, traf ich mehrere ältere Bekannte, mit welchen ich mich gleich besprach und ihnen meine Beobachtungen von der Reise mitteilte, welche mit den Ihrigen ziemlich gleich lauteten … Wir suchten Hecker auf, der ebenfalls schon eine kleine Schar entschiedener Republikaner um sich versammelt hatte, und schlossen uns an diese an. War unsere Zahl im Verhältnis zu der Zahl aller Mitglieder der Versammlung auch nur schwach, so waren die Einzelnen doch über ihre Absichten und die Mittel zu ihrem Zweck sich klar, und viele besaßen Charakter und Energie genug, ihrer Überzeugung Opfer zu bringen [Mögl09].

 

Die alte freie Reichsstadt Frankfurt, eine der vier sogenannten deutschen Republiken, hatte sich zum Empfange der Gäste aus ganz Deutschland mit einem Fahnenmeer und unzähligen Laubgewinden herausgeputzt. Wenn die Frankfurter Geldaristokratie mit Schmerzen daran dachte, daß die alte Stadt den Strahlenglanz diplomatischer Größen verlieren, aus dem Wohnort dieser Erdengötter in eine bloße deutsche Stadt verwandelt werden könnte, worin, bei einer deutschen Republik nämlich, alle Vorzüge durch Geburt und Geld aufhören würden, so läßt sich denken, daß die Republik bei den Bürgern wenige Gönner fand, die Idee, eine Residenz des konstitutionellen Kaisers zu bekommen, mit Begeisterung ergriffen wurde und die wärmsten konstitutionellen Gesinnungen anregte. — Wie sehr die Frankfurter den Ernst der Zeit erkannten, wo es vor Allem darauf ankam, der Nation einen festen demokratischen Mittelpunkt zu schaffen, zeigt die Bereitwilligkeit, mit der sie die unsinnige Anzeige aufnahmen, daß die Versammlung nur zwei Tage dauern dürfe, um ebenfalls ein Gaukeleiprogramm festzustellen, damit die lieben Gäste nicht unzufrieden fortzögen. Am ersten Tag große Oper und am zweiten große Illumination als Anerkennung der von der Versammlung erwarteten großen Thaten — und dann fertig [More49].

 

Am 30. März versuchen insgesamt 574 Herren, die in Frankfurt zur Sitzung des Vorparlaments eingetroffen waren, vergebens, im zu kleinen Kaisersaal am Römer Platz zu nehmen. Deshalb ziehen sie am 31. März in die größere Paulskirche.

 

 

31. März

 

Frankfurt: Eine lange Zeit tiefster Erniedrigung lastet auf Deutschland

 

In den Augen Mördes' erfolgt der Zusammentritt des Vorparlaments im Gagern'schen Sinne, d.h. exclusiv. Sie galt den alten Kammerhelden ohne allen Unterschied der Farbe. Man anerkannte prinzipiell keinen anderen Titel und gab so der Halbheit und sogar der parlamentarischen Reaktion die Zügel in die Hände. Die Versammlung entsprach den Erwartungen ihrer Erzeuger. Die zahme Revolution ward der siebente Himmel der Liberalen. Sie hielten 10minutenlange Reden über Deutschthum, Einheit, Einigkeit, Mäßigung und sonstige Dinge, wie sie sogar ein polizeigewöhnter Magen verdaut, ohne Indigestion zu bekommen. Parole war die deutsche Einheit ... Die Frankfurter Versammlung - das s. g. Vorparlament - war von Oestreichern gar nicht, von Preußen, Sachsen ec. kaum besucht [Mörd49].

 

Während in der Kirche debattirt wurde, bewegte sich das Volk festlich gekleidet zu Tausenden über die festlich geschmückten Straßen. Republikaner und Konstitutionelle bewegten sich ruhig durch einander, nur mit dem Unterschied, daß bei letztern fortwährend eine ängstliche Gereiztheit sich zeigte, die sich auch in den gespannten Gesichtszügen und dem unruhigen Drängen kund gab. Die Konstitutionellen bestanden fast nur aus Darmstädtern, die gratis mit der Eisenbahn nach Frankfurt befördert wurden, und Frankfurtern, während die Republikaner besonders aus Hanau, Mainz, Heidelberg, Mannheim kamen. Unter den letztern, meistens Turner, waren die schönsten männlichen Gestalten mit ausdrucksvollen oft geistreichen Gesichtern zu sehen. Der männliche Wuchs dieser Leute war besonders durch das Gewand vortheilhaft hervorgehoben. In ihren grauen leinenen Jacken und Beinkleidern mit dem grauen Hut auf dem Haupt zogen sie schaarenweis durch die Stadt. Möge die warme Begeisterung dieser edlen Jugend von rechtem Sinn zum rechten Ziele geleitet werden [More49].

 

Die von dem badischen Volke gewählten Vertreter desselben hatten die verschiedenen Beschlüsse der badischen Volksversammlung in ein Programm zusammengebracht [More49], dessen Präambel wie folgt lautet:

 

Eine lange Zeit tiefster Erniedrigung lastet auf Deutschland. Sie läßt sich bezeichnen durch die Worte: Knechtung, Verdummung und Aussaugung für das Volk, Willkürherrschaft, Reichthümer und Ehren für die Machthaber und ihre Schergen. Unter dem Einflusse dieses Systems der Tyrannei, welches noch immer, wenn auch in seiner Kraft gebrochen, doch dem Wesen nach fortbesteht, ist Deutschland mehr als einmal an den Rand des Verderbens gebracht worden. Es hat viele seiner schönsten Provinzen verloren, andere werden schon auf's schwerste bedroht. Die Noth des Volkes ist unerträglich geworden. Sie hat sich in Oberschlesien bis zur Hungerpest gesteigert.  

Daher haben sich alle Bande gelost, welche das deutsche Volk an die bisherige sogenannte Ordnung der Dinge geknüpft hatten, und es ist die Aufgabe der Versammlung deutscher Männer, welche sich am 31 März l. J. zu Frankfurt a. M. vereinigt hat, neue Bande vorzubereiten, mit denen das gesammte deutsche Volk zu einem freien und großen Ganzen umschlungen werden soll
[More49].

 

Struve stellt die badischen Beschlüsse in seinem 10-minütigen Vortrag dem Vorparlament vor, doch als er am Schluss seiner Ausführungen ohne Umschweife die Aufhebung der erblichen Monarchie und Ersetzung derselben durch frei gewählte Parlamente, an deren Spitze frei gewählte Präsidenten stehen [Gunk14], fordert, gehen seine letzten Worte im Schreien der Anhänger einer konstitutionellen Monarchie unter.

 

 

1. April

 

Frankfurt: Die Entrüstung über Hecker und Struve wächst fortwährend

 

Am folgenden Tag legt Hecker nach und seine geschickte Rede für eine föderative Republik nach dem Muster der nordamerikanischen Freistaaten endet mit Bravorufen der Abgeordneten. Auf ihn antwortet Heinrich von Gagern, der die Vorschläge der Radikalen als naiv und ideologisch verblendet bezeichnet und das Prinzip der konstitutionellen Monarchie vehement verteidigt. Nach dieser Rede beobachtet ein Abgeordneter: Der knüttelbewaffnete Pöbel, der soeben für die Republik gebrüllt hat, schrie jetzt durch Gagerns Worte hingerissen Bravo für die Monarchie. Und so kann Friedrich Daniel Bassermann zufrieden nach Karlsruhe melden: Die Revolution erleidet Niederlage auf Niederlage. Die Entrüstung über Hecker und Struve wächst fortwährend [Gunk14].

 

In der Tat: Struve und Hecker waren mit ihrer Forderung nach Garantieen einer freien Einheit ad graecas calendas verwiesen, nachdem (Carl) Mittermaier gefunden, daß Struve länger als 10 Minuten gesprochen hatte, und die Versammlung gerade die tief eingreifende Natur der von Struve berührten Verhältnisse zum Vorwand genommen hatte, die Erwägung derselben auf die lange Bank zu schieben [Mörd49].  Besonders schmettern die versammelten Volksvertreter den Vorschlag Heckers, das gesamte Vorparlament als dauerhaftes Revolutionsorgan einzurichten, mit Zweidrittelmehrheit ab.

 

 

2. April

 

Frankfurt: Es lebe das deutsche Vaterland

 

Stattdessen beschließt die Mehrheit einen permanenten 50er Ausschuss zu wählen, der mit dem Frankfurter Fürstenbundestag bis zur Wahl des Parlaments zusammenarbeiten soll*.

*Dieser Ausschuß habe die Bundesversammlung bei Wahrung der Interessen der Nation und bei Verwaltung der Bundesangelegenheiten selbstständig zu berathen und erforderlichen Falls Anträge an denselben zu stellen. Die Bundesversammlung werde eingeladen, über Bundesangelegenheiten bis zum Zusammentritt des konstituirenden Parlaments ausschließlich mit dem Ausschusse, als den Männern des Vertrauens, in Benehmen zu treten, der Ausschuß aber werde beauftragt, bei etwa eintretender Gefahr für das Vaterland die gegenwärtige Versammlung wieder einzuberufen [More49].

 

In einer von 79 linken Abgeordneten unterzeichneten Verwahrung wird diese Gagernsche Position zurückgewiesen. Die Unterzeichner kommen zu dem Schluss: Wir können es daher mit unserer Ueberzeugung und mit unserer Verantwortlichkeit gegen das Volk, welches allein wir vertreten, nicht mehr vereinbar finden, mit dieser Versammlung in ihrer heutigen Richtung zu wirken, erklären vielmehr auf's Entschiedenste, daß wir uns gegen die Wahl und künftige Wirksamkeit eines Ausschusses verwahren, welcher seinen Charakter ändert, und aus Volksrepräsentanten zu Fürstenräthen herabgestiegen ist. Wir verwahren die Rechte des deutschen Volkes gegen die Handlungen dieser Versammlung und gegen alle ihre Folgen. Frankfurt a. M., 2. April 1848. [More49].

 

Anschließend zieht Hecker mit 40 radikalen Teilnehmern aus der Paulskirche aus, während die gemäßigte Linke sich den Mehrheitsentscheidungen beugt.

 

 

3. April

 

Frankfurt: Hier ist nichts mehr zu machen, es gilt, in Baden loszuschlagen

 

Am Tag darauf jedoch kehrte die Minorität zurück, denn der badische Abgeordnete Soiron hatte den Antrag gestellt: „Daß die Beschlußnahme über die künftige Verfassung Deutschlands der vom ganzen deutschen Volk zu erwählenden konstituirenden Versammlung einzig und allein zustehe, mit der fernern Erläuterung, daß dabei an dem Grundsatze der Souveränität des Volkes festzuhalten sei (und es der konstituirenden Versammlung überlassen bleibe, ob sie es für nöthig achte, am Schlusse ihrer Arbeiten mit den Fürsten in Verhandlung zu treten)." ... Während der Debatte kehrte auch die ausgetretene Minorität in die Kammer zurück und wurde herzlich begrüßt. Hecker erklärte auf der Tribüne, daß die Minderheit sich nach der für das deutsche Volk erlangten Genugthuung und auf die an sie ergangene Aufforderung der Mehrheit gegen das Vaterland für verpflichtet gehalten habe, sich wieder mit der Mehrheit zu vereinigen, worauf er mit dem Rufe schloß: „Es lebe das deutsche Vaterland!" [More49].

 

Nach seiner dreitägigen Beratung beschließt das Vorparlament freie Wahlen zu einer Deutschen Nationalversammlung, die sich ebenfalls in Frankfurt konstituieren soll.

 

Als dann aber Hecker anschließend, als nur 51. gewählt, nicht in den permanenten Fünfziger-Ausschuss gelangt, der bis zur Wahl des Parlaments die Ansprüche des Vorparlaments gegenüber dem Bundestag vertreten soll, verkündet er: Hier in Frankfurt ist nichts mehr zu machen, es gilt, in Baden loszuschlagen [Enge10a].

 

Es ist zu vermuten, dass Hecker Ludwig Börnes Ausführungen über die Republik kannte: Die Republik muß durchgesetzt werden. Nur die Republik kann uns retten. Der Henker hole die sogenannten konstitutionellen Verfassungen, wovon unsere deutschen Kammerschwätzer alles Heil erwarten. Konstitutionen verhalten sich zur Freiheit wie positive Religionen zur Naturreligion; sie werden durch ihr stabiles Element ebensoviel Unheil anrichten wie jene positiven Religionen, die, für einen gewissen Geisteszustand des Volkes berechnet, im Anfang sogar diesem Geisteszustand überlegen sind, aber späterhin sehr lästig werden, wenn der Geist des Volkes die Satzung überflügelt. Die Konstitutionen entsprechen einem politischen Zustand, wo die Bevorrechtungen von ihren Rechten einige abgeben, und die armen Menschen, die früher ganz zurückgesetzt waren, plötzlich jauchzen, daß sie ebenfalls Rechte erlangt haben ... Aber diese Freude hört auf, sobald die Menschen durch ihren freieren Zustand für die Idee einer vollständigen, ganz ungeschmälerten, ganz gleichheitlichen Freiheit empfänglich geworden sind; was uns heute die herrliche Akquisition dünkt, wird unsern Enkeln als ein kümmerlicher Abfinden erscheinen, und das geringste Vorrecht, das die ehemalige Aristokratie noch behielt, vielleicht das Recht, ihre Röcke mit Petersilie zu schmücken, wird alsdann ebensoviel Bitterkeit erregen, wie einst die härteste Leibeigenschaft, ja, eine noch tiefere Bitterkeit, da die Aristokratie mit ihrem letzten Petersilien-Vorrecht um so hochmütiger prunken wird! ... Nur die Naturreligion, nur die Republik kann uns retten. Aber die letzten Reste des alten Regiments müssen vernichtet werden, ehe wir daran denken können, das neue bessere Regiment zu begründen. Da kommen die untätigen Schwächlinge und Quietisten und schnüffeln: wir Revolutionäre rissen alles nieder, ohne imstande zu sein, etwas an die Stelle zu setzen! Und sie rühmen die Institutionen des Mittelalters, worin die Menschheit so sicher und ruhig gesessen habe. Und jetzt, sagen sie, sei alles so kahl und nüchtern und öde und das Leben sei voll Zweifel und Gleichgültigkeit [Hein40].

 

Moderate Abgeordnete versuchen Hecker zu bremsen, doch er beschimpft sie nur als Halbmäuler [Kort]. Selbst Robert Blum bezeichnet die Aufständischen als wahre Viehkerle, die rennen durch den Wald wie geschlagene Ochsen [Sieb12].

 

In einem Rückblick auf die Frankfurter Ereignisse stellt Hecker fest: Unwille und Eckel mußte Alle erfüllen, welche das Handeln dem Schwatzen vorziehen, welche das Vaterland retten und vor der Reaktion, wie dem wüstem Verfall bewahren wollten; die Lehre der Geschichte, daß, wer die Bahn der Revolution betritt und zögert, unterhandelt, statt sie zu vollenden, der Reaktion die wichtigsten Dienste leistet, war spurlos an jener Versammlung, die sich bemühte, konservativ zu sein, vorübergegangen. Sie hat die Agonie Deutschlands nicht nur verlängert, sondern hat sie gefördert, sie hat das Volk entmuthigt, seinen Gegnern Mut eingeflößt...  Zur Zeit jener Versammlung, vor welcher die Monarchie zitterte, war mit zwei energischen Tagen und Erhebungen das Schicksal fürstlicher Willkührherrschaft ohne heißen Kampf entschieden; jene, die sich als Geschäftsführer deutscher Nation selbst aufstellten, sind verantwortlich der Nation und der Geschichte, daß sie muthlose Schwätzer waren, wo sie Retter des Vaterlandes sein sollten und konnten; die Nation wird zu Gericht sitzen über sie [Enge10].

 

 Und so kommentiert Theodor Mögling die Reaktion Heckers: Uns freute es, daß Hecker von einem Bezirk des Schwarzwaldes gewählt worden war, aber ebenso waren wir damit zufrieden, daß er von der Versammlung zurückgestoßen wurde. Wir hatten nie Wohlgefallen an dem Frankfurter Parlament und bemitleideten die wenigen Freunde und Gesinnungsgenossen, welche sich in demselben befanden, weil sie von dem Volk auf einen Posten gesendet, auf welchem wenig Ehre zu holen, wenig Ersprießliches zu wirken und unendlich viel Widerwärtigkeit zu erdulden war, denselben behaupten mussten, bis sie abberufen oder mit Gewalt davon vertrieben wurden [Mögl09].

 

 

7. April

 

Freiburg: Das Vaterland richtet seine fragenden Blicke auf Euch

 

Am 7. April kursiert ein in Freiburg herausgegebenes revolutionäres Flugblatt des Kreisausschusses der Vaterlandsvereine, dem Carl von Rotteck junior vorsteht. Darin werden die Männer des Oberrheinkreises aufgefordert, es denen im Seekreise (Konstanz) gleichzutun und sich zu bewaffnen [Rödl03]:

 

Ihr Männer aus dem Oberrheinkreise!

Die Stunde der Entscheidung naht heran; das Geschick unseres Vaterlandes beginnt zu reifen; darum seid auf Eurer Hut, bedenkt, was auf dem Spiele steht; jetzt oder nie! In wenigen Tagen schon wird Euch der Dienst des Vaterlandes rufen, legt alles andere bei Seite, damit Ihr diesem Rufe folgen könnet ...
Der Seekreis (Konstanz) steht bereits unter Waffen; die ganze männliche Bevölkerung aller Stände vom 18ten bis zum 55ten Jahr, wohlgerüstet und exercirt seit vielen Wochen, ist entschlossen zu marschiren ...
Werdet Ihr diese wackren Männer aus dem Seekreise zurückstoßen, wenn sie Euch den Handschlag bieten? Sie zählen auf Euch, das Vaterland richtet seine fragenden Blicke auf Euch und Ihr werdet antworten, wie es Männern geziemt.

Freiburg, den 7. April 1848.

 

Der Kreisausschuß für den Oberrheinkreis.

 

Darauf erachtet eine Bürgerversammlung in Freiburg am 11. April es für ihre heilige Pflicht sich gegen jedes Unternehmen zu erklären, wodurch auf gesetzeswidrige und gewaltsame Weise der Zustand des Gesetzes und der Ordnung, als deren Grundpfeiler jeder vernünftigen Freiheit gestört würde [Sieb08c].

 

 

8. April

 

 

 

Joseph Fickler

Karlsruhe: "Herr Fickler! Sie sind ein Vaterlandsverräther!"

 

Und nun sollte sich Mathy's Stellung zur republikanischen Partei in einer That zeigen, welche die größte Erbitterung herbeiführte; Jeder weiß, daß hier allein die Verhaftung Fickler's, des Redakteurs der Seeblätter, gemeint ist. Josef Fickler, ein Mann, der das Volk zu lenken verstand wie Wenige, hatte durch seine Reden in Volksversammlungen, vorzüglich aber durch seine Redaktion der Seeblätter, wesentlich geholfen, die allgemeine Unzufriedenheit zum Siedpunkte hinauf zu treiben. Er war auf einer Rundreise begriffen, die wohl keinen andern als revolutionären Zweck hatte und wollte nun über Karlsruhe in's Oberland zurück. Als er (am 8. April) mit der Eisenbahn abfahren wollte, kam Mathy, von einem Polizeikommissär und sechs Unteroffizieren- begleitet, an den offenen Schlag des Wagens und sagte zu Fickler, der, in eine blaue Blouse gekleidet, tief im Hintergrunde saß: „Herr Fickler! Im Namen des Gesetzes sind Sie verhaftet! Sie sind ein Vaterlandsverräther!" Fickler erhob sich langsam und trat aus dem Wagen, indem er zu Mathy sagte: „Ein rechter Polizeimann! Sie sind ein Volksverräther!" Die Unteroffiziere nahmen den Führer der Republikaner im Seekreis in ihre Mitte. Fickler wurde sogleich in festen Gewahrsam abgeführt [More49].

 

Mathy wollte zeigen, dass die Regierung allen Umsturzplänen in Richtung einer Republik entgegentritt, doch zieht er sich mit der Verhaftung Ficklers nur den Zorn und die Verachtung aller radikalen Demokraten zu und verschärft den politischen Gegensatz zwischen Konstitutionellen und Republikanern. Hecker ist überzeugt: Nun kommt man auch an mich, und die Kammer genehmigt meine Verhaftung [Eng10a]. Hastig verlässt er Karlsruhe und reist über das Elsass nach Konstanz. Jetzt setzt er alles auf eine Karte, will die despotischen Reste des Mittelalters vertilgen und den freien Volksstaat gründen [Haaß81].

 

 

11. April

 

Karlsruhe: Die schlimmsten Besorgnisse vor einem Proletarierheer

 

In dieser angespannten Lage erschien eine Proklamation des Großherzogs, die den Einmarsch [der] fremder Truppen als nicht zur Unterdrückung der Freiheit im Innern, sondern zur Fernhaltung deutscher Freischaaren aus Frankreich und der Schweiz zu rechtfertigen suchte, „da diese den Ruf revolutionärer Parteiführer im Inlande erwarteten, mit denen sie theilweise in Verbindung ständen, um hier einzubrechen und den Versuch einer revolutionären Partei zum Umsturz der Verfassung mit bewaffneter Hand zu unterstützen." — Denn allerdings hatten Herwegh's Proklamationen, die eine bewaffnete, gut organisirte Masse von wenigstens 6 bis 8000 französischen Arbeitern versprachen, manches Bedenken und viel Unwillen in Deutschland erregt, da man vor diesem Proletarierheer, wie man es nannte, die schlimmsten Besorgnisse hatte. Tausende glaubten, oder verbreiteten mit Absicht, das Gerücht, daß diese Schaaren mit Mord und Brandt einziehen und auf solche Weise den Kommunismus in Deutschland einführen wollten. Unklug war es jedenfalls von Herwegh, durch seine großsprecherischen, hochtönenden Proklamationen der Regierung einen Scheingrund gegeben zu haben, der die, nur gegen den Aufstand im Innern gerichtete Truppenzusammenziehung vor Vielen rechtfertigte, während im kritischen Augenblicke Herwegh mit kaum 900 Mann erschien.

 

Am 11. (April) erschien die erste öst. Artilleriekompagnie in Ulm, der noch andere folgen sollten. Den in Baden versammelten Truppen wurde der tägliche Sold um 3 kr. erhöht. Der Fünfziger-Ausschuß erließ Proklamationen an die deutschen Arbeiter (welche von den Regierungen „Fremde genannt wurden) und an die Bewohner des Seekreises und Oberlandes. Nach Straßburg, und später zu Hecker, wurden Deputationen gesandt, die vom Zuge abrathen sollten. Am 13. April, als in Konstanz schon die Republik proklamirt wurde, marschirten vier würtembergische Infantenterie- und zwei Kavallerie-Regimenter mit einer reitenden und einer Fußbatterie in's badische Land ein; hessische und nassauische Truppen wurden immerfort in's Land gezogen und der Oberbefehl des ganzen 8ten Armeekorps, das gegen die Oberländer aufgeboten wurde, dem Prinzen Wilhelm von Würtemberg übergeben. Zum General der 2ten badischen Division ernannte die badische Regierung Friedrich von Gagern, den Bruder Heinrich Gagern's, einen Mann, der durch große geistige und militärische Bildung sich auszeichnete. Man sieht, die Regierung fand eine große Kraftentwickelung nöthig. Diese Thatsache ist einer der vielen gewichtigen Beweise, daß die republikanische Partei eine große gefürchtete war, ja daß sie das halbe Baden vollständig in sich schloß und in der andern Hälfte einen gefährlich-großen Anhang zählte [More49].

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Hecker als Revolutionär

 

Frankfurt: Heckers Abrechnung mit den Lauen und Maulhelden

 

Der Historiker Georg Gottfried Gervinus (einer der Göttinger sieben Professoren) sieht voraus, dass, wenn die Paulskirchenversammlung ihre anfängliche Dynamik nicht beibehält, die Reaktion die Oberhand gewinnen wird. Die Ereignisse in Berlin und Wien geben ihm recht, und auch Hecker weiß, dass die Zeit gegen ihn arbeitet: Bei der völligen politischen und socialen Zerrüttung, an welcher Deutschland laborirte, bei dem widerspruchsreichen Gemisch von Ueberresten alter Formen und neuer Grundgesetze, bei diesem gährenden Kessel voll Mittelalter und Neuzeit, bei den vielen gerechten Demüthigungen, welche die Monarchie und ihre lebendigen Repräsentanten durchgemacht hatten, bei der Gewißheit, daß sie dieselben überhaupt und den Verlust an Macht nicht vergessen, vielmehr nur auf den Tag der Vergeltung und Rache lauern würden, war bei allen Anwesenden, mit Ausnahme einiger Adelichen, Pfaffen und incrustirten Bedienten, der Grundgedanke einer radikalen Neugestaltung der nothwendige und noch wirklich vorhandene. Allen diesen schwebte die amerikanische Verfassung vor Augen; man sah es klar, daß nur die republikanische Staatsform das Grundheilmittel sei, und von Vielen, welche jetzt an der Spitze der öffentlichen Geschäfte stehen und bei ihren allergnädigsten Herren antichambriren, hörte man damals sagen: die Republik kann nicht ausbleiben, sie wird und muß kommen;- einige setzten nur wenige Monate, andere längere, keiner eine lange Frist. Wir sind Republikaner, wir wollen die Republik, hörte man hundertfältig, aber man muß einen Uebergangszustand schaffen, das Volk vorbereiten; es ist noch nicht reif, sagten die Gelehrten, welche nie reif werden. Die Feigheit der Einen, die Furcht vor Verlusten bei den Andern, der Gedanke, wo bleiben die Hof- und Geheimräthe, die Auszeichnungen und Flitterehren, bei den dritten, die Incarnation der Lehren des konstitutionellen Staatsrechts bei den Advokaten und den Professoren, welche seit 30 Jahren über konstitutionelles Staatsrecht gelesen, Bücher darüber geschrieben und nun um des Volkes willen all diese Vergangenheit vor dem Namen Republik sollten verschwinden sehen, Alles dieses bildete einen eben so großen Gegensatz zwischen der erkannten klaren Wahrheit des innern Menschen und des äußern Reden-haltenden und Vorschläge-machenden, als der ganze Zustand Deutschlands eine Musterkarte von Privilegien, feudalen, zünftigen, monarchischen, socialen und republikanischen Gegensätzen und Widersprüchen darstellte [Heck48]. 

 

 

12. April

Konstanz: Der Heckerzug

 

Am 12. April ruft Hecker in Konstanz im Beisein von Struve das Volk im Namen einer provisorischen Regierung zu einer bewaffneten Erhebung auf. Die Bodenseestadt bietet sich an, denn dort ist die Atmosphäre seit der Verhaftung Ficklers gespannt. Der Freiburger Stadtrat erschrickt, reagiert dann aber butterweich. Man möchte der Bewegung der Bevölkerung des Seekreises kein Hindernis entgegensetzen … Sollten einzelne Personen der Stadt der revolutionären Bewegung sich anschließen wollen, worüber diese mit ihrem Gewissen zu Rate gehen mögen, so könne die Bürgerschaft dieses nicht hindern [Sieb08c].

 

Als Schweizer weist Carl Morel auf den eidgenössischen Hebel der badischen Revolution hin: Besonders aber, und dies ist nicht genug hervorzuheben, da die Revolution eigentlich im Seekreis losging und je mehr sie sich in's Land hineinzog, um so mehr an männlicher, todesverachtender Theilnahme verlor — der stille, jahrelange Einfluß der freien Schweiz, des Landes, das sich aller der Segnungen zu erfreuen hatte, die eine Staatsform von selber mit sich bringt, die den Menschen auf sich selbst, auf den freien Gebrauch seiner Kräfte, ich möchte sagen, mit freier Nothwendigkeit hinweist. — Die Schweiz, die blühenden, gesegneten Grenzkantone St. Gallen. Thurgau, Zürich, das Leben in ihnen, war den Bewohnern des badischen Seekreises nichts Fremdes, wie denen die tiefer im Land wohnten und den Bewohnern des übrigen Deutschland, wo man bloß die theoretische Ueberzeugung hatte, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei, die der Gewalt der Anschauung nicht gleichkommen, keine solche energische Bestrebungen zur Herstellung eines ähnlichen Zustandes in's Leben rufen konnte [More49].

 

Hecker wirbt unermüdlich auch mit dem Hinweis auf die hellen Haufen des Bauernkrieges im ganzen Seekreis Freiwillige für seinen revolutionären Heckerzug. Er erließ folgenden Aufruf an die Bewohner der Aemter Donaueschingen, Engen, Blumenfeld, Villingen, Bonndorf, Neustadt und Hüfingen:

 

 "Mitbürger, Brüder, Freunde! Der Augenblick der Entscheidung ist gekommen. Worte können uns unser Recht und unsere Freiheit nicht erobern. Darum fordern wir auch alle waffenfähigen Männer auf, Freitag, den 14. April, Mittags 12 Uhr, in Donaueschingen auf dem Markplatz mit Waffen und Munition, in geordneten Zügen, mit Lebensmitteln auf 6 Tage versehen, zu erscheinen. Unsere Freunde Bruhn, Au, Willmann, Raus, Rasina und Andere werden zu Euch treten und Euch sagen, was das Vaterland von Euch erwartet. Sie sind bereit, sich an Eure Spitze zu stellen. Struve ist bereits in Donaueschingen angekommen und wird der Versammlung mit Rath und That zur Seite stehen.
Konstanz, 12. April 1848 Friedrich Hecker. Gustav Stuve."
[More49].

 

Doch Hecker hatte viel zu leiden von der Unentschlossenheit und Feigheit der ehemaligen Maulhelden, welche beim Herannahen der Entscheidung plötzlich die Rolle der Heuler übernahmen [Stru49], und so war das Aufgebot anfänglich durchaus kläglich. Am folgenden Tag, Donnerstag, den 13. April, zog denn Hecker unter Musik und Trommelschall, von einer unzähligen Menschenmasse begleitet, mit 52 Begleitern aus Konstanz über Stockach Donaueschingen zu, wo er mit Struve zusammenstoßen wollte, um in Verbindung mit ihm nach Freiburg zu ziehen [More49] Mögling, der zu Heckers Aufgebot gehört, erinnert sich als Augenzeuge an fünf Mann mehr:  An einem trüben, regnerischen Morgen zogen wir 57 Mann stark unter Trommelschlag von Konstanz weg, begleitet von einer Menge Volks, welches mit Staunen das kleine Häufchen betrachtete, das nichts weniger im Sinn hatte, als dem deutschen Volk das Recht zu erkämpfen, sich eine Staatsform zu wählen, wie sie dem Willen der Mehrheit entspreche [Mögl09]. Entgegen der Behauptung auf einem Freiburger Flugblatt sind die Teilnehmer des Zuges schlecht ausgebildet und –gerüstet [Kieß02]. Viele Männer führen statt Gewehren nur Sensen mit sich. Auch Mögling ist unzureichend bewaffnet: Da ich ohne Waffen in Konstanz angekommen, in der Stadt selbst keine mehr aufzutreiben waren, so besorgte mir endlich ein befreundeter Bürger um schweres Geld einen alten Säbel in der Schweiz, der, wie es sich später ergab, eine ganz ausgezeichnete Klinge hatte. Eine gute Muskete war in der Eile nicht aufzutreiben, woran mir auch nicht viel lag, denn ich sagte meinen Freunden: Kommt es irgendwo zum Kampf, so will ich gleich eine Muskete haben, ich nehme dem ersten besten royalistischen Soldaten die seinige ab, welche Behauptung großes Lachen veranlaßte, da keiner glaubte, ich sage dies im Ernst [Mögl09].

 

Auf dem Zug gen Norden bekommt die Kolonne Heckers Zuwachs und ist bald 1800 Mann stark: ... in Engen (14. April) erhielten wir auch Artillerie und Kavallerie. Von Konstanz aus hatten wir nur einen etwas antediluvianischen Omnibus mitgenommen, in welchem wir unser weniges Gepäck und Munition führten. Die Artillerie, welche wir in Engen erhielten, bestand aus zwei alten eisernen dreipfündigen Bergkanonen, welche einem Herrn von Langenstein gehörten und bei Familienfesten zu Freudensalven gedient hatten, und aus zwei kleineren, ebenfalls eisernen Bergkanonen, welche ein Kaliber zu anderthalbpfündigen Kugeln hatten [Mögl09].  

 

 

Engen: Die Armeen der Fürsten umgeben Euch von allen Seiten

 

Emma Herwegh mit der Deutschen Demokratischen Legion ist entschlossen und sagt von sich und ihrem Mann: Wir wollen zeigen, was zwei Leute können, die zu derselben Fahne schwören, es ist keines Menschen Kraft zu gering, um das gewaltige Rad in Bewegung zu setzen [Sieb17].

 

Emmas Pistolen
(©Dichtermuseum Liestal)

 

Zu Pferd, zu Esel, zu Fuß sucht Emma derweil Heckers Spuren und gelangt nach Zell. Ein Wirt meint: Er soll in Lörrach oder Kandern sein [Kapp06].

 

Ein Teilnehmer des Heckerzugs erinnert sich: Kurz vor unserem Aufbruch von Engen kam Frau Herwegh an und brachte uns die Nachricht, daß eine Schar* deutscher Arbeiter, im Elsaß angekommen, nur auf einen Befehl von Hecker warte, um über den Rhein zu gehen und zu uns zu stoßen. Diese Schar sei mit guten militärischen Führern versehen, bestehe aus lauter entschlossenen und gut republikanisch gesinnten Leuten. Mit großer Freude vernahmen wir diese Nachricht, Hecker versprach, sowie wir in der Nähe des Rheins angekommen seien, den verlangten Befehl zu geben, jetzt sei es noch zu bald dazu. Emma dagegen drängt: Die Armeen der Fürsten umgeben Euch von allen Seiten; schätzt Euch glücklich, daß auch eine Armee der Freiheit in Eurer Nähe steht [Wals99].

*Die Deutsche Demokratische Legion aus Paris

 

Hecker erklärt ihr unumwunden, daß es immer sein Wunsch gewesen, die Erhebung des deutschen Volkes von innen heraus zu bewerkstelligen, und erst, wenn Resultate erzielt worden seien, den Anschluß der in Frankreich zusammengetretenen deutschen Mitbürger an das Revolutionsheer in Anspruch zu nehmen. Hecker legte ohne Zweifel zu großes Gewicht auf die von der Reaktion ausgestreuten lügenhaften Gerüchte, denen zufolge die Pariser deutsche Legion aus Raubgesindel und Abentheuerern der schlimmsten Art zusammengesetzt sein sollte. Natürlich glaubte er selbst diese Lügen nicht; allein er berücksichtigte sie doch insofern, als er nicht glaubte, der durch dieselben theilweise mißleiteten öffentlichen Meinung mit Entschiedenheit, d. h. durch die That, durch rasches Heranziehen der deutschen Brüderschaar entgegen treten zu können [Struv49].

 

Vergeblich versichert Emma ihm, die angekündigte Legion bestehe nur aus Deutschen. Als sie auf eine Entscheidung drängt, windet Hecker sich:  So sagen sie Herwegh, rufen könne ich ihn nicht, aber wenn er kommen wolle, und recht bald und in recht großer Anzahl, soll mir’s lieb sein [Kapp06]. Frau Herwegh, welche den ungeheuchelten Enthusiasmus der ganzen Bevölkerung, die in Engen zusammengeströmt war, und die Menge sowie gute Haltung unserer Leute anzusehen Gelegenheit hatte, reiste sogleich nach Straßburg zurück, um die Nachricht über den Stand unserer Angelegenheiten möglichst schnell dahin zu bringen [Mögl09].

 

 

18. April

 

Bernau: Die Versuchung

 

 Von Engen aus marschiert Heckers Zug über Bonndorf durch den südlichen Schwarzwald. Der Marsch, den wir nun antraten, war ein sehr beschwerlicher, über steile Berge und tiefe Schluchten. Bei Glashütte hielten wir einen Moment Rast, denn nun sollte erst der schlimmste Theil des Weges beginnen. War es auf diesen Höhen des Feldberges schon empfindlich kalt, so begann nun ein Regen-, Schnee- und Hagelsturm, wie ich ihn kaum je erlebt habe, so, daß alle durch und durch geweicht wurden; der Wind brauste, daß er uns fast umriß, die Bäume beugten sich, schlugen die Wipfel zusammen und krachten, dabei mußte man durch einen viele Fuß tiefen Winterschnee, zu welchem der frischgefallene hinzugekommen war, die steile Kuppe hinanklimmen und waten, unsere Wagen mußten, um nicht um- und in die Tiefe zu stürzen, von den Wehrmannern gestützt und gehalten werden, und dennoch, gleich als wollten sie dem Himmel trotzen, stimmten sie ein Lied der Freiheit an, riefen sich Scherzworte zu oder spotteten über unsere Noth; den Zug, wie er heranklomm von der Höhe zu übersehen, bot einen wildromantischen Anblick dar: da zogen die Schützen die Stutzer unter dem Arm voraus, da klimmten die Fähnlein mit ihren Bannern auf steilem Pfade empor, da schienen die Wagen von den Wehrmännern getragen zu werden, dazwischen Gesang, Zuruf, Lärm; wir verglichen unseren Zug scherzweise mit dem der Franzosen über den St. Bernhard [Heck48].

 

In der Nähe von Menzenschwand erhielt Hecker die Nachricht, daß zwei Mitglieder des Fünfziger-Ausschusses, Spatz und Venedey, ihn aufsuchten. Hecker erwiederte, daß sie ihn im Dorfe Bernau treffen könnten. In Bernau, woselbst die Schaar der Freiheitskämpfer beim Anbruche der Nacht, völlig durchnäßt, ankam, wurde sie mit Herzlichkeit aufgenommen. In geliehenen Kleidern saßen die Führer um den Tisch, erquickten sich unter heiteren Scherzen bei Wein und Brod, als die beiden Abgesandten des Fünfziger-Ausschusses in die Stube traten. Venedey, einst ein gewaltiger Fürstenfresser, erschien jetzt als ein Stellvertreter des monarchischen Prinzips! Spatz, noch vor wenigen Monaten ein Freund und Gesinnungsgenosse Heckers und zeitweiser Theilnehmer an den Zusammenkünften der Mannheimer Liberalen in der  Goldenen Gans sollte jetzt die Rolle des Vermittlers zwischen Monarchie und Republik übernehmen. Volle Amnestie wurde den Republikanern im Namen des Fünfziger-Ausschusses angeboten. (Wer weiß, ob sie die Fürsten gehalten hätten?) Hecker und seine Begleiter erklärten jedoch den Abgesandten: sie bedürften der Amnestie der Fünfziger nicht, sie seien in der Rath- und Thatlosigkeit der Zeit, wo man das deutsche Land mit Reden zu flicken gedacht habe, für die Befreiung ihres Volkes von dem Elende seiner 34 Fürsten mit dem Schwerte ausgezogen, und wollten dabei beharren. Sie böten aber im Namen des deutschen Volkes den 34 Bedrückern Amnestie an, für den Fall, daß sie binnen 14 Tagen der unrechtmäßigen Herrschaft entsagen, und das Volk in sein angestammtes Recht einsetzen wollten. Für diesen Fall sollten sie mit ansehnlichem Vermögen in das glückliche Loos von Privaten zurücktreten und als nützliche Bürger leben können. Die Abgesandten sahen ein, daß, wie sie sich ausdrückten, mit diesen Leuten nichts anzufangen sei.

 

Hecker forderte sie auf, bei ihnen zu bleiben, und statt leeres Stroh in Frankfurt zu dreschen, mit ihm zu ziehen; sie würden nicht nur nach 24 Stunden ihres Entschlusses sich selber freuen, sondern auch auf Deutschland und dessen Erhebung zur Freiheit mächtig wirken! Unverrichteter Dinge zogen die Gesandten wieder ab [Stru49] und wenden sich anschließend beschwörend an die Bevölkerung Badens, eine Tat zu verhindern, welche als Frevel am ganzen deutschen Volk erscheinen muß [Haaß81]. Beteiligt Euch in keiner Weise an einem Unternehmen, das die innere Entwicklung Deutschlands stört, das die freie Tätigkeit der auf den 1. Mai zusammenberufenen National-Versammlung in Frage stellt, und unser großes Vaterland endlosem Bürgerkriege und der Einmischung fremder Mächte preiszugeben droht [Enge10].

 

 

20. April

Kandern: Wir werden Widerstand leisten

 

Auf ihrem Zug gen Norden treffen die badischen Republikaner am 20. April bei Kandern auf der Scheideck auf hessische Truppen. Mögling erinnert sich: General Gagern schickte einen seiner Adjutanten zu uns herüber und verlangte, mit Hecker zu sprechen. Auf die Frage, was er von Hecker wolle, antwortete er, Gagern wünsche eine Unterredung mit Hecker. Ein kleiner Bach, über welchen eine steinerne Brücke führte, trennte uns von den Royalisten [Mögl09]. Hecker berichtet: Ich stieg den Weg herab, begleitet von mehrern republikanischen Anführern, und traf mit Gagern auf der Mitte einer vor der Stadt Kandern befindlichen Brücke* zusammen, wo er mich anredete: Sie, d. h. die Republikaner, müssen die Waffen niederlegen, was ich natürlich ablehnte; darauf fuhr er fort: Sie sind ein gescheidter Mann, aber ein Fanatiker, worauf ich erwiederte: wenn die Hingebung für die Befreiung eines großen Volkes Fanatismus ist, dann mögen Sie diese Handlungsweise also bezeichnen, dann gibt es aber auch einen Fanatismus auf der andern Seite, dem Sie dienen; übrigens bin ich nicht hier, um hierüber zu streiten, sondern frage, ob Sie mir sonst etwas mitzutheilen haben. Hierauf entgegnete er mir: so werde ich mit aller Strenge gleich einschreiten, worauf ich erwiederte: und wir werden einem Angriff zu begegnen wissen, übrigens werden Sie uns (die Anführer) zuvor zu unsern Korps zurückkehren lassen; worauf er erwiederte: Allerdings. Nach diesem Zwischengespräch rief mir ein badischer Stabsoffizier (Kunz, wenn ich nicht irre) noch zu: Ich beschwöre Sie, stehen Sie ab. Damit hatten das Parlamentiren und der erste Akt der Handlung ein Ende [Heck48], worauf Hecker und seine Begleiter in ihre Reihen zurückkehrten, welche sogleich, ihre der Artillerie etwas blos gegebene Stellung räumten und langsam die Bergstraße hinauf zogen, fast eine Stunde lang nur durch einen Zwischenraum von hundert Schritten von den Hessen getrennt. Auf der Höhe des Passes, Scheidegg genannt, angekommen, machten die Republikaner Halt, worauf die fürstlichen Soldaten gleichfalls Halt machten [Stru49].

*Hundstallbrücke

 

Kaum hatten sich die Republikaner in ihre Schlachtaufstellung begeben, als die Royalisten auf der Höhe, Scheideck genannt, erschienen [Mögl09]. Die Republikaner empfingen nun diese mit einem Zurufe, schwenkten die Mützen oder Hüte, riefen: Kein Bürgerblut vergießen, Ihr seid unsere Brüder, es lebe die Freiheit, tretet in unsere Reihen, und gleichzeitig traten aus unseren Reihen Männer vor, streckten die Hände aus, und schon traten aus den vorderen Reihen der Hessen 8 - 10 Soldaten vor, offenbar in der Absicht friedlicher Begegnung [Heck48]. In diesem entscheidenden Moment bestieg Gagern, der zu Fuß den Berg heraufgegangen war, sein Pferd, hieß die Offiziere ihre Leute zurückreißen, so daß wir uns mit denselben einen Augenblick um die Soldaten rissen, und rief Unteroffiziere und Freiwillige vor. Diese drängten die Soldaten zurück, ein Adjutant Gagerns stellte sich an ihre Spitze, drang mit gefälltem Bajonett gegen unser Zentrum vor, welches sie ebenfalls mit gefälltem Bajonett erwartete. Die beiden Parteien standen mit den Bajonetten sich beinahe berührend einander gegenüber, keine wollte angreifen, denn wir hatten einfältigerweise unserer Mannschaft streng eingeschärft, nicht zuerst anzugreifen, weil uns viele Soldaten erklärt hatten, wenn wir irgendwo zusammentreffen und nicht zuerst angreifen, werden auch sie von ihren Waffen keinen Gebrauch machen. Jetzt führte Gagern durch rasches Handeln eine schnelle und blutige Entscheidung herbei. Als er die Unentschlossenheit seiner Leute sah, feuerte er, hinter ihnen haltend, seine Pistole auf unser Zentrum mit dem Ausruf ab: Was Brüder! Gesindel seid ihr! Sein Adjutant hieb zu gleicher Zeit auf einen unserer Artilleristen ein, und die Soldaten, den Schuß hörend, gaben Feuer, welches seiner großen Nähe wegen außerordentliche Wirkung hatte. Sogleich stürzten gegen zwanzig der Unsrigen. Wir erwiderten natürlich das Feuer mit großer Lebhaftigkeit. Ich selbst hatte nie geglaubt, daß kein Kampf erfolgen werde, und hatte gleich bei unserer Aufstellung meinen Leuten eingeschärft, sowie das Feuer beginne, hauptsächlich auf die Offiziere zu feuern, zwei gute Schützen hatte ich auf meiner Seite und sagte ihnen, auf den General, der in Zivil gekleidet war, zeigend: Jener dort in dem braunen Rock und der grünen Mütze ist der General, haltet nur auf diesen. Kaum hatte das Feuern begonnen, als der General auch, von einem meiner Schützen in die Brust getroffen, schwankte. Sein Pferd bäumte sich in Folge scharfen Anziehens des Zügels und erhielt ebenfalls einen Schuß in die Brust. Mit dem Aufruf: Gerechter Gott! stürzte Gagern mit seinem Pferd zusammen.

 

Tod Friedrich von Gagerns.
Die Fahne der Freiheitskämpfer zeigt eine für uns heute ungewöhnliche Farbfolge Schwarz-Gold-Rot.

Auf der einen Seite liefen die Royalisten, auf der andern Seite unsere Leute, besonders die Sensenmänner, davon. Diese hatten nämlich eine volle Salve eines Pelotons bekommen, die Kugeln waren aber zu hoch gegangen, hatten bloß die Sensen getroffen, ein großes Geräusch verursacht und dadurch die Träger so erschreckt, daß diese nicht nur ihre Sensen wegwarfen, sondern auch sich entweder selbst zu Boden legten oder direkt davonliefen [Mögl09].

 

Zwar war der kommandierende General Freiherr von Gagern in der Schlacht gefallen, doch Hecker sieht die Revolution als gescheitert an, zumal sich im Volk bald das Gerücht verbreitet, Gagern sei gezielt hinterrücks erschossen worden. Hecker flieht zunächst in die Schweiz und wandert im Herbst 1848 in die Vereinigten Staaten aus.

 

Zwar war der kommandierende General Freiherr von Gagern in der Schlacht gefallen,  doch Hecker sieht die Revolution als gescheitert an, zumal sich im Volk bald das Gerücht verbreitet, Gagern sei gezielt hinterrücks erschossen worden. Hecker flieht zunächst in die Schweiz und wandert im Herbst 1848 in die Vereinigten Staaten aus.

 

Der Heckerzug von Konstanz bis nach Kandern und Sigels Vorrücken auf Freiburg [Dick16]

In einem Abschiedsbrief an Emma Herwegh kommt Heckers Bitterkeit voll zum zum Ausdruck: Wer nicht ein sich selbst betrügender Enthusiast oder ein kurzsichtiger Narr ist, der sieht klar, daß Deutschland im besten Zuge ist, statt 34 mal 35 mal monarchisch zu werden.* Unglückseliges Volk, armes Vaterland. Kommt nicht ein Anstoß von außen, ziehen nicht die roten Hosen über den Rhein, so erhebt sich das Volk nicht. Eine große Zeit ist über ein kleines Geschlecht hinweggerauscht, und der Weltgeist schüttelt zürnend seine Schwingen und wendet den Blick ab von der verächtlichen Rasse [Enge10].

*Anspielung auf den Reichsverweser aus dem Hause Habsburg. Siehe weiter unten.

 

 

22. April

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kokarde der Freiheitskämpfer

 

Freiburg: Blutige Ostern 1848

 

Der Freiburger Professor der Chirurgie Karl Hecker erhält einen Brief seines Bruders Friedrich aus Basel, in dem dieser über die Niederlage seiner schlecht ausgerüsteten Revolutionäre gegen übermächtige Regierungstruppen bei Kandern und seine Flucht in die Schweiz berichtet.

 

Dagegen näherte sich Sigels* Kolonne über Todtnau und Horben her, während noch am Samstag, den 22. April, zufolge des Ausschreibens des Kreisausschusses eine Vollversammlung auf dem Karlsplatze bei Freiburg gehalten, dieselbe jedoch nicht zahlreich und kaum zur Hälfte mit Sensenmännern und anderen Bewaffneten besucht wurde [Hunn41].

*Franz Sigel ist ein ehemaliger Leutnant der badischen Armee. Wegen eines Duells musste er 1848 seinen Dienst quittieren.

 

Carl von Rotteck junior sieht die Erhebung als gescheitert an. Er und Karl Mez raten den etwa 2000 Teilnehmern der Volksversammlung nach Hause zu gehen. Dagegen halten Volkswehr und die vielen auswärtigen in der Stadt versammelten Freiheitskämpfer Heckers Niederlage für ein Gerücht. Sie hoffen auf das Eintreffen der Freischar unter Sigel, sammeln sich unter den Rufen Içi, par içi! und wollen weiterkämpfen.

 

Unter großem Jubel wählen die Männer schließlich den Turner und Candidaten der Medizin Georg von Langsdorff zu ihrem Kommandanten, der sogleich in der Stadt umherreitet und dabei zündende Reden hält. Und so stellt Struve im Nachhinein fest: Man hatte nur Worte, keine Thaten gegen die Bajonette und Kanonen der vereinigten Fürstenpartei [Stru49].

 

Unterdessen zieht die badische Regierung eigene und hessische Truppen bei Freiburg zusammen. Bald sind es 6000 Mann, auch Kavallerie und Artillerie, die unter dem direkten Kommando des Kriegsministers Friedrich Hoffmann stehen. Besorgt verrammeln die etwa 1500 in der Stadt versammelten Freischärler in der Osternacht die Tore mit Barrikaden und erwarten dringend den angekündigten Entsatz durch die 5000 Mann unter dem Kommando Franz Sigels, die aus Richtung Horben kommend auf Freiburg vorrücken sollen.

 

Am Sonntag früh (23. April) wurde in Freiburg Generalmarsch geschlagen. Diejenigen Wehrmänner, welche zurückgeblieben waren, noch immer 12 bis 1500 Mann, versammelten sich auf dem Münsterplatze. Die Klagen über Mangel an Waffen und Munition, denen nur unvollständig abgeholfen wurde, erneuerten sich. Mißmuthig darüber und aufgehetzt durch Feiglinge und Verräther verließen wiederum Viele die Stadt. Gegen Mittag erschien Bürgermeister (Joseph) v. Rotteck und überbrachte das Verlangen des royalistischen Generalstabs, daß die in Freiburg stehenden Republikaner binnen 2 Stunden die Stadt verlassen sollten, widrigenfalls die fürstlichen Soldaten mit Gewalt einrücken würden [Stru49].  

 

Mittlerweile wurden Barrikaden errichtet. Vergebens drang Bürgermeister Rotteck kurz vor Ablauf der Frist auf eine entscheidende Antwort der republikanischen Führer. Endlich brachte die Nachricht von Sigels Nähe die Leute in freudige Bewegung. Eine Schaar von 37 Mann erbot sich, Sigel und Struve entgegen zu ziehen, und ihnen Bahn zu brechen. Unter dem Jubel des Volks zogen sie ab. Das Herannahen des entscheidenden Kampfes erfreute alle Herzen mit froher Begeisterung. Binnen zwei Minuten wehte auf diese Nachricht aus allen Fenstern die deutsche Fahne. Die Schaaren wurden entlassen, um etwas Wein und Brod zu genießen, und auf das erste Schlagen des Generalmarsches wieder beisammen zu sein. Jetzt gaben auch einzelne Bürger ihre Waffen her und etwa 9 Soldaten vom 2. Regimente gingen über [Heck48].  

 

Gleichzeitig beginnen die Regierungstruppen, den Ring um Freiburg enger zu ziehen. Georg von Langsdorff steigt auf den Münsterturm und schaut verzweifelt nach der anrückenden Hilfe für die eingeschlossenen Freischärler aus. Stattdessen beobachtet er durch sein Fernrohr, wie laufend frische nassauische Bundestruppen mit schweren Waffen per Bahn am neuen Freiburger Bahnhof eintreffen.

 

 Auf der Suche nach Gleichwertigem geht Langsdorff gegen vier Uhr mit 30 Mann aufs Rathhaus, um die Kanonen der Stadt mit Gewalt zu nehmen. Die ganze Bürgerschaft war dort versammelt. Langsdorff sprach ihnen zu: seine Worte verfehlten ihren Eindruck nicht; einige waren bereit, die Kanonen herauszugeben. Aber der zahlreich anwesende Adel warf sich dazwischen und hinderte es. Es war ein Drängen hin und her… Jetzt drang die Menge gewaltsam vor, schlug die Thore ein, und bemächtigte sich der Kanonen. Doch die Spieße hatten die Munition versteckt; der ganze Vorrat bestand aus 3 Kugeln und 4 Kartätschenbüchsen, die wir nicht brauchen konnten, da sie für Vierpfünder waren, während wir Sechspfünder hatten. Dazwischen ertönte fortwährend das Schießen von draußen, wogte die Menge in den Gassen hin und her, und verlangte ungestüm nach Munition. Es war ein unentwirrbares Chaos, in das nur wenige durch entschiedenes, kühnes und umsichtiges Handeln Ordnung brachten, die Errichtung von Barrikaden an den Thoren förderten, Pulvervorräthe aufsuchten und während der Nacht die Anfertigung von Patronen für Flinten und Kanonen ins Werk setzten [Heck48].

 

Schreiber beobachtet, dass diese Hektik viele Schaulustige anlockt: Der vordere Schloßberg, zumal der sogenannte Kanonenplatz und die anstoßende Ludwigshöhe, von der eine gewaltige dreifarbige Fahne wehte, füllte sich mit einer Menschenmenge, welche dem kleinen kriegerischen Schauspiel solange zusah, bis sie durch einzelne Kugeln in wilder Hast vertrieben wurden [Hunn41].

 

Derweil zieht die Abordnung  der Freiburger Volkswehr unter Hermann Mors in Richtung Horben, um nach dem Verbleib von Sigels Freischaren zu schauen. Sie stoßen auf eine Vorhut von etwa 300 Mann unter Struve. Bei deren Anblick der Mannschaft ist Mors enttäuscht: Ich hatte sie mir vorgestellt mit blanken Stutzen, mit schwarzen Heckerhüten, von denen die Federn herabwallten, die Führer bärtig, mit langschäftigen Stiefeln einige hübsche Marketenderinnen mit zierlichen Schnapsfässchen, statt der Federn hübsche Sträußchen mit bunten Bändern auf den Hütchen;... nur war aber die Mannschaft in Wirklichkeit ganz anders. Verkleidung und Bewaffnung war ein buntes Durcheinander: Blusen, teutsche Röcke und Reitfräcke, Mäntel, Paletots; aller Arten Hüte, Bauernhüte, Heckerhüte, französische, englische Mützen, österreichische von Wachstuch, Pelzmützen, Studentenmützen, ... Stutzen, Musketen, Karabiner, Säbel, Degen ... Von Marketenderinnen war keine Spur ... Was die Musik anlangt, so war solche freilich vorhanden, aber sie war jämmerlich, herzzerreißend, ... man wurde unwillkürlich an eine Bärenmusik erinnert [Sieb08c].

 

Struve sieht die Begegnung seiner Truppen mit der Abordnung in Horben ein wenig anders: Auch war dort eine Schaar Freiburger eingetroffen, welche uns aufforderte, so rasch als möglich auf Freiburg loszurücken, indem die Stadt selbst von feindlichen Truppen entblößt, die in der Nähe befindlichen aber dem Volke günstig gesinnt seien. Die Freiburger stellten überhaupt uns die Sache so dar, als handle es sich nur darum, Besitz von der Stadt zu ergreifen [Stru49]. In Abwesenheit Sigels war man einstimmig der Ansicht, es könne nicht länger gewartet werden, um so weniger, als Sigel, da er beritten sei, leicht die Colonne würde einholen und den Oberbefehl würde übernehmen können [Sieb08c].

 

 

Freiburg: Die Royalisten vom Loretto-Hügel und Sternenwald auf beiden Flanken ... angegriffen

 

 Sigel aber hatte sich folgenden Plan für den Angriff auf Freiburg ausgedacht: Am Ostertage, den 23. Abends zwischen 4 und 5 Uhr sollte der Angriff gegen die um Freiburg stehenden Bundestruppen geschehen, im Fall sie sich unserem Einmarsch widersetzen würden. Zu Horben, welcher Ort ohngefähr 2 Stunden von Freiburg entfernt ist, sollte die ganze Kolonne sich sammeln und die Anführer ihre Befehle erhalten. Es war einleuchtend, daß uns der Feind - mit Geschütz und Reiterei versehen - nicht im Gebirge, sondern im Augenblick angreifen würde, wo wir vom Gebirge herab in die Ebene stiegen. Zu gleicher Zeit mußte er einen Ausfall der in Freiburg befindlichen Mannschaft, und eine Vereinigung derselben mit der unsrigen zu verhindern suchen. Er mußte deßhalb die Mündung des Güntersthales, sowie die bei Uffhausen besetzt halten, während ein auf dem Loretto-Hügel aufgestelltes Detaschement unser Vorrücken auf diesem Punkte zu verhindern suchte. Um einem Ausfall aus Freiburg zu begegnen, mußte in schiefer Richtung gegen die beiden Brücken der Dreisam eine Reserve aufgestellt werden. Gegen diese vermutliche Aufstellung der feindlichen Truppen sollten folgende Anordnungen getroffen werden.  

 

(Johann Philipp) Becker mit seinen Scharfschützen und die Schützen von Konstanz unter Mögling, die schon im Gefecht von Kandern sich so tapfer benommen hatten, nebst den 2 eisernen Kanonen und der 2te Banner - im Ganzen ohngefähr 800 Mann - sollten auf der Höhe gegen St. Loretto vorrücken, während 3 Kompagnien Musketiere Merzhausen besetzt hielten. Stephani mit 200 Scharfschützen und den 2 Konstanzer Kanonen nebst dem 1ten Banner sollten zu gleicher Zeit über Güntersthal auf dem Wege vorgehen, welcher längs dem Bromberge durch den Sternenwald führt. Am Saum des Waldes, in der Nähe des Wirthshauses zum Waldhorn bis gegen das Schießhaus bei Freiburg sollten die Schützen Stellung nehmen. Im Falle diese Stellung von den Schützen des Feindes schon eingenommen war, mußten unsere Schützen sich rückwärts im Walde postiren. Die Hauptkolonne von 3 Bannern sollte in Güntersthal bis nach der Eröffnung des Gefechts aufgestellt bleiben und dann erst im Thale selbst vorrücken; ebenso die in Merzhausen aufgestellte Kolonne. Die Royalisten vom Loretto-Hügel und Sternenwald auf beiden Flanken, durch zahlreiche und gute Scharfschützen angegriffen, von Güntersthal aus in der Front und durch die Besatzung von Freiburg im Rücken bedroht, würden genöthigt gewesen sein, die Mündung des Thales zu verlassen und sich gegen St. Georgen zurückzuziehen [Sige49].

 

 

23. April

 

 

Günterstal: Fort, fort du Hund

 

Sigels Plan jedoch geht nicht auf, denn durch die Bitten der Freiburger Abordnung beeindruckt, vom Ehrgeiz angestachelt prescht Struve gegen ausdrücklichen Befehl Sigels mit seiner kleinen Mannschaft vor. Sigel erinnert sich: Ohne die nöthigen Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, stiegen sie in das Thal und zu dem Dorfe Günthersthal hinab und bewegten sich in Marschkolonne das Thal entlang auf Freiburg zu. Aber an der Mündung des Thales angekommen, trafen sie plötzlich - wie auch wieder vorauszusehen war - auf den Feind, der sich dort aufgestellt hatte und sie nach kurzem Parlamentieren mit Geschütz und Infanterie empfing. Wie nach dem Gefecht von Kandern und dem Benehmen der Royalisten deutlich vorauszusehen war, ließ sich der Kommandirende in keine Unterhandlungen ein, sondern gab dem ehemaligen badischen Artillerieoffizier Kuenzer, welcher an ihn die Frage richtete, ob Struve einige Worte sprechen könne, zur Antwort: Fort, fort du Hund. Kuenzer richtete sich nun an die Mannschaft der Artillerie mit den Worten: lhr werdet nicht schießen, dort drüben stehen eure Väter und Brüder, worauf der Commandant dem neben ihm stehenden Bataillon den Befehl zum Feuern gab. Mit dem Ausruf Vater- und Brudermörder! ritt Kuenzer zurück. Durch die nachgesendeten Schüsse erhielt sein Pferd eine leichte Verwundung [Sige49].

 

Die in vorderster Linie stehenden Sensenmänner geraten nach den ersten Kartätschensalven in Panik und laufen davon, einige werfen ihre Sensen weg. Glücklicherweise kommt Leutnant Sigel, alarmiert durch das Gewehr- und Kartätschenfeuer, gerade noch rechtzeitig mit einem Trupp von Horben nach Günterstal heruntergeeilt, und schlägt die Regierungstruppen zurück. Von halb vier Uhr nachmittags bis sieben Uhr abends dauert das Gefecht. Auf beiden Seiten fließt viel Blut. Mindestens 20 Freischärler und drei Soldaten lassen beim Jägerbrunnen ihr Leben. [Sieb08c].

 

 

24. April

 

 

 

Umbenennung des Platzes am Schwabentor 1978 durch die linke Szene
in Erinnerung an die Erhebung von 1848

 

Freiburg: Das Tor war schon zu stark besetzt

 

Während Sigels Freischaren am 24. April, dem Ostermontag, erst um halb zehn Uhr aufbrachen, hatte der Angriff [der Regierungtruppen] auf Freiburg bereits um 9 Uhr mit Kanonade und Kleingewehrfeuer begonnen. Am heftigsten tobte er um das Breisacher Tor, St. Martinstor, wo die Hessen nach 10 Uhr die Barrikade erstürmten und vom Bahnhof aus das ehemalige Lehenertor (die Jesuitengasse) und das Predigertor nebst Unterlinden, wo die Badener und die Nassauer beinahe zur gleichen Zeit eindrangen [Hunn41]. Gegen zwei Uhr nachmittags erreicht Sigel mit dem ihm verbliebenen treuen Rest von rund 400 müden und ausgehungerten Revolutionären von Günterstal kommend und durch die Wiehre marschierend das Schwabentor. Als man in Freiburg das republikanische Heer von Horben heranrücken sah, erhob sich lauter Jubel und Hurrahgeschrei. Ein Theil der Wehrmänner suchte zum Schwabenthore, vor dem das zweite Regiment stand, auszubrechen, griff dieses jedoch nicht an und gab auch den heranrückenden Republikanern kein Zeichen, daß sie auf Hülfe von Seiten der Stadt zu rechnen hätten [Stru49].

 

Auf sich allein gestellt versuchen Sigels Männer in einem letzten Aufbäumen, den Belagerungsring zu durchbrechen und die Aufständischen in der Stadt zu entsetzen. Theodor Mögling ist einer der Führer: Von Günterstal an machten wir eine Art Dauerlauf. Ich führte unsere Avantgarde und bewegte mich etwas schneller als unsere Hauptmasse. Man sagte uns, beim Schwabentor können wir jedenfalls noch in die Stadt eindringen. Um nun keine Zeit zu verlieren, wollte ich nicht warten, bis unser Hauptkorps auf gehörige Nähe herbeigekommen, sondern drang möglichst rasch vor, obgleich die Royalisten uns schon bemerkt hatten und ziemlich heftig mit den Kartätschen beschossen. Auf der Dreisambrücke fiel mein Fahnenträger auf meiner Seite, wir ließen uns dadurch jedoch nicht aufhalten, bis wir etwa noch 50 Schritt von dem Schwabentor entfernt waren. Da wurden wir plötzlich mit sehr lebhaftem Gewehrfeuer von dem Tor aus, welches soeben von den Royalisten besetzt worden war, empfangen, das Tor war schon zu stark besetzt, als daß wir den Eintritt hätten forcieren können [Mögl09].

 

 

Freiburg: Ich ging mit Sigel in die Bierstube

 

Unser Haupttrupp war unterdessen in der Flanke gefaßt, und Sigel, der das Kommando desselben übernommen hatte, aber in seinem Eifer allein bis zu uns vorgedrungen war, sah sich von seiner Truppe abgeschnitten … Von drei Seiten angegriffen, zog sich meine Mannschaft [] rechts am Schloßberg hinauf zurück, während ich, Sigel und vier andere Leute, von allen Seiten abgeschnitten, uns links wandten und, einen Augenblick unbemerkt, uns hinter Hütten, welche an dem Weg standen, zurückzogen, so daß wir außer dem Bereich des feindlichen Feuers waren. Viel Holz lag umher, welches wir sogleich zu Errichtung einer Barrikade benutzten, um unser Leben wenigstens so teuer wie möglich zu verkaufen. Merkwürdigerweise wurden wir nicht bemerkt, das Gewehr- und Kanonenfeuer ließ bald nach und verstummte endlich ganz, die Royalisten zogen in die Stadt von allen Seiten ein. Plötzlich bemerkte ich, daß die Stadtmauer vom Feind besetzt wurde, von wo aus er uns sehr leicht hätte bemerken können. Meine Leute legten sich schnell zu Boden, ich stellte mich hinter ein Brett und beobachtete den Feind. Nicht lange hielt dieser sich auf der Mauer, worauf ich meinen Begleitern vorschlug, mit mir über die Stadtmauer in die Stadt einzudringen, um zu sehen, ob in der Stadt nicht vielleicht noch etwas zu machen sei. Der Vorschlag fand Beifall, es waren keine furchtsamen Leute. Wir gingen in den Stadtgraben hinab und stiegen auf der anderen Seite an der Mauer hinauf in die Stadt hinein. Ich war in der Stadt selbst nicht bekannt, da ich vor Jahren nur einmal ein paar Stunden dagewesen war, überließ mich daher ganz der Führung meiner Freunde. Diese brachten mich in ein Bierhaus. Die Familie nahm uns freundlich auf und brachte uns in ein Zimmer, in welchem wir ganz sicher uns umkleiden und zu Mittag essen konnten [Mögl09].

 

Für Heinrich Schreiber ist diese Begebenheit unfassbar: Es grenzt an das Unglaubliche und Abenteuerliche, wie nicht nur der Schützenführer Mögling, sondern auch der nachgefolgte Hauptanführer Sigel, beide von den Ihrigen versprengt, auf dem städtischen Holzhofe neben der Reitschule an der Dreisam mit noch vier Gefährten hinter einem Bretterhaufen vor den streifenden Hessen eine Stunde lang, vom Regen begünstigt, sich verbargen, sodann am hellen Mittag durch den nach allen Seiten offenen Stadtgraben über die Umfassungsmauer des Kellerschen Rebgutes auf dem Rempart und von da in die Stadt stiegen, bei einem Unbekannten Aufnahme und Bewirtung fanden, sodann Kaffee- und Bierhäuser besuchten, um mitten unter feindlichen Soldaten Erkundigungen einzuziehen, bei der Rückkehr ihren Gastfreund durch Angabe ihrer Namen in die größte Verlegenheit setzten, die Stadt durch das Zähringertor wieder verließen und auch bei der dortigen strengen Untersuchung durchkamen, nach dem Glottertal wanderten und von da den weiteren Weg über den Schwarzwald ungestört fortsetzten [Hunn41].

 

Nachdem dies abgemacht war, ging ich mit Sigel in die Bierstube, wo wir uns zu mehreren Freiburger Bürgern an einen Tisch setzten und über die Ereignisse des Vormittages sprachen. Bald ging die Türe auf, und nicht wenig erstaunt sahen wir einige unserer Kampfgenossen eintreten, welche ebenso freudig überrascht waren, uns hier zu finden. Auf unsere Frage, wie sie hierher kommen, sagten sie, von allen Seiten bedrängt, haben sie sich zwar an dem Schloßberg hinauf zurückgezogen, sowie sie aber nicht mehr verfolgt worden seien, seien sie wieder vorgedrungen, auf einen Trupp Republikaner gestoßen und von diesen gehört, Sigel und ich seien entweder gefallen oder in Freiburg. Sie haben nun beschlossen, alles daran zu setzen, um etwas Näheres zu erfahren und seien deshalb in die Stadt hereingekommen. Ihre Freude war groß, uns gleich getroffen zu haben. Sigel ging mit einem Freund weg, um Verwandte zu besuchen. Das Zimmer füllte sich nach und nach mit Soldaten. Von unserem Tisch ging einer um den anderen weg [Mögl09].

 

Ostern 1848: Barrikade am Predigertor(1). Die Fahne der Revolutionäre ist in der Farbenfolge
Rot-Gold-Schwarz gefertigt und damit verschieden von der in Freiburg ausgegebenen Anleitung

Die Freischärler setzen den erbitterten Kampf gegen die Regierungstruppen fort, die nach dem Zerschießen der Barrikaden am Nachmittag die Stadt stürmen. Am nächsten Tag berichtet die Oberrheinische Zeitung: Der Tummelplatz war auf dem Rampart, vor dem Prediger-, Breisacher- und Schwabenthor und in der Gegend von Unterlinden. Das Feuern der Freischärler nach Außen und des Militärs denselben entgegen, war zwei Stunden lang furchtbar und richtete die größten Verwüstungen an Gebäuden und im Innern derselben an; ein Haus war so sehr den Kanonen- und Kartätschenschüssen ausgesetzt, daß es dem Einsturze nahe ist. Mehrere Einwohner wurden getödtet oder verwundet. ... Um halb 12 Uhr mußten die Freischärler dem militärischen Andrange weichen und wurden von den im Sturme ihnen nachsetzenden Soldaten nach allen Seiten hin verjagt und zerstreut und die Stadt von den Truppen besetzt. Allmählich zogen von allen Seiten her gegen 6.000 Mann an Infanterie, Reiterei und Artillerie und zwar Badenser, Nassauer, Hessen und Württemberger in die Stadt, welche von ihnen so umzingelt war, daß man über die Tollkühnheit der Freischärler, einer solchen Macht trotzen zu wollen, nur staunen muß [Sieb08c].

 

Barrikade am Predigertor (2)

Henriette Feuerbach, die Stiefmutter des Malers Amselm Feuerbach macht ihre Beobachtungen vom Kellerfenster ihres Hauses in der Nähe des Schwabentors:

 

Amselmsches Haus vor dem Schwabentor um 1910 ©Vistatour

Wir gingen in den Keller, das Bombardement dauerte eineinhalb Stunden, dann drang das Militär in breiten geschlossenen Reihen mit klingendem Spiel im Sturmschritt mit gefälltem Bajonett in die Stadt. Wer auf der Straße war, wurde gefangen oder niedergemacht, wer an den Fenstern sich zeigte, erschossen. Die Freischärler hatten vorher die Hessen in Furcht gejagt, sie warteten auf kochendes Pech und einen völligen Straßenkampf. Nachher kamen die Arrestationen, das war greulich. Ich war nachmittags in der Stadt, sie glich einem Feldlager; 5-6000 Mann Hessen, Nassauer, Württemberger, Badenser biwakierten in den Straßen, die Häuser zerschossen, überblasse, blutende Gebundene inmitten einer Truppe Soldaten mit geschwungenen Säbeln. Das dauerte vier Tage; aus den Kellern herauf, zu den Fenstern heraus wurden sie gezogen. Alle Häuser durchsucht [Sieb08c].  

 

 Am Abend kann General Hoffmann nach Karlsruhe melden: Freiburg ist in unseren Händen. Die Sache der gesetzlichen Freiheit hat gesiegt und die Anarchie einen schweren Schlag erlitten [Sieb08c].

 

 

Freiburg: Die Feder sträubt sich, die Scenen aufzuzeichnen

 

 Über die Ereignisse am Ostersonntag und -montag schreibt die Freiburger Zeitung in einer Notausgabe vom Osterdienstag, dem 25. April 1848:

 

In der Tat: Nach dem Sturm besetzen Bundestruppen die Stadt und verkünden das Kriegsrecht in Freiburg. Die noch unvollendete Kunst- und Festhalle am Nordende des Platzes dient ihnen als Magazin und Kaserne.

 

Karl von Rotteck, einige seine Anwaltskollegen und andere „verdächtige“ Personen werden verhaftet. Das Großherzogliche Stadtamt verbietet den Turnverein und die Bürgerliche Lesegesellschaft Harmonie.

 

 Das konservative Bürgertum Freiburgs kann freilich aufatmen. Am 26. April schreibt die Freiburger Zeitung: Erst jetzt, nachdem durch den Kanonendonner dem Gesetze wieder Achtung verschafft worden, kehrt die Ordnung zurück und damit Ruhe in die Gemüther [Sieb23].

 

Am 28. April nach dem Ende der Wirren paradieren die siegreichen Bundestruppen vor dem Oberkommandierenden des 8. deutschen Armee-Corps, Prinz Friedrich von Württemberg auf dem Karlsplatz.

 

Es war ein blutiges Osterfest Anno 1848 zu Freiburg ...

 

 

27. April

Dossenbach: Viertägige Irr- und Wanderfahrt

 

Doch wo sind Georg Herweghs 7000 Freiheitskämpfer geblieben? Von Straßburg aus fuhren nur noch 649 den Rhein aufwärts. Nachdem sich die politischen Führer sowohl, als auch die militärischen Führer eingefunden, wurde auf 5 mächtigen Kähnen über den Rhein gesetzt und zwar in der Gegend von Kembs. Es war die Nacht vom 23. auf den 24. April, die Nacht zwischen Ostersonntag und Ostermontag. Von Kembs ging der Marsch nach Kandern und von da nach einer kurzen Rast nach Wieden. Als die Pariser deutsche Legion nach einem ermüdenden Marsche am 25. daselbst eingerückt war, erfuhr sie, daß sich Sigel bereits zurückgezogen habe und Freiburg im Besitze der fürstlichen Truppen sei. Die Hülfe aus Paris kam für die badischen Freiheitskämpfer offenbar zu spät [Stru49].

 

Da nützt es auch nichts, dass Emma Herwegh mit der Pistole in der Hand an der Seite ihres Mannes kämpft. Die Deutsche Democratische Legion wird am 27. April bei Dossenbach vernichtend geschlagen. Unter den Freischärlern gibt es etwa 30 Tote und viele Verwundete; fast 400 von ihnen werden festgenommen. Die Herweghs suchen wie Hecker Zuflucht in der Schweiz. Hier hat Georg eine Schreibblockade, so dass Emma die Erklärung über den gescheiterten Marsch Im Interesse der Wahrheit verfasst und mit Von einer Hochverräterin unterzeichnet [Sieb17].

 

Erst 1850 schreibt Herwegh seinen Bericht: Viertägige Irr- und Wanderfahrt mit der Pariser deutsch-demokratischen Legion in Deutschland und deren Ende durch die Württemberger bei Dossenbach und als Dichter ein verbittertes und pessimistisches Gedicht [Berg14]:  

 

Mein Deutschland, strecke die Glieder
Ins alte Bett, so warm und weich;
Die Augen fallen die nieder,
Du schläfriges deutsche Reich …

 

Sie sind uns alle verblieben;
Und als wir nach dem Sturme gezählt
Die Häupter unserer Lieben,
Kein einziges hat gefehlt.

 

Deutschland nimmt nur die Hüte
Den Königen ab, das genügt ihm schon;
Der Deutsche macht in Güte
Die Revolution

 

Ende des ersten Versuchs einer Demokratisierung!

 

Dazu meint Struve: Die Volkserhebung vom Aprilmonate 1848 konnte ... nicht gelingen. Allein sie bildete den Kern einer entschlossenen republikanischen Partei, die Schule der Revolution, den Anfang einer besseren Zeit. Sie schlug die Brücke von der wortreichen schmählichen Vergangenheit zu einer thatenreichen und ehrenvollen Zukunft. In ihr wird das deutsche Volk noch nach Jahrhunderten den ersten sprossenden Keim deutscher Freiheit, deutscher Einheit und deutscher Größe erkennen. Mögen daher auch manche der Männer, welche sich bei derselben betheiligten, Fehler, seien sie auch noch so groß, gemacht haben, das deutsche Volk wird diese eher verzeihen, als die Theilnahmlosigkeit, welche so viele andere Leute, die gern Männer des Volkes sein möchten, ihr entgegensetzten [Stru49].

 

Philipp Becker beurteilt in seinem Buch Geschichte der Süddeutschen Mai-Revolution Heckers Zug wesentlich kritischer: Der erste Zug, dem Hecker den politischen Heiligenschein zu verdanken hat, mit welchem der Glaube des deutschen Volkes ihn eine Zeitlang umgab, war als erstes Zeichen davon, daß das deutsche Volk die Märzrevolutionen noch nicht als geschlossen betrachtete, und ihre politischen Hoffnungen noch nicht ganz im deutschen Parlamente concentrirte, interessant; das Andenken an ihn wurde jedoch durch die großartigeren Wiener Revolutionen ziemlich in den Hintergrund gedrängt. Der erste Reiz der Neuheit umgab damals noch die politischen Versuche der Republikaner, und daher kam es, daß der Hecker'sche Zug sehr bald Gegenstand der Volkspoesie und des Volksliedes wurde. Im vorigen Sommer konnte man gewiß in Süddeutschland kaum ein Wirthshaus finden, in welchem nicht von Handwerkern und selbst Soldaten das „Heckerlied" nach der einschläfernden Melodie des Schleswig-Holsteinliedes gesungen wurde. Vor dieser Poesie verschwand die Reflexion über das Unpolitische der ganzen Unternehmung, welche schon bei der Offenburger Versammlung hätte ausgeführt werden müssen, wie überhaupt die vielen Lächerlichkeiten dieses Zuges, die voreilige Flucht Hecker's in die Schweiz und seine spätere Auswanderung nach Amerika [Beck49].

 

 

Flüchten aus wirrer Zeit ...

 

Die Revolution musste scheitern, denn sie fand keinen Widerhall im Biedermeierbürgertum. In der trüben, pessimistischen Stimmung und der Trostlosigkeit jener Tage kommt das folgende Gedicht zustande:

 

Wer möchte nicht gern flüchten
Aus dieser wirren Zeit,
Und möchte nicht entrinnen
Der wüsten Wirklichkeit?

Wie ist die Welt zerrissen
In Hader und in Zank,
Die Ordnung wild zerrüttet,
Die ganze Welt ist krank.

Drum zieh' dich in dein Inn'res
In dein Gemüt zurück,
Dort blühet dir noch einzig
Dein selbstgeschaffnes Glück!

Drum laß' es draußen toben,
Ob alles wankt und fällt,
Du baust dir im Gemüte
Ja doch die schönste Welt.

 

Viele Menschen fallen in stumpfe Resignation. Sie verzichten, an dem  Versuch zur Besserung der  politischen und sozialen Lage mitzuwirken, da alles wankt und fällt [Maye94].

 

Andere Menschen begehren auf. Wir wollen keine Republik mit ihren ewigen Unruhen im Gefolge, schlägt es Theodor Mögling in einer seiner Wahlversammlungen entgegen, doch er ködert die Menschen geschickt wie weiland Luther die deutschen Fürsten mit dem finanziellen Argument: Man hat euch die Republik als den Tummelplatz des Ehrgeizes bezeichnet, findet man in der Monarchie keinen Platz für ehrgeizige Bestrebungen? Niemand aber wird mir bestreiten, daß die republikanische Staatsverfassung die wohlfeilste ist. Von allen Seiten habe ich bisher Klagen über die Kostspieligkeit der Monarchie, nicht bloß wegen der Zivilliste (die jährlich dem Monarchen aus der Staatskasse gewährten Gelder), sondern hauptsächlich wegen der großen Kosten der unmäßig großen Zahl von Beamten gehört, wer nun eine so kostspielige Verwaltung gut findet, trete auf Seiten meines Gegners, wer aber die wohlfeilere republikanische vorzieht, trete auf meine Seite [Mögl09]. Argumentiert Mögling hier verschlagen oder naiv?, ernähren doch auch Republiken Heere von Beamten.

 

 

10. Mai

 

Die Pflicht dem Unwesen entgegen zu treten

 

Mit genügendem Abstand berichtete die Illustirte Zeitung am 10. Mai über die Ereignisse zu Ostern 1848 in Freiburg recht kritisch:

 

Indessen ging es in der Stadt stürmisch zu; vom Lande waren mehr als 2000 Bewaffnete, meist Sensenmänner, hereingekommen; die Turner unter Georg v. Langsdorf hatten sich zu einer bewaffneten Schaar geordnet, von wirklichen Verhandlungen war keine Rede mehr; mit jedem Augenblick stellte sich klarer heraus, was jeder Unbefangene von Anfang an geglaubt hatte, daß eine Schilderhebung zu Gunsten Hecker’s, daß die Erklärung der Republik auf dem Wege der Gewalt und des Schreckens beabsichtigt wurde.

 

Jetzt erkannte auch die bessere Mehrzahl der Bürger, was es auf dich habe, in solcher Zahl sich neutral zu erklären, engherzig spießbürgerlich blos die innere Ordnung der Gemeinde aufrecht zu erhalten, nur die nächsten kleinen Interessen des Eigenthums vertheidigen zu wollen und die heiligen Pflichten des Staatsbürgers zu vergessen. Zu spät haben wol Viele eingesehen, daß sich das Wohl des Einzelnen und der Gemeinde von dem des Staates nicht trennen läßt, und daß, wer den Muth nicht hat für Alle einzustehen, auch von der Gesammtheit für sich keinen Schutz erwarten kann.

 

Ihrer eignen Erklärung vom 11. April zufolge war nichts natürlicher, als daß die Bürgerschaft der wachsenden Gesetzlosigkeit rathlos ohne Uebereinstimmung, ohne Ordnung und Führung gegenüber stand; es erwies sich als eine thörichte mattherzige Einbildung, dem Treiben einer Schaar, die man von Anfang nach Belieben schalten und walten ließ, erst dann Schranken setzen zu wollen, wenn durch sie die innere Ordnung der Stadt gefährdet werden würde. Die nämlich beklagenswerthe Schwäche hatte in natürlicher Wechselwirkung auch die Behörden angesteckt, deren Pflicht es zuerst gewesen wäre, dem Unwesen entgegen zu treten; weder von dem Regierungsbeamten noch vom Stadtvorstand ging eine entschiedene Maßregel aus, und so gewiß es ist, daß durch ein Einschreiten des Militairs an diesem Tage ohne große Opfer der Gesetzlosigkeit ein Ende gemacht werden konnte, so gewiß wurde kein Gebrauch davon gemacht.

Vielmehr führte man die Truppen, nachdem sie den ganzen Tag über im heftigsten Regen [zu beiden Seiten der Straße nach St. Georgen, mit der Front gegen das auf 1500 Schritte liegende Dorf Wiehren] gestanden hatten, gegen 5 Uhr zum Theil 2-3 Stunden weit ins Quartier [Illu48].

 

So sahen wohl die besseren Bürger in ihrer schweigenden Mehrheit die Geschehnisse im Nachhinein. Ja, die offizielle Seite möchte jegliche Erinnerung an die Revolution auslöschen.  Als badische Soldaten ihren gefallenen Kameraden auf dem Alten Friedhof in Herdern einen schlichten Gedenkstein mit der Inschrift: Zur Erinnerung an die am 24ten April 1848 bei dem Sturm auf Freiburg Gefallenen von ihren Waffengefährten errichten, muss der Stein auf großherzogliche Weisung gedreht werden,  damit die Inschrift vom Wege aus nicht einzusehen ist:

 

Und so galt im 2. Reich die Revolution von 1848 als undeutsche Entgleisung und nicht geschichtswürdig, wie der schon so häufig zitierte Verfasser einer Freiburger Geschichte Joseph Bader 1882 schreibt: Nachdem es seit der Offenburger Volksversammlung und noch bewegter seit dem Ausbruche der französischen Februar=Revolution im Lande Baden zu einer wachsenden Aufregung gekommen, brach endlich der unselige Aufstand von 1848 aus, über deren Verlauf man patriotisch beschämt gerne hinwegsieht [Bade82].

 

 

18. Mai

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Michel mit seiner Kappe
aus dem Eulenspiegel von 1848

 

Frankfurt: Große schwarz-roth-goldne Fahnen wehten

 

Nach ihrer Wahl ziehen am 18. Mai 1848 unter Glockenläuten und Kanonendonner 585 Volksvertreter aus ganz Deutschland in die Frankfurter Paulskirche ein: Der laute Vivatruf des Volkes mischte sich mit dem der Stadtwehr, aus allen Fenstern wurden Tücher geschwenkt, und große schwarz-roth-goldne Fahnen wehten zur Feier des Tages aus den meisten Häusern der Stadt [Momm02].  Auf dieser Nationalversammlung ruht die ganze Hoffnung der deutschen Demokraten. Heinrich Laube, Schriftsteller und Abgeordneter aus Leipzig erinnert sich: Der Ort wimmelte, die Straßen summten von unternehmender Jugend, von kräftigen Menschen, welche handeln wollten.

 

Mitglieder der Nationalversammlung
ziehen in die Paulskirche ein

 

Ohne Umschweife konfrontiert Struve die Abgeordneten mit seinen Maximalforderungen: Die Monarchien sollen zugunsten einer föderativ gegliederten Republik abgeschafft werden. Er verlangt die Bewaffnung des Volkes und dafür die Abschaffung der stehenden Heere. Statt des Berufsbeamtentums und der Privilegien des Adels, des Klerus und der Reichen fordert Struve eine aktive Sozialpolitik. Wie zu erwarten, stimmen die versammelten Abgeordneten über solche Extrema gar nicht erst ab.

 

Florian Mördes schreibt in seinem Buch Die Deutsche Revolution über den Radikalismus Struves: Gerade deßhalb erzeugte aber die Entwicklung des Liberalismus zuletzt und kurz vor Ausbruch der Märzbewegung eine radikale Schule, welche mit der Sozialistik der französischen Demokraten in einige Verbindung trat. An der Spitze dieser Schule stand Gustaf von Struve, ein Mann, der sich in allen seinen Entwicklungsphasen bekannt machte, weil er einestheils durch eine strenge Sittlichkeit, anderntheils durch eine wahrhaft fanatische Heftigkeit stets zu den extremsten Paradoxen geführt ward. Struve prüfte das System der Fürstenregierungen und die fürstliche Wirthschaft vom sittlichen und juristischen Standpunkte. Er brach in beiden Richtungen den Stab über sie [Mörd49].

 

 

14. Juni

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Konteradmiral Brommy

 

 

 

Gedenkmünze
Deutsche Flotte

Schützend trage sie den deutsche Aar über ferne Meer

 

 

 

Die deutsche Flotte ein Denkmal der Volkskraft und Reichseinheit gegründet durch Parlamentsbeschluss zu Frankfurt am
14. Jun. 1848

Frankfurt: Derweil debattiert die Nationalversammlung
weiter über einen deutschen Nationalstaat und fordert den Bau einer Bundesflotte

 

Wieweit sollen sich die Grenzen des neuen Vaterlandes der Deutschen erstrecken? Riskiert man mit den Forderungen Hoffmann von Fallerslebens über die Ausdehnung Deutschlands in seinem Lied von 1840 von der Maaß bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt nicht Auseinandersetzungen mit Dänen, Polen, Tschechen und Italienern, und möchte man nationale Minderheiten in einem zukünftigen Reichsgebiet überhaupt? Die Einheit des Vaterlandes [konnte] allenfalls als etwas confus Unbestimmtes besungen werden. Wollten die einen sie großdeutsch mit Österreich verklammert sehen, setzten die anderen auf den kleindeutschen, von Preußen dominierten Verbund [Gras10].

 

Diese Auseinandersetzungen laufen in der Nationalversammlung in mehr oder weniger radikaler Form ab und finden im Sommer 1848 in dem von Preußen gegen Dänemark geführten Bundeskrieg einen realistischen Höhepunkt. Zwar stehen die preußischen Landtruppen bald tief in Feindesland, doch den Dänen gelingt es dank ihrer überlegenen Flotte, die deutschen Ost- und auch Nordseehäfen zu blockieren und damit den Überseehandel lahmzulegen.

 

Vom Einigungswillen beflügelt werden Forderungen nach dem Bau einer nationalen Kriegsmarine laut, für die um Spenden gebeten wird. Die flottenbegeisterten Abgeordneten studieren eifrig die Listen der täglich eingehenden Gelder. Doch das läppert sich nur, und so bewilligt die Nationalversammlung am 14. Juni 1848 sechs Millionen Reichsthaler zum Bau einer deutschen Bundesflotte.

 

 

Deren erster Admiral wird Prinz Adalbert von Preußen, doch der eigentliche Macher ist Konteradmiral Karl Rudolf Bromme, der sich sein Fachwissen bei der griechischen Kriegsmarine erworben und vor allem in einem Buch: Eine gemeinfaßliche Darstellung des gesammten Seewesens für die Gebildeten aller Stände die Frage gestellt hatte: Was einst die Hansa, was Preußens großer Churfürst vermochten, sollte das im 19. Jahrhundert dem kräftigen deutschen Willen nicht möglich sein?* [Horm99]. Brommy, wie er sich seit seinem frühen Dienst in der amerikanischen Handelsflotte nennt, ist Mädchen für alles. Er kümmert sich um den Bau von Schiffen und Kriegshäfen, schreibt die Dienstvorschrift für die Bundesflotte und rekrutiert Offiziere und Mannschaften für die Marine.

*Einen Hochseehafen, nämlich Emden, hatte Preußen allerdings erst 1744 unter dem Großen Friedrich erworben

 

Während an der dänischen Front weiterhin eine Pattsituation herrscht, gibt es in der Nationalversammlung lange Redeschlachten über den rechten Weg zum Frieden. Zunächst lehnen die Abgeordneten am 4. September einen am 26. August von Preußen ohne Zustimmung der provisorischen Centralgewalt mit den Dänen geschlossenen Waffenstillstand ab, akzeptieren ihn dann aber zähneknirschend am 16. September knapp mit 258 zu 236 Stimmen.

 

In der Paulskirche

 

23./26. Juni

Paris: Pain ou plomb!

 

 Die Juni-Aufstände vom 23. bis 26. in Paris werden in ihrem Einfluss auf die deutsche revolutionäre Stimmung häufig unterschätzt.

 

 Im Zuge der Februarrevolution zu deren Gelingen die Pariser Arbeiterschaft massiv beigetragen hatte, hatte die Bourgeoisie dem Proletariat gesicherte Arbeitsplätze versprochen. Diese werden in der Zweiten Republik in der Form von Nationalwerkstätten und Erdarbeiten realisiert. So schafft es die Revolutionsregierung 100 000 Arbeitslose von der Straße zu holen, doch belasten diese öffentlichen Jobs die Staatsfinanzen erheblich. Als nun die Wahlen zur Nationalversammlungen am 23. April 1848 den konservativen Republikanern eine Mehrheit bescheren, verlangt der Arbeitsminister am 24. Mai die Schließung der kostspieligen Nationalwerkstätten.  Am 30. Mai  beschließt die Nationalversammlung, dass die nur kurz in Paris ansässigen Arbeiter in die Provinz zurückkehren. Damit soll die Zahl der Arbeitslosen in Paris verringert werden.

 

 Am 20. Juni votiert die Nationalversammlung die Schließung der Nationalwerkstätten. Arbeiter zwischen 18 und 25 Jahren müssen zum Militär, alle anderen in die Provinz etwa nach Sologne, um dort am Sauldre-Kanal zu schaufeln.

 

 Die Aufregung in der Hauptstadt steigt, wie Friedrich Engels als Korrespondent der Rheinischen Zeitung am 22. Juni nach Köln vermeldet: Die Stadt war in zwei Lager geteilt. Die Trennlinie verlief vom nordöstlichen Ende der Stadt, vom Montmartre bis zur Porte Saint-Denis, die Straße Saint-Denis hinunter, über die Ile de la Cité und die Straße Saint-Jacques bis zur Barrikade. Was im Osten lag, wurde von den Arbeitern besetzt und befestigt; vom Westen her griff die Bourgeoisie an und erhielt von dort ihre Verstärkung.

 

 Die Arbeiter errichten ihre Barrikaden unter den proletarischen Rufen: Pain ou plomb!, Droit au travail! oder Vive la république sociale!* in den Pariser Straßen Barrikaden.

*Brot und Blei, Recht auf Arbeit, Es lebe die soziale Republik!

 

Das älteste bekannte Foto vom 25. Juni 1848 zeigt die Barrikaden in den Pariser Straßen

Die Nationalgarde erstickt die Unruhen im Keime, wobei es 10 000 Tote und Verwundete gegeben haben soll. Viele der festgenommenen Arbeiter werden anschließend nach Übersee deportiert.

 

 Die Niederschlagung des Pariser Juniaufstandes und die Entwaffnung der Aufständischen gibt den Feinden der europäischen Revolutionen Auftrieb. Adel und Fürsten schöpfen Hoffnung und treffen nun entsprechende Vorbereitungen, ihre Macht zurückzugewinnen.

 

 

 

29. Juni

 

Auch nach der gewaltsamen Niederschlagung der Frühjahrsaufstände gärt es weiter in den deutschen Landen. Vor allem die langsame Arbeit der Nationalversammlung, der mit dem Wiedererstarken der Fürstenmacht die Zeit davonläuft, beunruhigt die fortschrittlichen Geister, die mehr Action fordern. Deshalb schlägt Parlamentspräsident Heinrich von Gagern vor, mit einem Reichsverweser eine provisorische Zentralgewalt zu schaffen. Als man an die Wahl dieses Reichsverwesers kam, wartete auf Deutschland ein großer Akt. Der bekannte große Griff Gagerns. Das Parlament erklärte, daß es jetzt den Muth habe, den Reichsverweser zu wählen - man erstaunte im ganzen Philisterium, daß die souveräne Volksvertretung so etwas thun könne, fand aber unglückseliger Weise keinen Mann zum Posten und wählte den Erzherzog Johann. Wie man auf ihn kam, weiß wohl jetzt Niemand mehr zu erklären - damals meinte man - Johann sei gewählt worden, nicht weil er ein Prinz sei - sondern obschon er einer sei [Mörd49].

 

Mit 436 von 548 wählt die Nationalversammlung am 29. Juni 1848 ausgerechnet den Bruder Kaiser Franz‘, dem allerdings eine liberale Gesinnung nachgesagt, wird zum Reichsverweser. Der wirbt auch gleich bei den Bürgern um Vertrauen und mahnt sie gleichzeitig in seinem Flugblatt: An das deutsche Volk inständig, Geduld zu üben:

 

Deutsche! Eure in Frankfurt versammelten Vertreter haben mich zum deutschen Reichsverweser erwählt.
Unter dem Zurufe des Vertrauens, unter den Grüßen voll Herzlichkeit, die mich überall empfingen, und die mich rührten, übernahm ich die Leitung der provisorischen Centralgewalt für unser Vaterland.
Deutsche! nach Jahren des Druckes wird Euch die Freiheit voll und unverkürzt. Ihr verdient sie, denn Ihr habt sie muthig und beharrlich erstrebt. Sie wird Euch nimmer entzogen, denn Ihr werdet wissen sie zu wahren.
Eure Vertreter werden das Verfassungswerk für Deutschland vollenden. Erwartet es mit Vertrauen. Der Bau will mit Ernst, mit Besonnenheit, mit ächter Vaterlandsliebe geführt werden. Dann aber wird es dauern, fest wie Eure Berge.
Deutsche! Unser Vaterland hat ernste Prüfungen zu bestehen. Sie werden überwunden werden. Eure Straßen, Eure Ströme werden sich wieder beleben, Euer Fleiß wird Arbeit finden, Euer Wohlstand wird sich heben, wenn Ihr vertrauet Euren Vertretern, wenn Ihr mir vertraut, den Ihr gewählt, um mit Euch Deutschland einig, frei und mächtig zu machen.
Aber vergeßt nicht, daß die Freiheit nur unter dem Schirme der Ordnung und Gesetzlichkeit wurzelt. Wirkt mit mir dahin, daß diese zurückkehren, wo sie gestört wurden. Dem verbrecherischen Treiben und der Zügellosigkeit werde ich mit dem vollen Gewichte der Gesetze entgegentreten. Der deutsche Bürger muss geschützt seyn gegen jede strafbare That.
Deutsche! Laßt mich hoffen, daß sich Deutschland eines ungestörten Friedens erfreuen werde. Ihn zu erhalten ist meine heiligste Pflicht.

Sollte aber die deutsche Ehre, das deutsche Recht gefährdet werden, dann wird das tapfere deutsche Heer für das Vaterland zu kämpfen und zu siegen wissen.
Frankfurt am Main, den 15. Juli 1848

 

 

Die Reaktion auf diesen Aufruf zeigt mit großer Deutlichkeit die Zerrissenheit der politischen Kräfte. In Baden würdigt Regierungschef Bekk am 20. Juli im Landtag den Beschluss der Nationalversammlung zur provisorischen Zentralgewalt als eines der größten, wichtigsten und erfreulichsten Ereignisse in der politischen Entwicklung Deutschlands: S.K.H. der Großherzog hat die Wahl des Erzherzogs zum Reichsverweser mit der lebhaftesten Freude begrüßt. Überzeugt von der Dringlichkeit einer provisorischen Centralgewalt, vertrauend auf die große Bürgschaft des Fürsten, der sie für die Einigung, Freiheit und Macht unseres großen Vaterlandes ausüben soll, und bereit, die gemeinsamen Opfer mit Freuden zu bringen, die dazu nöthig erscheinen, hat der Großherzog die Beschlüsse der National-Versammlung anerkannt. Wir sind beauftragt. Sie H. Herren, gleich bei Ihrem ersten Zusammentritte davon in Kenntnis zu setzen, und die Regierung kann nicht zweifeln, daß Sie von gleichen Gesinnungen belebt, Ihre freudige Übereinstimmung damit aussprechen werden [Enge10].

 

Dagegen beeindruckt dieser Aufruf die Revolutionäre, die nach dem Scheitern Heckers nach Frankreich und in die Schweiz geflohen waren, wenig. Sie gründen in Straßburg einen Zentralausschuss der Republikaner. Man schmuggelt fortschrittliche Zeitungen und agitatorische Flugblätter nach Baden [Enge05]. Struve versucht aus seinem Schweizer Exil den Widerstand mit Flugblättern: Das Maß des an Euch verübten Unrechts ist zum Überlaufen voll. Die Monarchie mit ihren Anhängseln von Geburts-Adel und Geld-Adel ist durch und durch faul. Eure letzte Hoffnung, die konstituierende Versammlung in Frankfurt a. M. hat Euch getäuscht. Statt eines freien und einigen Deutschlands hat diese Dienstmagd der Reaktion Euch zu den fünfunddreißig Fürsten, die ihr schon hattet, den sechsunddreißigsten (den Reichsverweser) noch gegeben ... Die Kerker sind angefüllt mit Männern des Volkes. Hunderte unserer Freunde und Gesinnungsgenossen müssen im Auslande leben, um dem gegen uns gezückten Racheschwerte zu entgehen, weil wir dem in den Volksversammlungen in Offenburg, Freiburg usw. an uns ergangenen Rufe Folge leisteten und uns an Eure Spitze stellten, um das unerträgliche Joch der Fürstenherrschaft zu brechen .... Wir fordern Euch daher auf zum Kampfe gegen Eure Tyrannen. Beginnet denselben damit, daß Ihr alle Abgaben an Grundherren, Staat und Kirche verweigert, und daß Ihr aller Orten Euch zusammenscharet, Eure Polizeidiener, Gensd‘armen, Amtsleute, Grundherren und Fürsten gefangen nehmet [Enge10].

 

 

18. September

Frankfurt: Verräter des deutschen Volks, der deutschen Freiheit und Ehre

 

Dieser Entscheid kratzt an der Glaubwürdigkeit des Parlaments, denn dessen Zustimmung zum preußisch-dänischen Abkommen lässt die Schleswig-Holsteiner in ihrem Freiheitskampf im Stich [Hein98]. Die Entrüstung des deutschen Volkes über den an ihm verübten Verrath erhielt jedoch durch den von dem preußischen Könige abgeschlossenen Waffenstillstand von Malmö einen Höhepunkt, welcher einen allgemeinen Ausbruch erwarten ließ. In den Straßen von Frankfurt brach der Aufstand los [Stru49], bei dem die Majorität von 258, welche in der Nationalversammlung am 16. D. M den schmählichen Waffenstillstand angenommen hat, … hiermit für Verräter des deutschen Volks, der deutschen Freiheit und Ehre erklärt wird [Enge10].

 

Am Abend des 18. September 1848 Erstürmung der Barrikade auf der Zeil an der Konstablerwache durch einheimische Truppen. Nach vergeblichen Verhandlungen
fuhr die Artillerie in Stellung und schoss die Barrikade zusammen (©Wikipedia)

Es kommt zu einem spontanen Aufstand. In der Straßen Frankfurts werden Barrikaden errichtet. Zwei Mitglieder der Nationalversammlung büßten mit ihrem Leben den an dem Volke verübten Verrath [Stru49]. Österreichische und preußische Bundestruppen schlagen den Aufstand nieder. Der unverantwortliche Reichsverweser … ließ das Volk durch die Bajonette der Reaktion bekämpfen, und das Volk unterlag [Mögl09].

 

 

Frankfurt: Sie und redeten und redeten die Freiheit zu Tode

 

Danach erwirbt sich die Nationalversammlung endgültig den Ruf einer Schwatzbude. Georg Herwegh spottet:

 

Zu Frankfurt an dem Main
ist alles Trug und Schein.
Alt-Deutschland bleibt zersplittert,
Das Kapitol erzittert,
Umringt von Feindeslagern.
Die Gänse gi-ga-gagern
Im Parla-Parla-Parlament
Das Reden nimmt kein End
[Sieb08]

 

Zu Frankfurt an dem Main
Die Wäsche wird nicht rein.
Sie bürsten und sie bürsten,
Die Fürsten bleiben Fürsten,
Die Mohren bleiben Mohren.
Trotz aller Professoren
Im Parla-Parla-Parlament
Das Reden nimmt kein End
[vomB98]

 

Zu Frankfurt an dem Main -
So schlag der Teufel drein!
Es steht die Welt in Flammen,
Sie schwatzen noch zusammen,
Wie lange soll das dauern?
Dem König Schach, ihr Bauern!
Dein Parla - Parla - Parlament,
O Volk, mach ihm ein End!
[Wern80].

 

Auch Stefan Heym stellt fest: In der Kirche dort in Frankfurt, wo das neue Parlament des Reiches tagte, redeten sie und redeten und redeten die Freiheit zu Tode [Heym05]. Und hatte Heine bereits damals im fernen Paris die Vision einer Europäischen Union? Die Deutschen arbeiten an ihrer Nationalität, kommen damit aber zu spät. Wenn sie dieselbe fertig haben, wird das Nationalitätswesen in der Welt aufgehört haben und sie werden ihrer Nationalität gleich wieder aufgeben müssen, ohne wie Franzosen oder Briten Nutzen davon gezogen zu haben.

 

 

21. September

 

 

Gustav (von) Struve

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karl Blind

Lörrach: Der Struve-Putsch

 

Während Hecker, zerfallen mit den meisten seiner Verbündeten, am 20. September von Southampton nach America abreiste [Pier57], sind für Struve die Nachrichten über den Straßenkampf vom 18. September in Frankfurt der Auslöser für die zweite badische Schilderhebung: Für den Fall des Sieges wollte man an den Früchten desselben Theil nehmen, für den Fall einer Niederlage den Freunden in Frankfurt eine Diversion bereiten, und den Umständen nach einen Zufluchtsort in Deutschland eröffnen.

 

Seit Monaten waren die Badener schaarenweise zu den auf der linken Rheinseite wohnenden politischen Flüchtlingen gezogen, und hatten sie aufgefordert, ins Vaterland zurückzukehren und sich an die Spitze einer großartigen Volksbewegung zu stellen. Ueber die Grundsätze derselben hatte man sich gewissermaßen schon geeinigt, indem diese in dem Plan zur Revolutionirung und Republikanisirung Deutschlands von Struve und Heinzen ausgesprochen, dem Volke mitgetheilt und von diesem wiederholt gutgeheißen worden waren [Stru49].

 

Friedrich Kaiser: Ankunft der Revolutionäre in Lörrach

Gustav Struve ruft am 21. September in Lörrach die Republik aus

 

Nach den Zusagen, welche gegeben worden waren, stand nämlich zu erwarten, daß binnen kurzem mehrere einflußreiche Männer sich im republikanischen Hauptquartier einfinden würden, in Verbindung mit welchen die provisorische Regierung gebildet werden sollte. Nach allen Gegenden wurden berittene Staffetten abgeschickt, um das Volk aufzubieten, sich in Masse zu erheben. Die in Lörrach befindliche Druckerei wurde im Namen der provisorischen Regierung in Besitz genommen und in derselben sofort das erste republikanische Regierungsblatt Deutschlands gedruckt. Dasselbe enthielt … drei Erlasse den [Stru49]:

 

Aufruf an das deutsche Volk!

 

Der zweite Aufruf ist eine Dienstanweisung für sämmtliche Bürgermeister. Der dritte regelt die Abgaben:

 

Deutsche Republik!

 

Wohlstand, Bildung, Freiheit für Alle!

 

Im Namen de$ deutschen Volke$ verfügt die provi$orische Regierung Deutschland$ wie folgt:

 

Art. 1. Sämmtliche auf dem Grund und Boden haftende mittelalterliche Lasten, sowie sämmtliche mittelalterliche per$önliche Dienste, Zehnten, Gülten, Frohnden, und welchen Namen sie sonst tragen, sind ohne alle Entschädigung sofort abgeschafft. Alle Ablösung$schuldigkeiten für solche Lasten werden ebenfall$ getilgt.  
Art. 2. Sämmtliche bi$her an den Staat, die Kirche und die adeligen Grundherren bezahlten Abgaben hören von diesem Tage an auf; eine da$ Einkommen de$ Unbemittelten nicht berührende progre$$ive Einkommensteuer tritt an die Stelle sämmtlicher bi$herigen Abgaben; nur die an den Gränzen Deutschlands erhobenen Zölle bleiben für'$ Erste bestehen.  
Art. 3. Sämmtliche$ Grundeigenthum de$ Staat$, der Kirche und der auf Seite der Fürsten kämpfenden Staatsbürger geht provi$orisch, unter Vorbehalt späterer Ausgleichungen, an die Gemeinden über, in deren Gemarkung e$ liegt.  
Art. 4. Um alle in den vorstehenden Artikeln enthaltenen Erleichterungen zu sichern, wird eine allgemeine Erhebung de$ Volke$ angeordnet. Alle waffenfähigen Männer vom vollendeten achtzehnten bi$ zum vollendeten vierzigsten Jahre ergreifen die Waffen zur Rettung de$ bedrohten Vaterlande$.

 

Von heute an herrscht da$ Krieg$gesetz, bi$ da$ deutsche Volk seine Freiheit errungen haben wird.

 

 Im Namen der provi$orischen Regierung Deutschland$:

Gustav Struve.
Der Schriftführer: Karl Blind.
Der Kommandant des Hauptquartier$: M. W. Löwenfel$.

 

Hauptquartier Lörrach, am ersten Tage der deutschen Republik,
am einundzwanzigsten September 1848.

 

Struve befiehlt dem Lörracher Gemeinderat die Zwangsrekrutierung und kann mit dieser Maßnahme eine Truppe von 8000 Mann zusammenstellen. Sechsunddreißig Stunden nachdem Struve das badische Gebiet betreten hatte, befand sich die republikanische Partei bereits im Besitze einer so ansehnlichen Macht, daß sie im Stande war, Lörrach zu verlassen und angriffsweise gegen Freiburg vorzugehen. Samstag den 23. vor Tagesanbruch brach das republikanische Hauptquartier mit sämmtlichen nicht schon vorausgesandten Truppen über Kandern und Schliengen nach Müllheim auf [Stru49], um die Revolution in die Landeshauptstadt zu tragen. Allerdings kommt Struve begleitet von seiner Frau Amalie mit nur noch 4000 seiner Freiwilligen lediglich bis Staufen, wo er und seine bewaffneten Anhänger von 800 großherzoglichen Soldaten (2 Bataillone Infanterie, 2 Schwadronen und 4 Geschütze) nach kurzem Gefecht am 24. September entscheidend geschlagen werden.

 

Erfolgreicher Sturm der Regierungstruppen auf Staufen

Links Gebäuderiss im Staufener Rathaus im Jahre 2008 und
rechts Gyslers Rundkugel von 1848 im Amtsblatt

Das Rathhaus war bereits verlassen; kein Fenster an demselben war ganz geblieben; die Mauern waren von Kugeln durchlöchert. Dort hatte Struve lange ausgehalten und die Wehrmannschaften zum Kampfe ermuthigt; dann war er in die Straßen herabgestiegen, um die Fliehenden zum Stehen zu bewegen. Als auch dies nicht half, hatte er in Begleitung von Karl Blind, seiner Frau und seines Schwagers Staufen verlassen [Löwe49]. Als sie sich am 25. September bei Wehr über den Rhein absetzen wollen, werden sie gefangen genommen.

Struve hatte sich zu viel vorgenommen: Der Gedanke, welcher der zweiten Volkserhebung im Lande Baden zu Grunde lag, bestand darin, die ganze alte sogenannte Ordnung der Dinge, den ganzen alten Staat der Vorrechte zu zertrümmern und an dessen Stelle einen neuen, auf dem Grundsatze, Wohlstand, Bildung, Freiheit für Alle beruhenden neuen Staat zu gründen. Nicht bloß sämmtliche Gesetze des alten Staates, sondern auch sämmtliche Träger desselben, sollten beseitigt und noch während des Sturmes der Revolution ein neuer Staat mit neuen Gesetzen und neuen Beamten gegründet werden [Stru49].

 

Das Gefängnis in Offenburg als März-errungenschaft und Inquisitionspalast der Revolution, in dem Fickler und Struve nun einsitzen.

 

Nach diesem neuerlichen Umsturzversuch erklärt die badische Regierung den Kriegszustand in den südlichen Landesteilen. Zudem verkündet der Großherzog das Standrecht, um dem Weitergreifen des Unheils entgegen-zuwirken und den greuelvollen Bürgerkrieg im Keim zu ersticken [Enge10]. Gleichzeitig vermeidet die Regierung Bekk alle Härten, die aus den Aufständischen Märtyrer machen könnten.

 

Ende des zweiten Versuchs einer Demokratisierung!

 

 

9. November

 

 

 

Robert Blum

Wien: Das Vaterland möge meiner eingedenk sein!

 

Nach dem Ausfall Struves ist nun Robert Blum, der Hoffnungsträger der linken Republikaner. Deshalb ist seine standrechtliche Erschießung am 9. November in Wien für die Demokraten in allen deutschen Ländern ein Riesenschock. Blum vertrat in der Nationalversammlung die unbeugsame Konsequenz des Volkskampfes mit einer Fülle der Beredsamkeit, welche allein schon genügt hätte, die Tiefe seines Gefühles zu beurkunden. Die klare Einsicht von der Erbärmlichkeit der Nationalversammlung trieb ihn in den Waffenkampf. Seine - des Volksvertreters - Ermordung durch die blinden Vertreter des krassesten Monarchismus hätte jedes Volk zu den Waffen gerufen. - Die Mehrheit der Deutschen hatte für ihren Vorkämpfer nur ein großes Requiem. Sein Leichenhügel, berufen zum Marksteine der Freiheit - ward eine Station schimpflichen Elendes. Blum allein besaß Charakter und Talent genug, um sich eine echte Revolutionspartei zu schaaren und sie zu führen [Mörd49].

 

Nach Blums letzten Worten: Das Vaterland möge meiner eingedenk sein entwickeln sich die überall zu seinen Ehren veranstalteten Leichen- und Gedächtnisfeiern zu politischen Demonstrationen. Auch in Freiburg findet am 10. Dezember im Historischen Kaufhaus unter großer Beteiligung der Bevölkerung eine Trauerfeier für Robert Blum statt [Sieb99].

 

 

27. Dezember

 

 

 

 

 

 

Michel mit seiner Kappe
aus dem Eulenspiegel von 1848

 

Frankfurt: Der Katalog der Grundrechte

 

Endlich am 27. Dezember 1848 verkündet die Nationalversammlung einen Katalog der Grundrechte und dieser ist revolutionär: Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, kostenloser Besuch der Volksschule, Wahrung des Briefgeheimnisses, Einführung der Zivilehe, das Recht auf freie Meinungsäußerung und endlich: der Adel wird als Stand aufgehoben. Als dann diese Grundrechte Anfang Januar 1949 in Kraft treten sollen, haben sich die angeschlagenen Herrscherhäuser längst erholt und verhindern alle wirklichen Reformen. Stattdessen bekleiden sich die Fürsten mit dem Feigenblatt oktroyierter Länderverfassungen, die ihre Dynastien sichern und das Büttenpapier, auf dem man sie druckt, nicht wert sind. Da ist es nur konsequent, dass die Bundesflotte bereits 1852 ein schnödes Ende findet, denn nach der Unterdrückung der Nationalbewegung haben die einzelnen deutschen Staaten kein Interesse, eine gemeinsame Flotte zu finanzieren. Die Marine ist pleite, die wenigen in Bremerhaven und Brake stationierten Kriegsschiffe werden versteigert.

 

 

Europa: Republikanisch oder kosakisch?

 

Struve analysiert in seinem Buch Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden zu Beginn des Jahres 1849 die politische Situation in Europa: Es schien, als hätten die verbündeten Fürsten Europas nur darauf gewartet, zu sehen, ob das deutsche Volk den ihm durch den Waffenstillstand von Malmö angethanen Schimpf ruhig hinnehmen würde, um dann Schlag auf Schlag die Nation und ihre anmaßliche Vertreterinnen, die deutsche Nationalversammlung zu Frankfurt a. M. und die constituirenden Versammlungen zu Wien und Berlin mit Füßen zu treten. Nur in Baden erhob sich das Volk mit einiger Kraft gegen den Verrath von Malmö, das ganze übrige Volk Deutschlands ließ es bei Reden, Petitionen und Zeitungsartikeln bewenden. Um diese kümmerten sich die Tyrannen Deutschlands nicht. Da auf diese Weise ein Bubenstück gelungen war, welches im Anfange selbst einen Dahlmann und Consorten zu einer scheinbaren Opposition angeregt hatte, so glaubten die Fürsten Deutschlands, ungestraft weiter gehen zu können.

 

Der alte Bund mit dem russischen Czaren, welcher niemals ganz aufgelöst, aber dennoch durch die März-Ereignisse erschüttert worden war, wurde erneuert. Die ersten Schläge wurden in Oesterreich geführt. Wien wurde bombardirt, das Standrecht verkündigt, Robert Blum erschossen, die constituirende Versammlung zuerst nach Kremsier verlegt, dann aufgelöst. Der alte Despotismus wurde in Verbindung mit den neuen Standrechts-Theorien wiederhergestellt. Nun galt es, nachdem der Widerstand in den deutschen Erbstaaten gebrochen war, auch Italien und Ungarn wieder zu unterwerfen. Der Verrath des Königs Karl Albert von Sardinien hatte die Wieder-Unterjochung der Lombardei möglich gemacht. Ein zweiter Verrath desselben und seines Sohnes machte dem Krieg gegen Piemont und Sardinien ein schnelles Ende. Doch Venedig bestand muthig und kühn die große Probe, die ihm Radetzky auferlegte. Rom erhob sich gegen die Tyrannei der Päbste und verkündete die römische Republik. Ungarn kämpfte siegreich gegen die österreichischen und gegen die zu Hülfe gerufenen russischen Heere. Die Kosaken brachen nicht bloß in Siebenbürgen und Ungarn ein; sie betraten auch das deutsche Gebiet, damit kein Zweifel mehr sein könne, daß die Losung unserer Tage sei: republikanisch oder kosakisch? Auch gegen die Schandthaten von Wien halte die Nationalversammlung von Frankfurt und hatte das gesammte deutsche Volk nur Worte.

 

Hierdurch ermuthigt trieb der König von Preußen auch seine Stände aus Berlin und verkündigte das Kriegsgesetz in den bedeutendsten Städten des Landes. Als Sachsen sich zum Schutze der von der deutschen Nationalversammlung beschlossenen Reichsverfassung erhob, wurde es durch preußische Waffen wieder zur Unterwerfung gebracht. Ludwig Napoleon war eingetreten in den großen Bund der Fürsten. Durch diesen Beitritt wurde die alte heilige Allianz wieder hergestellt. Der Bund der Völker war noch nicht geschlossen. Die deutsche Nationalversammlung zu Frankfurt a. M. war zum Kinderspotte geworden. Die Kaiserkrone, welche sie dem Könige von Preußen anbot, wurde von ihm mit Hohn zurückgewiesen; die Reichsverfassung, welche sie beschlossen hatte, wurde von sämmtlichen Fürsten Deutschlands, mit Ausnahme der kleinen und unmächtigen, verworfen. Selbst Gagern konnte sich nicht mehr als Minister halten. Er machte einem durchaus reaktionären Ministerium der Centralgewalt Platz.

 

Während diese Ereignisse auf dem großen europäischen Schauplatz sich entwickelten, raffte sich das Volk in Baden aus seiner Erniedrigung auf. Ein großes Netz von Volksvereinen wurde, in Gemäßheit der Beschlüsse der Offenburger Volksversammlung vom 19. März 1648 über das ganze Land gespannt [Stru49].

 

 

29. Januar 1849

 

 

 

 

 

 

 

 

Amand Goe

 

Freiburg: Als Reaktion auf die Reaktion gründen sich zwei Vereine

 

In der Tat: § 30 der vorgeschlagenen Reichsverfassung lautet: Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden [Sieb99]. So kommt es überall in Baden zur Bildung von Volksvereinen. Am Ende sind es mehr als 400 Vereine mit insgesamt 60,000 Mitgliedern [Pier57].

 

Zwar rät die Regierung in einem Schreiben an die Bezirksämter von der Theilnahme an diesen verderblichen s.g. Volksvereinen ab und fordert die gesetzlich gesinnten Bürger zur Entgegenwirkung gegen die Verbreitung derselben, sowie gegen ihre verderbliche Thätigkeit auf [Enge10], wohingegen der Mannheimer Finanzbeamte Amand Goegg deren Zusammenschluss betreibt, um die lokalen Bemühungen als öffentliche Meinung zu mobilisieren. Vorsitzender dieses Gesamtverbandes wird der Rechtsanwalt und Abgeordnete der Nationalversammlung Lorenz Brentano, doch Goegg bleibt die treibende Kraft.

 

Auf einer Gemeindeversammlung am 11. April 1848 hatten die Freiburger Bürger zur Frage konstitutionelle Monarchie oder Republik erklärt: Beide Staatsformen, jene der constitutionellen Monarchie wie jene des Freistaates sind vernünftig ... Das Bestreben der freiheitlichen und volkstümlichen Ausgestaltung der ersteren ziert daher den wahren Vaterlandsfreund ebenso wie das in gesetzlicher Weise unternommene Erstreben der letzteren [Dipp98].

 

Anfang 1849 bilden sich in Freiburg sogar zwei Vereine. Prominenter Mitbegründer des radikalen republikanischen Volksvereins am 29. Januar ist Carl von Rotteck junior. Carl war wegen der Unterstützung des Aufstandes vom April 1848 inhaftiert und erst im Dezember 1848 gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt worden.

 

Als Antwort auf die Gründung des Vereins der Republikaner ruft Carl von Rottecks Cousin Oberbürgermeister Joseph von Rotteck mit anderen konstitutionellen Liberalen am 18. Februar im Saal des Historischen Kaufhauses zur Gründungsversammlung des fürstentreuen Vaterländischen Vereins auf, zu der 330 Personen erscheinen. In seiner Gründungsansprache betont von Rotteck, dass die konstitutionelle Staatsform im geschichtlichen Entwicklungsgange des deutschen Volkes tief begründet ist, dass die große Mehrheit der Deutschen keine Republik will, dass daher die normale Einführung einer solchen rein unmöglich erscheint. Deren gewaltsame Einführung aber führe zu Bürgerkrieg, Despotie und Abschaffung der Freiheit, und würde Deutschland am Ende zur Beute des Auslandes machen. Daher gelte es jetzt, sich zusammenzuschließen für die Freiheit und Einheit Deutschlands, gegen jeden Versuch des gewaltsamen Umsturzes, kurz Gesetz, Freiheit, Vaterland sein fortan unsere Losung [Sieb99]. Am 8. März verkündet der Vaterländische Verein, dass er nunmehr 539 Mitglieder hat. Dazu gehören Erzbischof Hermann von Vicari und der Großherzogliche Hofgerichtsadvokat Maximilian Ruef.

 

 

Baden: Ist jetzt Freiheit oder ist noch Ordnung?

 

In Baden verhärten sich die Fronten zwischen den Anhängern eines parlamentarisch kontrollierten Großherzogtums und den Republikanern zusehends. Während die einen die kommende Anarchie in einer roten Republik anprangern, bezichtigen die anderen die Konstitutionellen des Verrats am Volke. Die Fliegenden Blätter bringen die Ängste der Menschen vor einem gewaltsamen Umsturz damals in einer kurzen Anekdote unter: Fragt eine Bäuerin ihren Mann:

 

Kommst au$ der Volk$versammlung?
– Ja wohl, Alte!
– Na wa$ habt ihr denn au$gemacht?
Ist jetzt Freiheit oder ist noch Ordnung?
[Kasc98].

 

Bereits 1840 hatte Heine die Konflikte in deutschen Landen zwischen den Anhängern einer konstitutionellen Monarchie und den Republikanern vorausgesehen und schreibt recht pessimistisch: Die Kurzsichtigen freylich unter den deutschen Revoluzionären beurtheilten Alles nach französischen Maßstäben, und sie sonderten sich schon in Constitutionelle und Republikaner, und wiederum in Girondisten und Montagnards, und nach solchen Eintheilungen haßten und verläumdeten sie sich schon um die Wette; aber die Wissenden wußten sehr gut, daß es im Heere der deutschen Revoluzion eigentlich nur zwey grundverschiedene Partheyen gab, die keiner Transakzion fähig und heimlich dem blutigsten Hader entgegenzürnten. Welche von beiden schien die überwiegende? Die Wissenden unter den Liberalen verhehlten einander nicht, daß ihre Parthey, welche den Grundsätzen der französischen Freyheitslehre huldigte, zwar an Zahl die stärkere, aber an Glaubenseifer und Hülfsmitteln die schwächere sey. In der That, jene regenerirten Deutschthümler bildeten zwar die Minorität, aber ihr Fanatismus, welcher mehr religiöser Art, überflügelt leicht einen Fanatismus, den nur die Vernunft ausgebrütet hat; ferner stehen ihnen jene mächtigen Formeln zu Gebot, womit man den rohen Pöbel beschwört; die Worte: Vaterland, Deutschland, Glauben der Väter usw. elektrisiren die unklaren Volksmassen noch immer weit sicherer als die Worte: Menschheit, Weltbürgerthum, Vernunft der Söhne, Wahrheit ...! Ich will hiermit andeuten, daß jene Repräsentanten der Nazionalität im deutschen Boden weit tiefer wurzeln, als die Repräsentanten des Cosmopolitismus, und daß letztere im Kampfe mit jenen wahrscheinlich den Kürzeren ziehen, wenn sie ihnen nicht schleunigst zuvorkommen ... durch die welsche Falle* [Hein40].

*die Guillotine

 

 

7. Februar

 

Freiburg: Aufwiegelungssucht gegen jede Autorität

 

Bald tobt in Freiburg ein verbissener Propagandakrieg zwischen den Republikanern und den Konstitutionellen. In einem Leitartikel der Neuen Freiburger Zeitung vom 7. Februar 1849 liest man: Die neuen Volksmänner, welche sich für die allein ächten Ausleger des Willens der Nation, für die allein tüchtigen Lenker ihrer Geschicke hielten, schmeichelten dem Volk und seinen urtheilen mehr als irgend je niederträchtige Hofschranzen zur Zeit der Fürstenmacht den Autokraten geschmeichelt hatten. Während sie den Leuten in der Republik den Himmel in Aussicht stellten, Freiheit, Wohlstand und Bildung für alle versprachen, ... machten sie den wahren Freistaat unmöglich, indem sie die unerläßlichen republikanischen Tugenden: Unterordnung des Eigenwillens unter den Ausspruch der Mehrheit, aufopfernde Biederkeit im Privat- und öffentlichen Leben, Pflichttreue und Gesetzesachtung, Enthaltsamkeit und Arbeitsamkeit, Hingebung des eigenen materiellen Vortheils für die hehren idealen Interessen des Gesammtwohls, Redlichkeit und Wahrhaftigkeit gegen Freund und Feind, so viel an ihnen war, verleugneten und verdarben, und dafür Aufwiegelungssucht gegen jede Autorität, selbst gegen den soveränen Willen der Nation und ihrer Vertreter, treulose Jesuitenmoral, Nichtsthuerei, Habsucht in die empfänglichen Gemüther des Volkes zu pflanzen suchten [Sieb99].

 

 

20. März

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gustav Struve 

 

Freiburg: Der Struve-Prozess vor einem Schwurgericht

 

Die Einrichtung von öffentlichen Schwurgerichten im Großherzogtum Baden war eine der revolutionären Forderungen Struves. Ausgerechnet er muss sich nun vor einem solchen verantworten. Der Prozess gegen ihn und Karl Blind beginnt am 20. März 1849 in Freiburg im Basler Hof, dem früheren Regierungssitz Vorderösterreichs. Struves Verteidiger ist Lorenz Brentano. Geschickt nutzen die Angeklagten den Gerichtssaal als Tribüne für die Darstellung ihrer politischen Auffassungen und verteidigen vehement das Recht des Volkes zur Revolution.

 

Struve und Blind vor dem Schwurgericht in Freiburg

In seiner Vertheidigungsrede führte Struve aus, daß was er gethan, gerechtfertigt sei durch die drei Jahrzehnde lang fortgesetzte Untergrabung der verfassungs-mäßigen Zustände in Deutschland; durch den unerhörten Druck, mit welchem das Volk belastet worden war; durch den Willen des Volkes; durch den Zustand der Nothwehr, in welchem die republikanische Partei in Folge der Maßregeln der Regierung versetzt worden war, und durch die reinsten Absichten, dle Liebe zum Vaterlande, zur Freiheit und zum Rechte, welche ihn bei allen seinen Bestrebungen geleitet haben [Stru49]. Dabei greift er weit in die Geschichte zurück:  Was ich tat, tat ich aus voller, tiefer Überzeugung; nicht Ehrgeiz, sondern Liebe zum Vaterlande, Freiheitsgefühl waren meine Triebfedern. Ich tat es im Hinblicke auf Tell, auf Washington, auf die Helden der französischen Revolution. Sie alle widerstrebten den Tyrannen der Erde in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Vorsehung; wenn auch ihre Unternehmungen anfangs oft missglückten, am Ende gewannen sie doch den Sieg. Egmont und Horn wurden hingerichtet, Tausende schmachteten in Albas Kerkern; aber der Sieg blieb doch den niederländischen Republikanern. - Ich habe Ihnen die Beweggründe meines Unternehmens bereits angedeutet. Sie sind: der Verfassungsbruch, dessen sich die Fürsten drei Jahrzehnte schuldig machten, der unerhörte Druck, der durch sie auf dem Volke lastete, der deutlich ausgesprochene Wille des Volkes selbst, die Notwehr und endlich der edle, rein menschliche Zweck des Unternehmens [Hunn41].

 

Nach neun Tagen endet der Schauprozess in Freiburg mit einem moralischen Sieg der Angeklagten. Die etwas eingeschüchterten Geschworenen wenden das neue Strafgesetz (es tritt erst 1851 in Kraft) mit dem Strafbestand des Hochverrats bewusst nicht an, sondern verurteilen die Angeklagten wegen Raub der Lörracher Stadtkasse und ähnlicher Delikte lediglich zu milden acht Jahren Zuchthaus.

 

Indem das Gericht keine Todesurteile fällt, schafft es keine Märtyrer der Revolution. Zur Haftverbüßung verbringt man Struve und Blind nach Rastatt.

 

 

3. April

 

 

 

 

 

 

Reiterstandbild Friedrich Wilhelm IV. vor der Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Berlin 

 

Berlin: Ablehnung der Kaiserkrone oder Preußens Stunde ist noch nicht gekommen

 

Weil sich Österreich nicht vor seiner Verantwortung für die unterschiedlichen Nationalitäten in seinem Vielvölkerstaat drücken will, beschließt das Parlament nach langen Debatten zur Einigung des Vaterlandes eine kleindeutsche Lösung, also ein deutsches Reich ohne Österreich. Am 27. März, Abends 6 Uhr, war die verhängnißvolle Stunde, wo die Nationalversammlung durch die Feststellung des Erbkaiserthums das Werk ihrer Schande krönte [Beck49]. Am folgenden Tage verabschieden die Abgeordneten die Reichsverfassung, welche als Staatsform eine konstitutionelle Monarchie mit einem deutschen Kaiser an der Spitze vorsieht. Von 538 Volksvertretern wählen 290 den König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, zum erblichen Kaiser von Deutschland [Beck49].

 

Eine Delegation von 32 Abgeordneten der Nationalversammlung reist nach Berlin, um am 3. April dem Preußenkönig untertänigst die Kaiserwürde anzubieten. Papa Wrangel schlägt kurzerhand vor: Ihr nich rinlassen:

 

Friedrich Wilhelm lehnt das Angebot nicht nur nicht ab, sondern lässt sich unnötigerweise zu herausfordernden und erbitternden Maßregeln verleiten [Hunn41].

 

Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV.

Er verspottet die Reichskrone als Hundehalsband der Parlamentarier, dem der Ludergeruch der Revolution anhaftet. Einen solchen imaginären Reif, aus Dreck und Letten gebacken, soll ein legitimer König von Gottes Gnaden und noch gar der König von Preußen sich geben lassen, der den Segen hat, wenn auch nicht die älteste, doch die edelste Krone, die niemand (niemals) gestohlen worden ist, zu tragen. Der König teilt der Delegation unmissverständlich mit, dass Kronen nur von ihm und seinesgleichen, nicht jedoch von Parlamentariern verliehen würden: Ich würde Deutschlands Einheit nicht aufrichten, wollte ich mit Verletzung heiliger Rechte und meiner früheren ausdrücklich und feierlichen Versicherung ohne das freie Einverständnis der gekrönten Häupter, der Fürsten und Freien Städte Deutschlands, eine Entschließung fassen, welche für sie und die von ihnen regierten deutschen Stämme die entscheidensten Folgen haben muß. Dessen aber möge Deutschland gewiß sein, und das, meine Herren verkünden Sie in allen Gauen: Bedarf es der preußischen Schildes und Schwertes gegen äußere oder innere Feinde, so werde ich auch ohne Ruf nicht fehlen. Ich werde dann getrost den Weg meines Hauses und Volkes gehen, den Weg der deutsche Ehre und Treue [Jahn00].

 

 Der junge Bismarck unterstützt seinen König und schreibt 1849 in der Berliner Kreuzzeitung: Die Frankfurter Nationalversammlung wünsche sich einen Strohmann mit Krone als deutschen Kaiser [Preis15]. Heine im fernen Paris kommentiert diesen misslungenen Versuch der Nationalversammlung sarkastisch in einem Gedicht mit dem Titel Die Wahlesel:

 

Die Freiheit hat man satt am End',
Und die Republik der Tiere
Begehrte, dass ein einz'ger Regent
Sie absolut regiere.

 

Letztlich ist Friedrich Wilhelms Weigerung, die vom Volk aus Dreck und Lehm gebackene Krone anzunehmen, nicht allein seinem Snobismus, sondern auch der Rücksichtnahme auf die Führungsrolle Österreichs im Deutschen Bund zuzuschreiben, wenn er betont: Wird, soll diese Krone, Deutschlands Krone, erstehen, so muß sie Österreichs Herrscher zieren, und mit Freuden will ich [als Erzkämmerer] das silberne Waschbecken dem Kaiser bei seiner Krönung reichen [Scho01].

 

 

11. April

 

 Baden: Letztes revolutionäres Aufbäumen 1949

 

Großherzog Leopold akzeptiert die Reichsverfassung für Baden am 11. April, allerdings mit dem Vorbehalt, dass auch alle anderen deutschen Staaten zustimmen müssten. Doch die wichtigsten deutschen Königreiche und Fürstentümer lehnen die Reichsverfassung ab, nur 28 kleinere und mittlere Staaten wollen sie übernehmen. Diese negative Einstellung mobilisiert noch einmal alle revolutionären Kräfte, die eine deutsche Einheit in Demokratie herbeisehnen.

 

Mit der Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm ist die Reichsverfassung sozusagen kopflos. Das schockt die Verfassungsfreunde, während für die Republikaner die Ablehnung durch Preußen und Österreich eine Fürstenverschwörung beweist. Und so drischt, um das Volk für eine Republik zu gewinnen, G. Thielmann in einer an Luther erinnernden Diktion kräftig auf die großen und kleinen Despoten in deutschen Landen ein: Louis Philipp, durch eine Revolution auf den Thron Frankreichs gehoben, konnte nur durch Fortjagen an seinen fernern Bedrückungen verhindert werden. - Ferdinand, Kaiser von Oesterreich, der eher in ein Narrenhaus, als auf den Thron gehörte, trennte sich nur gezwungen von seinem teuflischen Gesellen Metternich, und gab Versprechungen, deren Erfüllung durch die Hofkammarilla so thätig zu hintertreiben gesucht wird. Durch die Kugeln des Volkes belehrt, erklärte der vom Schauspieler zur Marionette herabgesunkene Friedrich Wilhelm, Preußen solle in Deutschland aufgehen, und einige Wochen reichten hin, ihn die Energie des Volkes vergessen zu lassen. Nun hätte er gerne, daß Deutschland in Preußen aufgehe. Der Wasserdichter Ludwig, Baierns König, mußte durch die Macht des Volkes bewegt werden, sich auf kurze Zeit von einer öffentlichen Dirne, seiner Lola Montez, zu trennen; denn diese Dirne galt ihm mehr als seine Pflicht. Als derselbe freiwillig gezwungen der Krone entsagte, folgte sein Sohn Maximilian, der viel versprach und nichts hielt, wie alle Fürsten. Was kümmern den König von Würtemberg die Wünsche seines Volkes, die er bei seiner Maitresse Stubenrauch zu vergessen sucht? Würde nicht der König von Hannover, der größte Despot Deutschlands, gestützt auf englische Hülfe, mit Freuden jede Gelegenheit ergreifen, um Deutschland an dem Werk seiner Einigung zu verhindern? Der Großherzog von Baden, der nur durch verschiedene blutige Thaten auf den Thron gelangte, kennt nicht seine Vaterpflichten, sonst müßte er sich um seine natürliche Tochter, Rosina Reiß von Farnhalt, im Amt Bühl, bekümmern, die zur gemeinen Dirne herabgesunken ist. Der Churfürst von Hessen wagt es, einem Manne sein Weib abzukaufen und die Falschmünzer von Koburg betrügen das Volk um viele Tausende. Hierzu kommen nur noch die verschiedenen andern Duodez-Fürstchen, an denen allen kein gutes Haar ist. Kann man von solchen Menschen etwa erwarten, daß sie für das Wohl und das Glück ihrer Brüder, die sie mit dem Namen Unterthanen bezeichnen, etwas thun werden?! Nun und nimmermehr! Ihr einziges Bestreben ist, immer mehr Gehülfen an sich heranzuziehen, um sich, von diesen unterstützt, auf ihren morschen Thronen zu halten. Diese Gehülfen sind die Adelichen, die Beamten, die Pfaffen, die Soldaten und der Geldsack. Die Interessen dieser fünf Geiseln* des Volkes sind mit denen der Monarchen so innig verwoben, daß immer ein gemeinsames Handeln durch sie statt findet. Diese Geiseln* führen das Volk an den Rand des Verderbens, ohne auch nur den geringsten Vortheil zu bringen. Nicht genug, daß dem Volke seine materiellen Kräfte entzogen werden, nein auch seine geistigen Kräfte müssen vergiftet und vernichtet werden durch Bevormundung und Verdummung von Seiten der Beamten und Pfaffen [Löwe49]. Was die Volksverdummung betrifft, so sind wir heute nicht besser dran. Medien, Banken und Großkonzerne haben die Rolle der Beamten und Geistlichen übernommen.

*Geißeln

 

 

26. April

 

Mannheim: Den Kampf des Volkes gegen das Fürstenthum für erneut erachten

 

Zwar findet als Reaktion auf die Reaktion der Gedanke an eine dritte republikanische Revolution in deutschen Landen bei den unterprivilegierten Schichten großen Widerhall, gewinnt jedoch in bürgerlichen Kreisen Badens nur langsam an Boden, hatte doch der Großherzog die Reichsverfassung gebilligt.

 

Am 26. April erklärt der Mannheimer Volksverein: Wir können in der Opposition der Fürsten gegen die Reichsverfassung lediglich einen Angriff auf die in der Reichsverfassung vorhandenen volksthümlichen Bestimmungen und Einrichtungen erblicken und erklären daher, daß wir in jedem solcher Angriffe eine Revolution der Fürsten gegen das Volk erblicken und dadurch den Kampf des Volkes gegen das Fürstenthum für erneut erachten. Mit dieser Erklärung verbinden wir die Forderung, daß die Reichs-Versammlung zu Frankfurt die Oberhauptsfrage, welche durch die Erklärung des preußischen Königs zur offenen geworden ist, in entschieden demokratischen Sinne löse [Enge10].

 

 

2. Mai

 

Kaiserslautern: Auf, du Volk der Pfalz!

 

In der bairischen Pfalz wird für den 2. Mai zu einer Volksversammlung nach Kaiserslautern eingeladen: Pfälzer! das Unglaublichste ist geschehen! Maximilian von Baiern hat die durch unsere souveränen Vertreter zu Frankfurt festgestellte und für uns rechtsgültige Verfassung verworfen. Tiefe Entrüstung erfüllt die Brust eines jeden Pfälzers; — es gilt zu zeigen, ob der Wille des souveränen Volks oder der Wille einer volksfeindlichen Regierung maßgebend sei [Star52].  

 

Schließlich rufen die Veranstalter  die Teilnehmer zu einem bewaffneten Kampf auf: Auf, du Volk der Pfalz! — Du Volk, weithin berühmt durch dein Rechtsgefühl und deinen gesetzlichen Sinn, beweise Deutschland, das seine Augen auf dich gerichtet hat, daß du zwar dem Gesetze dich beugst, daß du aber auch die Kraft in dir fühlst, die Machthaber zu beugen, welche mit frecher Stirn allen Gesetzen Hohn zu sprechen wagen. Brüder! unsere ganze Provinz muß zu einem Lager umgeschaffen, jeder Arm bewaffnet, jedes Haus zur Festung, jeder Baum zur Brustwehr werden. Lasset euch nicht einschüchtern durch das Schreckbild der Anarchie oder durch das Hirngespinst einer allgemeinen Gütervertheilung. Wenn Alle, Alle sich erheben, zur Vertheidigung der schmählich bedrohten Rechte unsers Volkes, dann wird eine höhere Glut der Begeisterung alle Gemüther erfassen, und dem bevorstehenden Kampf eine Weihe geben, die das Eigenthum achten und jedes unlautere Gelüst ersticken machen wird. „Auf denn Brüder! und rüstet euch zum heiligen Kampf der Nothwehr. Schaart euch einträchtig zusammen und stimmt mit uns ein in das Feldgeschrei: Es lebe Deutschland und seine ewigen Rechte! [Star52]

 

 

4. Mai

 

Mannheim: Im Großherzogtum folgt jetzt Schlag auf Schlag

 

Am 1. Mai 1849 erließ der provisorische Landesausschuß der Volksvereine in Baden einen Aufruf, worin er das Volk aufforderte, sich bereit zuhalten, sein Recht und seine Freiheit mit den Waffen zu schirmen, nicht länger mehr mit der Durchführung der Volksbewaffnung zu zaudern und welcher mit den Worten schloß: Ein in Waffen stehendes Volk ist die Schutzwehr der Freiheit, ist der Schrecken der Tyrannen. Darum nochmals, Mitbürger, bewaffnet Euch!  [Stru49]  

 

Die Ereignisse in der Pfalz bestimmten diese revolutionäre Regierung in Mannheim am 4. Mai die Abfassung eines allgemeinen Congresses aller Volksvereine und einer großen Landesversammlung auf den 12. und 13. Mai in Offenburg auszuschreiben und hierdurch den Anfang der Revolution festzustellen [Beck49].

 

 

5. Mai

 

Frankfurt: Die Gewaltherrschaft der Könige hat ihre Maske abgeworfen

 

Zur Unterstützung des Pfälzer Aufstandes veröffentlicht die äußerste Linke der Nationalversammlung (Club Donnersberg) am 5. Mai 1849 ein Manifest: Die Gewaltherrschaft der Könige hat ihre Maske abgeworfen. Sie hat es gewagt, angesichts der Völker Europas, mit Vernichtung alles zu bedrohen, was zivilisierten Nationen hoch und heilig ist. Wortbrüchig verläugnet sie den letzten Schimmer von unseres Volkes Selbstständigkeit und Freiheit, die sie vor wenigen Monden bebend anerkannte. Fürstenwillkür vernichtet, was die Vertreter des souveränen Volkes beschlossen … Pfälzer! Deutschlands Männer werden nicht tatlos und feig Eurer Erhebung zusehen, sie werden es nicht geschehen lassen, daß der Despotismus über eure Leichen hinweg auch zur Vernichtung ihrer und des ganzen Volkes Freiheit schreite! [Kapp06].

 

 

6./9.Mai

 

 

 

 

 

 

 

 

Samuel Erdmann
Tzschirner

 

Dresden: Dräsden däd sich rasch ergeben

 

Der König von Sachsen war ein entschiedener Gegner der Reichsverfassung, er mochte weder die Souveränität des Volkes noch die Suprematie eines Kaiserthumes. Darum trieb er die Volkskammer auseinander und zwang sein Ministerium zum Rücktritte. Das Volk war hiedurch in große Gährung gekommen, welches am 6. Mai zu den Waffen griff. Der König und die Regierung entfloh, ein Theil des Volkes ging über; man wählte eine Diktatur, an ihrer Spitze (Samuel Erdmann) Tzschirner [Mörd49]. 

 

Dabei kämpfen der Hofkapellmeister Richard Wagner und der Hofbaumeister Gottfried Semper sowie der russische Anarchist Michail Bakunin seit an seit auf der mächtigen Semperbarrikade, die der Architekt von der laienhaften Konstruktion der übrigen Straßensperren genervt nach seinen Plänen hatte errichten lassen. Allein die Diktatur bestand wenige Tage den Kampf gegen die königl. sächsischen Truppen, als die Preußen herannaheten und nach fürchterlichem Kampfe den Sieg davon trugen und Sachsen besetzten [Mörd49]. Nach nur drei Tagen am 9. Mai Klock 10 lässt die Revolutionsregierung in Dresden die weiße Fahne der Kapitulation am Turm der Kreuzkirche aufziehen. Leipziger Studenten spotten:

 

Dräsden däd sich rasch ergeben,
Läßt den guten Keenich leben:
Ach wie ist der Keenich gut
[Kapp06].  

 

Richard Wagner steckbrieflich gesucht

Wie viele Revolutionäre flieht Wagner in die Schweiz. Dort trifft er sich mit Franz Lizst und Georg Herwegh auf dem Rütli. Hier füllen sie einen Becher mit reinem Quellwasser und leeren ihn auf die Freiheit [Denk14].

 

Kaum war das sächsische Volk besiegt, so erhob sich die Rheinpfalz ebenfalls zu Gunsten der Reichsverfassung [Mögl09].

 

 

8. Mai

 

Frankfurt Zu den Waffen, deutsche Männer in allen Gauen des Vaterlandes

 

Nachdem am 6. Mai auch die Sachsen auf die Barrikaden gestiegen waren, rufen die linken Abgeordneten der Nationalversammlung am 8. Mai schließlich zu allgemeinem bewaffneten Widerstand auf: Zu den Waffen, deutsche Männer in allen Gauen des Vaterlandes! Die Verbindung der Fürsten, welche Hochverrath an dem Volke begehen wollen, liegt klar zu Tage. Verbindet Euch auch und erhebt Euch, um das Vaterland zu retten! Schon kämpfen Eure Brüder in Sachsen und der Pfalz für Euch, laßt sie nicht untergehen! Nachbarstämme der Sachsen und der Pfalz, an Euch ist es zunächst, - ziehet hin zu Euern Brüdern, ziehet hin und helfet! - Helfet ihnen und es wird auch Euch geholfen sein! Ihr könnt nicht zaudern, dürft nicht zaudern, Ihr dürft sie nicht alleinstehen lassen, die aufgestanden sind, das Recht in einer Hand und in der andern das Schwert. Das Schwert für Euer Recht! - Helfet mit den Waffen, und wenn Ihr die nicht habt, helft sonst, helft wie Ihr könnt - nur helft!

 

Ihr andern Stämme auch, erhebt Euch, waffnet Euch und zeigt dem Despotismus und der Barbarei, die Euch entgegenstehen, die festgeschaarte Macht des Volkes, das sein Recht verlangt.

 

Gerechtern Kampf hat's nie gegeben! — Zu den Waffen, Männer, zu den Waffen! - [Stru49].

 

 

9. Mai

 

Freiburg-Karlsruhe: Es lebe Hecker! Es lebe die Republik!

 

Fast gleichzeitig begann die Revolution in Freiburg. Die Verhandlungen vor dem Schwurgerichte (im Basler Hof), namentlich der Prozeß Struve's und Ficklers hatten dort noch besonders auf die Soldaten gewirkt. Den 9. Mai Abends ward Fickler freigesprochen. Die Rede, welche er hierauf vom Balkone des Hotel Föhrenbach an die versammelte Menge hielt, machte auf das zahlreich anwesende Militär einen tiefen Eindruck. Den andern Morgen beim Verlesen setzten die Soldaten eine Versammlung für den Nachmittag auf dem Schloßberg fest. Dieselbe war zahlreich besucht, und es sprachen Bürger und Soldaten. Die Reden der letzteren waren vom Geiste der Brüderlichkeit durchdrungen und zeigten, daß unser Militär nicht mehr länger einer gewissenlosen Reaktion zum Werkzeug dienen wollte. Man trennte sich in später Nacht und bestimmte den folgenden Tag zu einer neuen Zusammenkunft [Stru49].

 

Über dieses Treffen berichtet Schreiber: Nun folgten Schlag auf Schlag in allen Teilen des Landes nicht nur Verbrüderungen und Einübungen der Bürgerwehr, sondern auch die Verbrüderungen des Militärs mit derselben, wie eine solche zu Freiburg am 11. Mai von dem 2. Badischen Infanterieregiment beschlossen wurde. Auf dem Kanonenplatze des Schloßberges hatten sich die Soldaten aufgestellt, während von dem Vorsprunge des Felsens herab mehrere Waffenbrüder aus ihrer Mitte zu ihnen sprachen und sie zuletzt einstimmig erklärten, unter keiner Bedingung mehr die Waffen gegen ihre Mitbürger zu wenden [Hunn41].

 

Unterdessen nahmen die Verhandlungen des Schwurgerichts [im Basler Hof] gegen die gefangenen Republikaner ihren Fortgang. Die Haltung der Soldaten konnte natürlich nicht ohne Wirkung bleiben ...; während Bornstedt 36 Stunden vorher verurtheilt worden war, wurden Naumann, Lefevre, Schnepf und Langguth den 11. Mai Nachmittags freigesprochen. Trotz dieses Urtheils ließ man noch die politischen Gefangenen Cohnheim, Rosenblum, Liebknecht*, Bauer und Dossenberg vor die Schranken führen. Doch bewog die drohende Lage der Dinge den Staatsanwalt, die Anklage gegen die Letztgenannten fallen zu lassen, und es wurden dieselben unter großem Jubel des zahlreich versammelten Volks in Freiheit gesetzt. Noch an demselben Tage wurde ein Theil der politischen Gefangenen aus dem Thurme entlassen, die Uebrigen erst am folgenden Tage, nachdem die Soldaten erklärt hatten, dieselben im Weigerungsfalle mit Gewalt zu befreien. Unterdessen war die zweite Versammlung auf dem Schloßberge ruhig vorüber gegangen. Die gefaßten Beschlüsse waren dieselben wie in Rastadt. Offiziere hatten ebensowenig beigewohnt wie das erstemal. Im Gegentheile brüteten diese über Mittel und Wege, die Zustände der alten Zeit wieder herzustellen. Da sie nicht wagten offen aufzutreten, hetzten sie die ihnen blind ergebenen Unteroffiziere gegen die sogenannten Meuterer auf, und ließen durch dieselben eine im Gasthaus zum Rebstock versammelte Anzahl freisinniger Soldaten meuchlerisch mit blanker Waffe überfallen. Der Hülferuf der Angegriffenen rief übrigens bald zahlreiche Massen Militärs herbei, und die feigen Banditen wurden übel zugerichtet. Dieser Vorfall ist deßhalb nicht unbedeutend, weil er die geistige und moralische Versunkenheit der badischen Offiziere des alten Systems bekundet.

*Wilhelm Liebknecht, der Vater von Karl Liebknecht

 

Seit dem 11. Mai hatte auch unter den Soldaten der Stadt Carlsruhe eine große Aufregung geherrscht. Der Ruf: Es lebe Hecker! es lebe die Republik! wurde häufiger, denn jemals in ihren Reihen vernommen. Mehrere Offiziere, welche unbeliebt waren und sich dem Treiben der Soldaten widersetzten, wurden verhöhnt und sogar durchgeprügelt. Am 13. Mai, am Tage der Offenburger Versammlung, erreichte auch zu Carlsruhe die Aufregung unter dem Soldatenstande ihren Höhepunkt. Um 5 Uhr warfen die Soldaten die Gamaschen auf einen Haufen und zündeten sie an [Stru49]. Dieser symbolische Akt ihrer Befreiung von den Fesseln der lästig gewordenen Disciplin wurde vom Absingen des Heckerliedes und dem lauten Rufe: es lebe die Republik! begleitet [Beck49].

 

 

10. Mai

 

Rastatt: Eine Soldatenversammlung im Gromerschen Bierhaus

 

In Rastatt hatte die Volkspartei unter dem Militär haranguirt und namentlich dafür gewirkt, daß die Soldaten eine Demonstration zu Gunsten der Reichsverfassung vornahmen [Mörd49]. Am 9. Mai verbrüdern sich Soldaten der Bundesfestung Rastatt feierlich mit Teilen der revolutionären Bürgerwehr unter Beschwörung der Treue und Liebe zum Volk. Am 10. Mai findet eine Soldatenversammlung im Gromerschen Bierhaus statt. Die Soldaten fordern die Durchsetzung der Reichsverfassung, die Entlassung volks- und freiheitsfeindlicher Offiziere und beschließen, zwei Mann pro Kompanie zur Volksversammlung des badischen Volks nach Offenburg zu entsenden.

 

Aufstand der Soldaten in Rastatt

Die Offiziere suchten diese Versammlungen zu verhindern; ein Soldat wurde arretirt, als er sich widersetzte. Die Soldaten befreiten hierauf ihren Kameraden; man griff zu neuen Verhaftungen und führte hierauf einen neuen Sturm gegen das Gefängniß herbei, die Gefangenen wurden wieder befreit. Die Offiziere wurden mißhandelt, die Fahne zu dem Bürgermeister von Rastatt getragen und eine gemeinschaftliche Festungskommandantschaft gewählt. Die Festung war in der Gewalt des emeutirten Militärs, dem die Bürgerschaft sich anschloß. Dies fand statt am Tage vor dem Offenburger Kongresse [Mörd49].

 

Der am 12. Mai mit Dragonern u. Geschütz angekommene Kriegsminister, General Hoffmann, mußte sich, nachdem er vergebens mit den trunkenen Soldaten verhandelt und dabei die Beschickung der Offenburger Versammlung durch die Besatzung bewilligt hatte, zuletzt unter Lebensgefahr mit einem geringen Rest seiner Truppe aus der Festung retten. Kaum hatte man noch Struve und Blind nach Bruchsal abführen können. Die Empörung war völlig, die Offiziere machtlos u. in steter Lebensgefahr, die Festung in der Gewalt eines sofort gewählten Vertheidigungsausschusses [Pier57].

 

 

12. Mai

 

Offenburg: Deutschland befindet sich fortwährend im Zustande voller Revolution

 

Am 12. Mai etwa um 10 Uhr kam der regelmäßige Zug von Karlsruhe … mit einer Anzahl Abgeordneter der Rastatter Soldaten. Man führte dieselben sogleich in das Sitzungslokal und eröffnete die Sitzung unter Zulassung alles Publikums, so daß die Abgeordneten kaum Raum hatten. Gögg empfing die Soldaten mit einer jetzt vollkommen revolutionären Rede, gab dann zweien Soldaten das Wort, welche in ihrer Weise über die Rastatter Vorgänge referirten, und erklärten, sie seien von allen Kameraden gesendet, um die Verbindung der Militärs mit den Bürgern zu erklären und sich an der Offenburger Versammlung zu betheiligen. Sie erwarteten, daß man die Soldaten nicht stecken lasse, da sie vorangegangen seien, sprachen sich übrigens entschieden gegen eine Republik aus. Auf den Antrag von Stay bewirthete man sodann die „BürgerSoldaten" während die Sitzung ihren Fortgang in total tumultuarischer Weise nahm [Mörd49].

 

Der Landeskongress der Volksvereine von Baden tritt am Nachmittag des 12. Mai in Offenburg zusammen, zu dem, wie der Dichter Victor Scheffel beobachtete, die Wort- und Stimmführer der badischen Demokratie ... aus allen Winkeln und Enden des Landes anreisten: Unter den mitfahrenden Führern der Volksvereine war viel Blüthe der Mannheimer radikalen Bürgerschaft; da waren die rabiaten Bürgermeister aus dem Odenwald, aus dem sogenannten Buchfinkenland, aus dem Taubergrund,... ein paar spärliche Lichter der Demokratie aus der loyalen Residenz Karlsruhe nicht zu vergessen, und viel anderes Volk. Jeder Bahnhof lieferte neuen Zuwachs, und zugleich, wie das zur Technik des Revolutionsmachens gehört, kam fast mit jeder Station ein neues Gerücht - je fabelhafter desto besser - in Kurs [Enge10].  Es waren eine große Anzahl und es vertraten dieselben etwa 30,000 Mitglieder der Volksvereine. Die Sitzung fand statt im Saale eines Wirthshauses (Zähringer Hof) und war geheim. Gögg eröffnete dieselbe mit einem Berichte, welcher die große Ausbreitung der Volksvereine hervorhob und darauf drang, eine geeignetere Organisation, wie sie der Landesausschuß vorbereitet habe, alsbald und vor allen Dingen in Angriff zu nehmen. Gögg wurde sodann zum Vorsitzenden, Rotteck zu seinem Stellvertreter erwählt. Als Thema der ersten Debatte setzte sodann Gögg den Zweck und das Programm der Versammlung, sowie der auf den anderen Tag angesagten Volksversammlung aus [Mörd49]. 

 

Die Stimmung der meisten Deputirten war eine gesetzlichere und gemäßigter, als die der Masse des Volkes selbst. Die Durchführung der bedrohten Reichsverfassung war ihnen nicht nur Vorwand, sondern Zweck der beabsichtigten Bewegung. Die Majorität, an deren Spitze Thiebauth aus Ettlingen, Hoff aus Mannheim und Florian Mördes standen, wollte bloß die Politik des Constitutionalismus durchführen; als Motiv diente ihnen die mangelhafte Volksbewaffnung und die vermeintliche Schwierigkeit, die Nachbarstaaten zum Anschluß an eine republikanische Erhebung zu bewegen. Ihnen stellte sich eine radikale Minorität unter Stay, Goll und Anderen, denen sich später auch Goegg anschloß, entgegen; diese wollten entschiedenere Forderungen und Vortheile, als den bloßen Wechsel eines Ministeriums. Sie erklärten schon damals, daß sie keinen Deckmantel für die republikanischen Forderungen des ganzen deutschen Volkes nöthig hätten [Beck49].

 

An dem Abend des 12. Mai …, an welchem noch keine Volksmassen in Offenburg anwesend waren, setzte die gemäßigte Majorität ihre constitutionelle Politik durch. Sie begnügte sich, durch folgende vier Forderungen den Sturz des Ministeriums Bekk einzuleiten:

 

1) Die Kammern sind sogleich aufzulösen.
2) Das Ministerium Bekk hat sogleich zurückzutreten.
3) Es ist eine konstituirende Landesversammlung auf Grundlage des vom Vorparlamente
beschlossenen Wahlgesetzes und mit Beibehaltung der bisher für die Wahlen zur zweiten badischen Kammer bestandenen Wahlbezirke, zu berufen.
4) Die politischen Flüchtlinge sind sofort zurückzurufen, die politischen Militär- und Civilgefangenen zu entlassen und alle politischen Prozesse niederzuschlagen.

 

Es wurden drei Männer von gemäßigter Gesinnung, der Apotheker Rehmann von Offenburg, der Advokat Rottek von Freiburg und der Gemeinderath Thiebaut von Ettlingen, sämmtlich Mitglieder des Landesausschusses, nach Carlsruhe geschickt, nicht sosehr, um die Durchsetzung dieser Forderungen zu bewirken, als um den Bruch zwischen Regierung und Volk zu konstatiren. Deshalb forderte der Landeskongreß, daß die Regierung der Deputation, welche diese Forderungen überbrachte, unverzüglich eine bejahende oder verneinende Antwort ertheile. Diesem Befehl wurde dadurch Nachdruck gegeben, daß, im Falle der Verweigerung einer alsbaldigen Antwort oder der Zurückweisung obiger Forderungen, der Landeskongreß die Regierung für alle diejenigen Folgen verantwortlich machte, welche sich aus der damaligen gerechten Bewegung des Volkes unausbleiblich ergeben müßten [Beck49].

 

Im Namen der Volksversammlung formuliert Goegg: Die Landes-Volksversammlung in Offenburg erklärt: Deutschland befindet sich fortwährend im Zustande voller Revolution, auf's neue hervorgerufen durch die Angriffe der größeren deutschen Fürsten auf die von der deutschen Nationalversammlung endgültig beschlossene Reichsverfassung und die Freiheit überhaupt - die deutschen Fürsten haben sich zur Unterdrückung der Freiheit verschworen und verbunden; der Hochverrath an Volk und Vaterland liegt offen vor; es ist klar, daß sie sogar Rußlands sämmtliche Armeen zur Unterdrückung der Freiheit herbeirufen. Die Deutschen befinden sich also im Stande der Nothwehr; sie müssen sich verbinden, um die Freiheit zu retten; sie müssen dem Angriff der fürstlichen Rebellen den bewaffneten Widerstand entgegensetzen. Die deutschen Stämme haben die Verpflichtung, sich gegenseitig die Freiheit zu gewährleisten, um den Grundsatz der Volkssouveränität vollkommen durchzuführen; sie müssen sich daher unterstützen überall, wo sie angegriffen werden. Das badische Volk wird daher die Volksbewegung in der Pfalz mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln unterstützen [Mörd49].

 

 

13. Mai

 

Offenburg: Die Forderungen des Volkes vom 12. September 1847 reloaded

 

Nach dieser allgemeinen Erklärung beschließt die Landesversammlung des badischen Volkes in Offenburg … nach vorhergegangener Berathung die gestellten Anträge in dem Landeskongresse der Volksvereine, nach ferner stattgefundener öffentlicher Berathung, wobei Abgeordnete aus allen Landestheilen vertreten waren, nach fernerer ausführlicher Diskussion in der Versammlung des Volkes:

 

1)  Die Regierung muß die Reichsverfassung, wie sie nun nach der durch die Ereignisse beseitigten Oberhauptsfrage feststeht, unbedingt anerkennen und mit der ganzen bewaffneten Macht deren Durchführung in andern deutschen Staaten, zunächst in der baierischen Pfalz, unterstützen.
2)  Das gegenwärtige Ministerium ist sofort zu entlassen und Bürger Brentano, Obergerichtsadvokat zu Mannheim und Bürger Peter, Reichstagsabgeordneter von Konstanz, mit der Bildung eines neuen Ministeriums zu beauftragen.
3)  Es muß alsbald unter sofortiger Auflösung der jetzigen Ständekammern eine verfassungsgebende Landesversammlung berufen werden, welche in sich die gesammte Rechts- und Machtvollkommenheit des badischen Volkes vereinigt; - diese Landesversammlung soll gewählt werden von und aus den sämmtlichen volljährigen Staatsbürgern des Landes und zwar unter Beibehaltung der für die bisherige 2ten Kammer bestandenen Wahlbezirke.
4)  Es muß ohne allen Verzug die Volksbewaffnung auf Staatskosten in's Leben gerufen werden, und es sind alle ledigen Männer von 18 - 30 Jahren als erstes Aufgebot sofort mobil zu machen. — Alle diejenigen Gemeindebehörden, welche nicht alsbald die Bewaffnung ihrer Bürger anordnen, sind augenblicklich abzusetzen.
5)  Die politischen Flüchtlinge sind sofort zurückzurufen, die politischen Militär- und Civilgefangenen zu entlassen und alle politischen Prozesse niederzuschlagen; - namentlich verlangen wir aber auch die Entlassung derjenigen Militärgefangenen, welche in Folge der politischen Bewegungen wegen sogenannte! Disciplinar- und Insubordinationsvergehen bestraft wurden.
6)  Die Militärgerichtsbarkeit muß aufgehoben werden.
7)  Bei dem Heere soll eine freie Wahl der Offiziere stattfinden.
8)  Wir verlangen alsbaldige Verschmelzung des stehenden Heeres mit der Volkswehr.
9)  Es müssen sämmtliche Grundlasten unentgeldlich aufgehoben werden.
10)  Es müssen die Gemeinden unbedingt selbstständig erklärt werden, sowohl, was die Verwaltung des Gemeindevermögens, als die Wahl der Gemeindevertreter betrifft; es müssen alsbald im ganzen Lande neue Wahlen für die Gemeindevertretung stattfinden.
11)  Es werden sämmtliche von den s. g. Kammern in Karlsruhe seit dem 17. Ianuar d. J. gefaßten Beschlüsse für null und nichtig erklärt und darunter namentlich das s. g. Wahlgesetz vom 10. v. M., welches einen förmlichen Angriff auf die in den Reichsgesetzen gegebenen Bestimmungen enthält.
12)  Die Geschwornengerichte sind augenblicklich einzuführen und kein einziger Criminal-Prozeß darf mehr von Staatsrichtern entschieden werden.
13)  Die alte Verwaltungs-Büreaukratie muß abgeschafft werden, und an ihre Stelle die freie Verwaltung der Gemeinden oder anderer Körperschaften treten.
14)  Errichtung einer Nationalbank für Gewerbe, Handel und Ackerbau zum Schutze gegen das Uebergewicht der großen Kapitalisten.
15)  Abschaffung des alten Steuerwesens, hierfür Einführung einer progressiven Einkommensteuer nebst Beibehaltung der Zölle.
16)  Errichtung eines großen Landespensionsfonds, aus dem jeder arbeitsunfähig gewordene Bürger unterstützt werden kann. - Hierdurch fällt der besondere Pensionsfond für die Staatsdiener von selbst weg
[Beck49].

 

Offenburg revisited: Diese Forderungen vom 13. Mai 1849 gehen über die am gleichen Ort am 12. September 1847 erhobenen hinaus. So stellt Artikel 16 eine Sozialgesetzgebung vor, in der die gesamte Bevölkerung erfasst wird. Eine Sozialversicherung hat dann Bismarck erst im 2. Reich eingeführt, die Beamtenpensionen wohlweislich nicht angetastet.

 

 

Karlsruhe: Allein wir werden Bajonette genug finden,

auch diesen Aufstand zu unterdrücken

 

Während der Volksversammlung kamen die am Abend vorher nach Carlsruhe gesendeten Abgeordneten zurück und brachten folgenden Bescheid, den man ihnen als Notiz ohne förmliche Ausfertigung und Unterschrift, wie Adresse, ertheilt hatte:  

 

Die Ständeversammlung wird ihre Geschäfte in 3 Tagen vollenden, worauf der Landtag geschlossen wird, dann wird eine Auflösung der Stände erfolgen und mit der neu zu berufenden Ständeversammlung werden die weiteren in Folge der Reichsgesetzgebung oder sonst notwendigen Verfassungsveränderungen berathen werden.
Was die Amnestie betrifft, so ist sie schon weit ausgedehnt und es sind bereits Weisungen an die Behörden ergangen, um diese noch weiter auszudehnen.
Das Ministerium wird hinsichtlich der Frage des Rücktritts von der schweren Last seines Amtes ganz nach constitutionellen Grundsätzen verfahren.  

 

Die Abgeordneten Rehmann und Rotteck fügten bei der Mittheilung dieser Erwiederung noch bei - der Minister habe auf die Hinweisung, auf die große Bewegung des Volkes, auf die dringende Bitte, die ernste Lage der Dinge nicht zu mißkennen, geantwortet: Es ist möglich, daß dieser Aufstand bedeutender wird, als die bisherigen Aufstände, allein wir werden Bajonette genug finden, auch diesen zu unterdrücken.  

 

Es ist unnöthig, eine Beschreibung des Eindruckes zu geben, den diese Mittheilung auf sämmtliche Anwesende machte.  

 

Noch vor der Volksversammlung war bereits von Seiten des Landesausschusses an die Offenburger Bürgerwehr die Weisung ergangen, sofort den Bahnhof zu besetzen und sämmtliche Locomotiven zu arretiren; dem Bürgermeister ward mit Verhaft und damit gedroht, daß man die Waffen in die Hände von Freiwilligen geben werde, falls er sich weigere, der Weisung Folge zu leisten. Zugleich gingen Bevollmächtigte des Landesausschusses nach allen Seiten, um das Volk unter die Waffen zu rufen. Bald nach Beendigung der Volksversammlung ging ein ungeheurer Train auf der Eisenbahn in das Unterland. Derselbe brachte auch die anwesenden Mitglieder des Landesausschusses nach Rastatt und mit ihnen eine Masse bewaffneter Freiwilliger, während die übrigen Passagiere die Nachricht von dem Geschehenen in alle Winkel Badens brachten und dadurch eine fieberhafte Aufregung hervorriefen [Mörd49].  

 

 

13. Mai

 

Freiburg: Die Truppen wieder in die Ketten der Disciplin schlagen

 

In Freiburg, der anmuthigen, behaglichen Hauptstadt des Oberrheinkreises, des Breisgau's und des badischen Oberlandes, in welcher der ehrwürdige Dom mit den Reizen der Umgegend wetteifert, um Besucher anzuziehen, fand die Revolution noch ein leichteres und vorbereiteteres Werk, als in Karlsruhe. Die Stimmung des nahen Schwarzwaldes und des Oberlandes war ebenso revolutionär, wie die der städtischen Bevölkerung selbst, welche sich schon auf der großen Volksversammlung zur Zeit des ersten, des Hecker'schen Zuges, und noch mehr bei der Verteidigung der Stadt gegen die Hessen, der großen Mehrzahl nach, sehr entschieden gezeigt hatte.

 

 Am 13. Mai wurde auch hier auf dem Kanonenplatz des Schlossbergs unter Leitung von Karl von Rotteck junior eine große Soldatenversammlung abgehalten, in welcher die sämmtlichen Soldaten des in Freiburg garnisonirenden zweiten Infanterieregimentes den Beschluß faßten, ihren bisherigen Offizieren den Abschied zu geben und neue Wahlen aus ihrer Mitte vorzunehmen. Dieser revolutionäre Beschluß, welcher von der Versammlung unter imposanter Ruhe und Ordnung gefaßt wurde, veranlaßte den General Friedrich Wilhelm) von Gayling, den Abmarsch des Regimentes zu befehlen. Mittlerweile war auf die Nachricht der Offenburger Volksversammlung hin von der Bürgerschaft ein Sicherheitsausschuß und vom Landesausschuß ein Kommissär ernannt worden, um die Revolution zu leiten.

 

Nachdem Nachmittags die Soldaten in öffentlicher Versammlung ihre neuen Führer gewählt hatten, und die Revolution immer festeren Boden gewann, legte sich der würtembergische General (Moriz) von Miller, welcher in Baden noch in Folge der Freischaarenzüge ein Kommando hatte, ins Mittel. Er zog sein Patent als „Reichsgeneral" aus der Tasche und gebot bestimmt den Abmarsch der Truppen aus Freiburg, um sie, fern von der republikanischen Bevölkerung, wieder in die Ketten der Disciplin zu schlagen. Er selbst reiste in das Höllenthal, welches nach Würtemberg führt, voraus und erwartete zwei Stunden von Freiburg, in Kirchzarten, die nachrückenden Truppen.  

 

Er ließ den Einwohnern die Drohung zurück, Freiburg beschießen zu wollen, wenn die Soldaten noch länger von den Bürgern zurückgehalten würden. Die Freiburger Bürgerschaft wurde hierdurch während der beiden ersten Tage der Revolution sehr in Schach gehalten, so daß Wenige wagten, die Anordnungen der revolutionären Behörden anzuerkennen oder gar zu vollziehen. Miller fand sich jedoch nicht in den Stand gesetzt, seine Drohung zu vollziehen [Beck49].

 

 

14. Mai

 

Freiburg: Gegen jeden Angriff auf die deutsche Reichsverfassung einzustehen

 

Am 14. Mai solidarisiert sich der Freiburger Gemeinderat mit der neuen republikanischen Regierung und erklärt, daß auch er die gesamte Bürgerschaft verpflichtet halte, gegen jeden Angriff auf die deutsche Reichsverfassung einzustehen [Sieb99]. Jetzt strömen die 1848 in die Schweiz geflüchteten Freischärler über Freiburg in Richtung Norden, um die Revolutionstruppen zu verstärken. Der Advokat Karl Rottek, der, langwieriger Kerkerschaft mehr noch wie dem Andenken an seinen Vater, seine Popularität zu danken hatte, trat … als Regierungsdirektor in die Stelle des Herrn von Marschall: die alten Beamten, welche in ihren Stellen verbleiben wollten, leisteten den Eid auf die Reichsverfassung und auf den Landesausschuß; junge Praktikanten, in Baden meistens Republikaner, halfen entflohene Beamte ersetzen [Beck49].

 

Theodor Mögling kommt am 14. Mai nachmittags mit dem Eilwagen aus Schaffhausen nach Freiburg. Am 15. Mai besucht er mit Welcker die Garnison und versucht, die Offiziere zu überzeugen, sich der Revolution anzuschließen. Als sich diese geistig und moralisch versunken im alten Sytem Bedenkzeit erbeten, gewähren Welcker und Mögling ihnen zwei Stunden: Wir waren noch keine Stunde weg und auf dem Rathaus mit den Umständen angemessenen Anordnungen beschäftigt, als uns die Nachricht gebracht wurde, das Regiment verlasse die Stadt. Kaum hörte ich dies, als ich forteilte, um den Auszug zu verhindern. Ich erriet die Absicht der Offiziere, das Regiment aus der Stadt zu führen, um es unserem Einfluß zu entziehen. Leider kam ich etwas zu spät, ich konnte bloß noch die letzte Kompagnie treffen, welche ich auch sogleich aufhielt und bestimmte, Halt zu machen. Ich redete sie an, schilderte das Benehmen ihrer Offiziere, dessen Folgen, im Falle das Regiment sich nicht an das Volk anschließe wie das übrige Militär in Rastatt, Karlsruhe und Mannheim und veranlaßte die Leute mit mir umzukehren, indem ich ihnen versprach, sie heute noch nach Karlsruhe zu bringen [Mögl09].

 

Die Revolution radikalisiert sich zusehends republikanisch.  So ordnet der Rechtsanwalt und zum Zivil- und Militärkommissar ernannte Karl Friedrich Heunisch die Verhaftung Joseph von Rottecks an. Der Oberbürgermeister, der schon lange als wankelmütiger Demokrat gilt, taucht unter, tritt am 20. Mai zurück und flieht in die Schweiz.

 

Am 31 Mai 1849 wählen die wahlberechtigten Freiburger Alexander Buisson mit 731 von 749 Stimmen als Nachfolger Joseph von Rottecks zum Oberbürgermeister.

 

 

14. Mai

 

 

 

 

 

Der Großherzog bereit zur Flucht. Vergeblich weist ein treuer Offizier auf seine kampfbereiten Soldaten hin

 

Karlsruhe: Die badische Regierung ist entflohen

 

Nachdem der Großteil der badischen Soldaten in das Lager der Revolutionäre gewechselt ist, verlässt der Großherzog mit seiner ganzen Familie und sämmtlichen Ministern in Begleitung eines Cavallerieregiments und 16 Stück Kanonen nebst Bemannung unter dem Hauptmann Lichtenauer die Stadt Karlsruhe [Stru49]. Sie fliehen in der Nacht des 13. Mai zunächst in die Bundesfestung Germersheim und anschließend über den Rhein ins Elsass nach Lauterburg. Damit machen sie in den Augen vieler den Weg für eine Republik frei. Am gleichen Abend treffen die 7. und 8. Kompanie des Leibinfanterieregiments aus Bruchsal kommend mit dem Zug in Karlsruhe ein. Ein Karlsruher Bürgerwehrführer berichtet: Die Mannschaft dieser beiden Compagnien war aber sammt und sonders betrunken, und aus ihrem wüsten verworrenen Geschrei vernahm man mitunter deutlich den Ruf: Es lebe Hecker, Robert Blum, es lebe die Republick. Sie stiegen taumelnd aus und in größter Unordnung unter fortwährendem Toben und Schreien zogen sie hier in die Stadt ein, ohne daß es ihren Offizieren gelang, auch nur einige militärische Ordnung unter den wilden Haufen zu bringen [Enge10].

 

Da verfügte sich der Karlsruher Gemeinderath nach Rastatt und ersuchte den noch immer in zweifelhaftem Zustande sich befindlichen Ausschuß der Volksvereine die Zügel der Regierung zu ergreifen, damit nicht Anarchie die Oberhand gewänne. Der überraschte Landesausschuß sagte dies alsbald zu und erlässt folgenden Aufruf [Mörd49]:

 

An das Volk in Baden! Mitbürger! Die badische Regierung in Karlsruhe ist entflohen. Der dortige Gemeinderath hat uns ersucht, nach Karlsruhe zu kommen und die Leitung der Geschäfte zu übernehmen. Das hiesige Militär ist insgesammt auf die Durchführung der Reichsverfassung und die Anordnungen des Landesausschusses beeidigt. Wir sind im Begriffe nach Karlsruhe zu ziehen; ein Theil des Militärs begleitet uns. Wir rechnen Mitbürger, auf eure Vaterlandsliebe, auf eure Unterstützung und Aufrechterhaltung der Ordnung.

Rastatt, den 14. Mai 1849.
Für den Landesausschuß der Volksvereine in Baden. Brentano, Gögg, Werner, Hoff ec
[Mörd49].

 

  Begleitet von zwei Bataillonen, drei Geschützen und einigen Schwadronen Dragoner zog der regierende Landesausschuß in Karlsruhe ein. Die Bürgerschaft, erfreut darüber, daß Brentano der großherzoglichen Residenz seinen Schutz zugesagt hatte, begrüßte ihn festlich, gleich einem Souveräne. Mit klingendem Spiele zog die revolutionäre Regierung in die Stadt, und der Jubel der Bourgeois, der Hofräthe und der Hofjouweliere, der Polizeidiener und Gendarmen war fast so groß, wie zwei Monate später beim Einzuge des Prinzen von Preußen [Beck49].

 

Bei dem Einzuge in Karlsruhe erklärte Brentano, es würden die sämmtlichen Staatsämter mit den Beamten beibehalten werden, auch gab er Zusicherungen, welche die Rückberufung des Großherzogs in Aussicht stellten. Zugleich wurde dem Gemeinderath die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zugesagt [Mörd49]

 

Brentano suchte sogleich die Gunst der Karlsruher Bourgeoisie zu gewinnen, indem er von dem Balkone des Rathhauses herab den zahlreichen Zuhörern versicherte, daß er nur auf den Wunsch des Gemeinderaths nach der Residenz gekommen sei und nur für die Aufrechthaltung der Ordnung, für die Bezwingung der Anarchie und für die gesetzliche Durchführung der Reichsverfassung wirken wolle. Die Offenburger Beschlüsse erwähnte er gar nicht. Es war also nicht zu verwundern, daß die Bourgeoisie, an deren Waffen noch das Blut der Republikaner klebte, ihn mit einem donnernden Hoch begrüßte [Beck49]:

 

Hoff von Mannheim löste Brentano [als Redner] ab, indem er das Offenburger Programm mittheilte und die Versammlung zur Durchführung desselben aufforderte. Diese Beschlüsse sagten den Anwesenden nicht so sehr zu, wie die Beruhigungsrede Brentano's [Beck49].

 

 

15. Mai

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

An mein Volk

 

Berlin: In so ernster und gefahrvoller Zeit drängt es mich,
ein offenes Wort zu Meinem Volke zu reden

 

 Die Ereignisse in Süddeutschland drängen den designierten deutschen Kaiser, Stellung zu beziehen, wobei er seinen Aufruf An mein Volk wohl und auch, weil er kein Kurfürst mehr war, bewusst als Friedrich Wilhelm, Graf von Brandenburg unterzeichnet.  

 

An mein Volk!

 

Unter dem Vorwande der deutschen Sache haben die Feinde des Vaterlandes zuerst in dem benachbarten Sachsen, dann in einzelnen Gegenden von Süddeutschland die Fahne der Empörung aufgepflanzt. Zu Meinem tiefen Schmerze haben auch in einigen Theilen unseres Landes Verblendete sich hinreißen lassen, dieser Fahne zu folgen und unter derselben, im offenen Aufruhr gegen die rechtmäßige Obrigkeit, göttliche und menschliche Ordnung umzustürzen.

 

In so ernster und gefahrvoller Zeit drängt es mich, ein offenes Wort zu Meinem Volke zu reden. Ich habe auf das Anerbieten einer Krone seitens der deutschen Nationalversammlung eine zustimmende Antwort nicht erteilen können, weil die Versammlung nicht das Recht hatte, die Krone, welche sie Mir bot, ohne Zustimmung der deutschen Regierungen zu vergeben, weil sie Mir unter der Bedingung der Annahme einer Verfassung angetragen ward, welche mit den Rechten und der Sicherheit der deutschen Staaten nicht vereinbar war.

 

Ich habe fruchtlos alle Mittel versucht und erschöpft, zu einer Verständigung mit der deutschen Nationalversammlung zu gelangen. Ich habe Mich vergebens bemüht, sie auf den Standpunkt ihres Mandats und des Rechts zurückzuführen, welches nicht in der eigenmächtigen und unwiderruflichen Feststellung, sondern in der Vereinbarung einer deutschen Verfassung bestand, und selbst nach Vereitelung Meiner Bestrebungen habe Ich in der Hoffnung einer endlichen friedlichen Lösung nicht mit der Versammlung gebrochen.

 

Nachdem dieselbe aber durch Beschlüsse, gegen welche treffliche Männer fruchtlos ankämpften, ihrerseits den Boden des Rechtes, des Gesetzes und der Pflicht gänzlich verlassen, nachdem sie uns um deshalb weil wir dem bedrängten Nachbar die erbetene Hülfe siegreich geleistet, des Friedensbruchs angeklagt, nachdem sie gegen uns und die Regierungen, welche sich mit Mir den verderblichen Bestimmungen der Verfassung nicht fügen wollten, zum offenen Widerstande aufgerufen, jetzt hat die Versammlung mit Preußen gebrochen. Sie ist in ihrer Mehrheit nicht mehr jene Vereinigung von Männern, auch welche Deutschland mit Stolz und Vertrauen blickte. Eine große Zahl ist, als die Bahn des Verderbens betreten wurde, freiwillig ausgeschieden, und durch Meine Verordnung vom gestrigen Tage habe ich alle preußischen Abgeordneten, welche der Versammlung noch angehörten, zurückgerufen. Gleiches wird von anderen deutschen Regierungen geschehen. In der Versammlung herrscht jetzt eine Partei, die im Bunde steht mit den Menschen des Schreckens, welche die Einheit Deutschlands zum Vorwande nehmen, in Wahrheit aber den Kampf der Gottlosigkeit, des Eidbruches und der Raubsucht gegen die Throne entzünden, um mit ihnen den Schutz des Rechtes, der Freiheit und des Eigenthums umzustürzen. Die Gräuel, welche in Dresden, Breslau und Elberfeld unter dem erheuchelten Rufe nach Deutschlands Einheit begangen worden, liefern die traurigen Beweise. Neue Gräuel sind geschehen und werden noch vorbereitet. Während durch solchen Frevel die Hoffnung zerstört ward, durch die Frankfurter Versammlung die Einheit Deutschlands erreicht zu sehen, habe Ich in Königlicher Treue und Beharrlichkeit daran nicht gezweifelt. Meine Regierung hat mit den Bevollmächtigten der größeren deutschen Staaten, welche sich Mir angeschlossen, das in Frankfurt begonnene Werk der deutschen Verfassung wieder aufgenommen.

 

Diese Verfassung soll und wird in kürzester Frist der Nation gewähren, was sie mit Recht verlangt und erwartet: ihre Einheit, dargestellt durch eine einheitliche Exekutivgewalt, die nach außen den Namen und die Interessen Deutschlands würdig und kräftig vertritt, und ihre Freiheit, gesichert durch eine Volksvertretung mit legislativer Befugnis. Die von der Nationalversammlung entworfene Reichsverfassung ist hierbei zu Grunde gelegt, und sind nur diejenigen Punkte derselben verändert worden, welche, aus den Kämpfen und Zugeständnissen der Parteien hervorgegangen, dem wahren Wohle des Vaterlandes entschieden nachtheilig sind. Einem Reichstage aus allen Staaten, die sich dem Bundesstaate anschließen, wird diese Verfassung zur Prüfung und Zustimmung vorgelegt werden. Deutschland vertraue hierin dem Patriotismus und dem Rechtsgefühle der preußischen Regierung; sein Vertrauen wird nicht getäuscht werden.

 

Das ist Mein Weg. Nur der Wahnsinn oder die Lüge kann solchen Thatsachen gegenüber die Behauptung wagen, dass Ich die Sache der deutschen Einheit aufgegeben, dass Ich Meiner früheren Überzeugung und Meinen Zusicherungen untreu geworden.

 

Preußen ist dazu berufen, in so schwerer Zeit Deutschland gegen innere und äußere Feinde zu schirmen, und es muss und wird diese Pflicht erfüllen. Deshalb rufe Ich schon jetzt Mein Volk in die Waffen. Es gilt, Ordnung und Gesetz herzustellen im eigenen Lande und in den übrigen deutschen Ländern, wo unsere Hülfe verlangt wird; es gilt, Deutschlands Einheit zu gründen, seine Freiheit zu schützen vor der Schreckensherrschaft einer Partei, welche Gesittung, Ehre und Treue ihren Leidenschaften opfern will, einer Partei, welcher es gelungen ist, ein Netz der Bethörung und des Irrwahns über einen Theil des Volkes zu werfen.

 

Die Gefahr ist groß, aber vor dem gefundenen Sinn Meines Volkes wird das Werk der Lüge nicht bestehen; dem Rufe des Königs wird die alte preußische Treue, wird der alte Ruhm der preußischen Waffen entsprechen.

 

Steht Mein Volk zu Mir, wie Ich zu ihm in Treue und Vertrauen einträchtig, so wird uns Gottes Segen und damit ein herrlicher Sieg nicht fehlen.

 

Charlottenburg, den 15. Mai 1849

Friedrich Wilhelm. Graf von Brandenburg. [DHM]  

 

Damit setzt der Graf die preußische Militärmaschine gegen Deutschlands Südwesten in Bewegung.

 

 

 

 

Unsere Vierundzwanziger kamen zum Hirschfeldschen Korps

 

Theodor Fontane schreibt dazu: Drei Korps setzten sich zur Bekämpfung der Aufständischen in Marsch. Das erste dieser Korps wurde vom General von Hirschfeld, das zweite vom General Graf Gröben, das dritte, aus deutschen Kontingenten gemischte, vom Generalleutnant von Peucker kommandiert. Den Oberbefehl über die Armee übernahm der damalige Prinz von Preußen. Unsere Vierundzwanziger kamen zum Hirschfeldschen Korps.* Anfänglich war es mehr ein Marschieren als ein Bataillieren [Font16].

*Es ist das ehemalig Cronprintzliche Regiment zu Neuruppin, das der Soldatenkönig seinem Sohn Friedrich 1732(LINK) zu Exerzierzwecken „verordnet“ hatte, das zum Regiment Prinz Ferdinand und schließlich zum Regiment Mecklenburg-Schwerin Nr. 24 umbenannt wurde.

 

 

24. Mai

 

 Laudenbach: Wir sind zwar geschlagen, aber das Heer ist gerettet

 

Inzwischen hatte die provisorische Regierung Franz Sigel aus dem Schweizer Exil gerufen und ihm den Oberbefehl der Revolutionstruppen anvertraut, doch hat er keine Fortune. Den negativen Ausgang eines ersten Gefechtes bei Laudenbach am 24. Mai zwischen Hessischen und Revolutions-Truppen kommentiert Kommandant Sigel wie folgt: Wir sind zwar geschlagen, aber das Heer ist gerettet. In Heidelberg angekommen, erstattete Sigel am 1. Juni Bericht über das Vorgefallene. Ich erkläre Ihnen, sagte er zum Landesausschuß, daß das Treffen nur eine Probe des Muthes und der Tapferkeit unserer Truppen war. Die braven Soldaten haben gezeigt, daß sie sich schlagen können. Aber nur ein fortgesetzter Angriff kann uns retten; der passive Widerstand wird uns in 16 Tagen ruiniren. Ich erkläre mich deshalb, wie früher, für unverantwortlich, wenn nicht augenblicklich wieder die Offensive ergriffen wird. Es war in diesen Tagen der letzte Moment, um der Welt zu zeigen, daß man nicht ohne Schwertstreich sich der Gewalt der Mächte unterwerfen wolle.  

 

Ich bin zwar geschlagen, aber wie es auch immer kommen mag, ich werde nie bereuen, Europa den Krieg erklärt zu haben.  

 

Diese, mit fester Stimme vorgetragenen Worte imponirten dem Landesausschuß, so daß man an demselben Tage den abgesetzten Feldherrn zum Kriegsminister und zum Mitglied der provisorischen Regierung machte [Beck49].

 

 

1. Juni

 

Karlsruhe: Es wird eine konstituirende Versammlung berufen

 

Brentano wird Chef einer vollziehenden Executivcommision: Der Landesausschuß faßte kurz nach seiner Constituirung als regierender Ausschuß folgende Beschlüsse, die sich an die der Landesversammlung in Offenburg anlehnen :

 

Die politischen Flüchtlinge sind zurückzuberufen, der Bürger Hecker ist speziell zurückzuberufen. und eingeladen, in den Landesausschuß einzutreten
Es sind sogleich alle Gefängnisse zu untersuchen, ob noch irgendwo politische Gefangene sitzen.
Alle Beschlagnahmen sind aufzuheben; alle auf politische und Preßsachen bezüglichen Kautionen zurückzugeben.
Die Beschlüsse der Kammern seit dem 17. Februar sind null und nichtig, jedoch mit dem Vorbehalt Vorsorge zu treffen, daß dadurch in dem Staatshaushalt keine Störung entstehe.
Diejenigen Beschlüsse, welche das Ministerium bestätigen will, sind dem Landesausschusse vorzulegen. Ueber die in Wirksamkeit getretenen Kammerbeschlüsse behält sich der Landesausschuß seine Anordnungen vor.
Es wird eine konstituirende Versammlung berufen. Dieselbe wird, von allen volljährigen Staatsbürgern aus den volljährigen Staatsbürgern gewählt. Jeder Wahlbezirk für die Nationalversammlung wählt 4 Abgeordnete
Preßgesetz. Die Presse ist frei. Ueber Preßvergehen entscheiden Geschworene. Sämmtliche bisherige Gesetze und Verordnungen über die Presse sind aufgehoben.
Bezüglich der Volksbewaffnung wurde die Mobilmachung des ersten Aufgebotes beschlossen.
Für die Volkswehr wurde ein Generalkommandant ernannt.
Die Gemeinden wurden für selbstständig erklärt.
Die Grundlasten sollen unentgeldlich aufgehoben werden.
Eine militärische Verbindung mit der Pfalz ward beschlossen, wegen weiterer Verbindung wurde von der Pfälzer Regierung ein Mitglied in den badifchen Landesausschuß deputirt, und gleiches geschah von badischer Seite bezüglich der pfälzischen Regierung. Die Instruktionen des Abgeordneten Badens zeigen darauf, eine nähere Verbindung herbeizuführen.

Rücksichtlich der Beamten beschloß man: die reaktionären Beamten sollen für die Zeit der Gefahr unschädlich gemacht werden.
Die Vertretung der Pfalz in einer gemeinschaftlichen Konstituante ward gleichfalls beschlossen
[Mörd49].

 

Regierungschef Brentano ist kein Republikaner, sondern ein Anhänger der Reichsverfassung. In diesem Sinne möchte er auch die Möglichkeit von Verhandlungen mit dem geflohenen Großherzog offenhalten. In einem fiktiven Gespräch zwischen dem Chef der Volkswehr Becker und dem Titelhelden seines Romans Lenz oder die Freiheit schreibt Stefan Heym über die in sich zerstrittenen Akteure der Erhebung von 1849 und lässt Becker über den Advokaten Brentano sagen:

 

Er hat keinerlei Gesetze verletzt – er hat sie aufrecht erhalten; er würde erst anfangen, sie zu übertreten, wenn er unserer Volkswehr etwas von dem Geld, den Gewehren, den Heeresvorräten des Großherzogs gäbe.

Aber das ist Verrat! Lenz fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er ist nicht der zeitweilige Vertreter des Großherzogs! Er ist der Führer der Revolution!

Wessen Revolution? Fragte Becker zurück. Der Revolution der Soldaten? Der Bauern? Der Advokaten und Schulmeister und Intellektuellen? Der Revolution der Fleischer, Bäcker, Kerzenmacher? Der Revolution der Arbeiter? Thibauts, Mördes‘ Goeggs, Struves, Ihrer Revolution?

Der Revolution des Volkes! erwiderte Lenz, mit Überzeugung

Der Revolution des Volkes! wiederholte Becker aufgebracht. Solange ihr euren Großherzog hattet und seine Regierung von großen und kleinen Bürokraten, konntet ihr alle dagegen sein. Aber jetzt muss man für etwas sein. Wofür seid ihr? Für Freiheit? Welche Sorte von Freiheit? Wessen Freiheit? Für eine konstitutionelle Monarchie? Aber habt ihr die denn nicht gehabt, mehr oder weniger? Für eine Republik? Welche Sorte Republik? Wer soll die Macht darin haben?

Die Flut der Fragen überschwemmte Lenz. Vielleicht erklären Sie es mir, protestierte er.

Kann ich nicht [Heym51].

 

 

1. Juni

 

Karlsruhe: Das Vaterland ist in Gefahr

 

Die Zeit drängt zu rascher That. Eine zahlreiche Versammlung, wie unser Landesausschuß, ist nicht geeignet, den großen Kampf zu Befreiung Deutschlands, der uns bevorsteht, mit der erforderlichen Kraft durchzuführen [Enge10]. Zum 1. Juni teilt der Landesausschuss der Volksvereine seine Auflösung und die Ernennung der provisorischen Regierung dem Volke in Baden durch folgende Bekanntmachung mit

 

An das Volk in Baden.

 

Als vor nicht ganz drei Wochen der Großherzog und seine Minister aus dem Lande flohen, hielten wir es Kraft der uns von der großen Landesversammlung zu Offenburg ertheilten Vollmachten und in Gemäßheit des deutlich ausgesprochenen Willens des Volkes und des Heeres für unsere Pflicht, die Zügel der Regierung zu ergreifen. Es ist uns gelungen, das Land vor Anarchie zu bewahren.

Jetzt gilt es, den drohenden Kampf mit den verbündeten Feinden der Freiheit und Einheit Deutschlands aufzunehmen.

Das Vaterland ist in Gefahr. Die Zeit drängt zu rascher That. Eine zahlreiche Versammlung, wie unser Landesausschuß, ist nicht geeignet, den großen Kampf der Befreiung Deutschlands, der uns bevorsteht, mit der erforderlichen Kraft durchzuführen. Darum haben wir ein einmüthig eine

 

provisorische Regierung

 

gewählt, welche in sich die gesammte Gewalt des Landesausschusses und der Vollziehungsbehörde vereinigt. Unsere Wahl fiel auf die Bürger: Lorenz Brentano, Amand Goegg, Joseph Fickler, Ignaz Peter, Franz Sigel.

Wir selbst haben unsere Kräfte zur Verfügung dieser provisorischen Regierung gestellt. Wir werden dieselbe mit voller Ueberzeugung und allem Nachdruck unterstützen, und fordern zugleich das gesammte Volk in Baden auf, dem Rufe dieser wackeren Männer zu folgen, zu der provisorischen Regierung zu stehen und nicht zu wanken, bis der Sieg der Freiheit errungen sein wird. Hoch lebe das große, das einige, das freie deutsche Vaterland!

Karlsruhe, den 1. Juni 1849.
Der regierende Landesausschuß
[Stru49].

 

Am 3. Juni finden die vom Landesausschuss der Volksvereine vorgesehenen Wahlen zu einer badischen verfassungsgebenden Versammlung statt. Der Antrag Struve's, tüchtige Deutsche, Nicht-Badener, auch auf die Candidatenliste der constituirenden Versammlung zusetzen, oder denselben durch Verleihung des Staatsbürgerrechts den Weg zur Candidatur zu eröffnen, wurde mit großer Mehrheit verworfen. Die entschiedenen Republikaner wurden bei jeder Gelegenheit von der Vollziehungsbehörde, und namentlich von Brentano zurückgesetzt, während Leute von unentschiedener Gesinnung von demselben bevorzugt wurden. So wurden namentlich sehr viele schwache und unentschlossene Menschen zu Civil- und Wahlcommissären ernannt, und die wenigen thatkräftigen wurden bei jeder Gelegenheit von oben herab desavouirt [Stru49].

 

 

5. Juni

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Max Dortu

 

 

 

 

 

Friedrich Neff

 

Karlsruhe: Der Club des entschiedenen Fortschritts

 

Demokraten aus Berlin, Dresden, Wien, Breslau, Würtemberg und Pfalz sahen, wie die Revolution in Baden an derselben Krankheit zu sterben im Begriff war, an der sie dieselbe in ihrer speziellen Heimat hatten zu Grunde gehen sehen, an ihrer Halbheit und Nachgiebigkeit gegen die Bourgeoisie. Sie besprachen sich mit den Radikalen Badens darüber, auf welche Weise ein Wechsel in der Politik herbeizuführen wäre.

 

Tschirner, der Diktator von Dresden, war der leitende Kopf dieser sich bildenden Opposition, Er intriguirte nach allen Seiten hin, um die bedenklichen und fast furchtsamen badischen Radikalen zum Bruche mit Brentano und seiner Parthei zu bewegen. Er berief im Einverständniß mit Martiny aus Liegnitz, mit Struve und Becker eine vertrauliche Sitzung einflußreicher Demokraten auf den 5. Juni Nachmittags 2 Uhr (nach Karlsruhe), um den Operationsplan gegen die herrschende Politik zu entwerfen.

 

Durch die Unbedachtsamkeit einiger jungen Leute, welchen Struve von dem Unternehmen erzählt hatte, wurde dasselbe in einem weitern Kreise bekannt, und namentlich die Freischaaren von der Volkswehrartillerie dazu eingeladen. Der Charakter dieser Versammlung wurde hierdurch zweideutig, sie schwankte zwischen einer öffentlichen Volksversammlung, welche eine vorherige Ankündigung und ein größeres Lokal erfordert haben würde, und einer privaten Besprechung befreundeter Demokraten.

 

Das Versammlungslokal war der hintere Rathhaussaal. In demselben befanden sich vielleicht hundert und fünfzig Menschen, meistens Freischärler dem Aussehen und Costume nach. Sie saßen theils, theils lehnten sie sich an die Säulen des Saales, oder standen in einzelnen Gruppen zusammen. An einem Tische in Mitten des Saales saß Struve, neben ihm Martiny und der Redakteur der offiziellen Karlsruher Zeitung, Oppenheim. Struve durch Acclamation zum provisorischen Präsidenten, Martiny zum Schriftführer gewählt. Goegg, das einzige anwesende Mitglied der Regierung, saß diesem gegenüber.

 

Die Verschiedenheit der politischen Bildung und des politischen Willens der Versammelten war aus der zerfahrenen, unbestimmten Haltung derselben genugsam zu ersehen. Man ging von Gruppen zu Gruppen hin und her, die Thüren gingen auf und zu, leise Privatgespräche ließen sich nicht oft von den wilden, stürmischen Reden der hitzigeren Demokraten unterbrechen. Neben vielen ernsten Mienen sah man hie und da auch kindische Neugier junger Freischärler, selbst auch bei den älteren Männern Bedachtsamkeit und Aengstlichkeit vor raschen, leidenschaftlichen Worten.

 

Nachdem etwa zwei Stunden hindurch die Diskussion hin und her gewogt hatte, nahm man folgende Forderungen des Volkes nach dem ursprünglichen Antrage Tschirner's und den Zusatzanträgen einzelner Redner an. Die provisorische Regierung möge:

 

1) Alle bereiten Streitkräfte so schnell und so energisch als möglich zum Kampfe führen.
2) Eine erhöhte revolutionäre Thatkraft entwickeln.
3) An die Stelle des verhafteten Bürgers Fickler und des abwesenden Bürgers Sigel zwei andere Männer und zwar von entschiedener Farbe in ihre Mitte berufen.
4) Sämmtliche vier Ministerien und ihre Unterbehörden und insbesondere das ganze Heer von allen reaktionären Elementen reinigen und solche reaktionäre Subjekte unschädlich machen, auch radikale Civilkommissäre einsetzen, diese ermächtigen, das Martialgesetz zu verkünden und ihnen gesinnungstüchtige Exekutionstruppen beigeben; auch den Befehl des Civilkommissärs Heunisch, wonach die nichtbadischen politischen Flüchtlinge von der Grenze zurückgewiesen werden, schleunig aufheben.
5) Das Kriegsministerium insbesondere besser als bisher zu organisiren, das zum Zwecke des Unterhalts und der Ausrüstung der Volkswehr erforderliche Budget sofort genehmigen, und insbesondere die Volkswehrartillerie kräftig unterstützen.
6) Durch die energischen Maßregeln möglichst rasch die erforderlichen Geldmittel herbeischaffen.
7) Die auswärtigen Angelegenheiten nicht länger brach liegen lassen.
8) Dem berühmten Feldherrn Mieroslawski sobald als möglich, bis dahin aber dem wackern Sigel den Oberbefehl über die vereinigten badischen und pfälzischen Heere mit ausgedehnter Vollmacht übergeben.
9) Die durchgreifendsten Maßregeln zur Befreiung des Bürgers Fickler treffen.
10) Die politische Vereinigung Badens und der Rheinpfalz sofort einleiten, insbesondere auf die Festungen Landau und Germersheim die durchaus nothwendige Aufmerksamkeit wenden und die in dieser Beziehung nöthigen Truppen zur Disposition stellen.
11) Bei allen politischen Anordnungen von dem Standpunkte des europäischen Völkerkampfes ausgehen. Ueber alle die vorstehenden einzelnen Punkte wurde besonders abgestimmt und sie alle wurden einstimmig angenommen.

 

Hierauf sprach man über die Art und Weise, wie dieser Beschluß zu modifiziren sei. Max Dortu schlug vor, man solle sofort, Alle zusammen, mit Begleitung der, der Parthei zu Gebote stehenden Bajonette zur Regierung ziehen, um sie zu einem Wechsel der Politik zu zwingen. Wir wollen der Regierung unsere Macht zeigen, rief er; sie liegt in den Bajonetten.  

 

Der Minister Goegg, der bisher geschwiegen hatte, antwortete ihm hierauf: Es freue ihn, versicherte er mit fester, klarer Stimme, daß die Männer des Volkes jetzt begriffen hätten, und Willens wären, die Regierung voran zu treiben und zu belehren. Die Mitglieder desselben würden dankend die Beschlüsse des Clubbs entgegen nehmen. Er erkenne es an, daß das Stillschweigen des Volkes, welches bisher geherrscht habe, der Regierung unlieb und der Revolutionspolitik unangemessen sei. Doch dürfe man den Männern, welche ihr ganzes Leben und Glück bisher der Freiheit und der Revolution geopfert und zu opfern bereit wären, dürfe man den Männern der Regierung, die, wenn auch vielleicht nicht die beste Einsicht, so doch den besten Willen hätten, nicht mit Bajonetten, wie Feinden, Verräthern und Fürsten entgegentreten. Er seinerseits,  endigte er, weise ein solches Beginnen zurück!

 

Der Clubb lehnte, wie natürlich, den Antrag Dortu's einstimmig ab, und auf die übereinstimmenden Vorschläge Tiedemann's, Neff's und Struve's, wurden zehn Mitglieder an die Regierung geschickt, um ihr den von Struve und Martiny ausgefertigten Beschluß des Clubbs zu überbringen und sofortige Antwort zu verlangen [Beck49].

 

Der Vorsitzende (Struve) legte einen Entwurf der Statuten des Clubs vor, welcher, wie folgt, ohne Diskussion einstimmig angenommen wurde:

 

Statuten.

 

§. 1. Der Zweck des Clubs des entschiedenen Fortschritts besteht in Besprechung über die politischen Zeitverhältnisse und Durchführung des heute in der beschlossenen Petition enthaltenen Programms.
§. 2. Der Club wird gebildet durch sämmtliche Bürger, welche heute ihren Beitritt durch ihre Namensunterschrift bekundet haben.
§. 3. Wer von nun an beitreten will, muß sich durch zwei Mitglieder vorschlagen lassen. Wenn sich keine Stimme gegen den Vorschlag erhebt, so ist der Vorgeschlagene aufgenommen. Erhebt sich Einsprache, so entscheidet die Versammlung nach vernommenem Berichte des Ausschusses.
§. 4. Die Geschäfte des Clubs werden geleitet durch einen Ausschuß von 10 Mitgliedern, einem Vorsitzenden und einem Sekretär.
§. 5. In allen Hauptorten des Landes sollen Zweigvereine errichtet werden
[Stru49]. 

 

 

Karlsruhe: Rothe Republik durch allgemeine Plünderung?

 

In der Stadt verbreiteten sich, durch von der Karlsruher Bourgeoisie abgeschickte Spione, die schreckhaftesten Gerüchte und Fabeln von den Plänen der Roten unter Struve. Die Regierung solle durch Struve und die Fremden gestürzt, und die rothe Republik durch allgemeine Plünderung eingeführt werden. Diese und ähnliche Gerüchte wurden mit unglaublicher Schnelligkeit verbreitet. Die Karlsruher Bourgeoisie, welche wohl wußte, daß sie nicht gut mit der Parthei der Republik und Revolution auskommen würde, übertrieb diese Befürchtungen bis ins Fabelhafte. So nahm bis gegen Abend die Stadt einen unheimlichen, düstern Charakter an. Brentano ließ sich von der Karlsruher Bourgeoisie so weit influenziren, daß er die Besorgnisse und Befürchtungen derselben theilte, obgleich er selbst die Grundlosigkeit derselben am besten wissen mußte. Seine Abneigung gegen Struve und Becker verleitete ihn zu einer förmlichen Allianz mit dieser bedauernswürdigen Menschenklasse [Beck49].

 

Und so bleibt die Antwort der Regierung auf auf die Aktivitäten des Clubbs des entschiedenen Fortschrittes nicht aus: Zwei junge Leute (Liebknecht und Stenger), wovon der eine in die Deputation des Clubs des entschiedenen Fortschritts gewählt worden war, wurden unter nichtigen Vorwänden verhaftet und im Widerspruch mit dem ausdrücklichen Versprechen des Finanzministers Goegg nach Rastadt verbracht [Stru49].

 

Struve führt in seinem Buch dann noch seine Version einer Verschwörungstheorie aus: Die provisorische Regierung, statt sich auf die revolutionären Kräfte des badischen und des gesammten deutschen Landes zu stützen, suchte ihren Stützpunkt in der Bourgeoisie, in der Büreaukratie und allen jenen halben Menschen und Maßregeln, welche die Boten und die Vorzeichen des Verderbens sind. Die Presse, wenn nicht des Landes, so doch der Residenzstadt Carlsruhe, wurde geknebelt … Die Reaktionäre hatten es augenscheinlich auf eine Metzelei der Republikaner abgesehen. Es wurden zu diesem Behufe die umfassendsten Anstalten getroffen. Die Reiterei und Artillerie wurden aufgeboten und auf dem Marktplatze aufgestellt. Linientruppen und Bürgerwehr rückten aus, die Gewehre wurden geladen, Kartätschenpatronen ausgetheilt.

 

Struve begab sich auf den Schloßplatz, redete die Offiziere der Bürgerwehr an, und überzeugte dieselben, daß sie durch die grundlosesten Gerüchte unnützerweise beunruhigt worden seien. Als die Deputation des Clubs des entschiedenen Fortschritts die voranstehende Antwort erhalten hatte, begab sich Struve in die Caserne, theilte sie der Mannschaft der Legion der politischen Flüchtlinge in den verschiedenen Sälen mit, und erklärte derselben, man habe allen Grund, mit dieser Antwort zufrieden zu sein [Stru49].

 

 

6. Juni

 

Karlsruhe: Die provisorische Regierung
dem Klubb des entschiedenen Fortschrittes dahier

 

 Am 6. Juni von 11—12 Uhr Vormittags, war im Pariserhof Comitesitzung des am vorigen Tage gestifteten Clubb's, um über die in der öffentlichen Sitzung des Nachmittags zu stellenden Anträge zu beraten. Es wurde dem Comite folgende Antwort der Regierung auf die elf Forderungen zugestellt, welche man sogleich an die Straßenecken anzuschlagen sich beeilte.

 

Im Namen des Volkes in Baden, die provisorische Regierung.

 

Dem „Klubb des entschiedenen Fortschrittes" dahier, haben wir auf das durch Deputation gestellte Verlangen Folgendes zu erwidern:  

 

Ad 1. Mit Freuden vernehmen wir den Wunsch der Wehrmänner, in den Kampf geführt zu werden. Dieser Kampf ist seit gestern an der hessischen Grenze wieder entsponnen; die ganze Neckararmee wird vorrücken und zur Unterstützung derselben werden daher die bereitetsten hiesigen Streitkräfte abmarschiren; ein Theil davon wird nach Rheinbaiern zur Unterstützung der dortigen Operation gehen. Ueber die Anordnung dieser Maßregeln haben wir den Stadtkommandanten Reininger die nöthigen Befehle gegeben.
ad 2. An die Stelle der Bürger Fickler und Sigel haben wir gestern schon die Bürger Thibaut und Raveaux provisorisch als Mitglieder unserer Regierung ernannt.
ad 3. Wo es nöthig war, haben wir bis jetzt von sämmtlichen Verwaltungszweigen die unserer Sache schädlichen Beamten entfernt; wir werden in dieser Weise fortfahren. Im Uebrigen werden bei dem proklamirten Martialgesetz die energischsten Maßregeln getroffen werden. Der Befehl des Bürgers Heunisch ist von uns aufgehoben.
ad 4. In dem Augenblicke, wo die Volksvertreter hier zusammentreten, halten wir es nicht für angemessen, einen Wechsel in den Chefs des Kriegsministeriums vorzunehmen; dagegen wird das Kriegsministerium augenblicklich mit geeigneten Kräften von uns vervollständigt werden. Es wird auch von heute an die Löhnung der Volkswehrmänner ausbezahlt werden, wie es bisher schon geschehen ist. Was an Geschützen disponibel ist, soll zur Volkswehr-Artillerie verwendet werden. Die nöthige Ausrüstung wird stattfinden, sobald uns Geldmittel zu Gebote stehen.
ad 5. Die auswärtigen Angelegenheiten liegen nicht brach; in den wichtigsten Orten, von wo aus für unsere Sache gewirkt werden kann, haben wir Bevollmächtigte.
ad 6. Was in Herbeischaffung der Geldmittel bis jetzt möglich war, ist geschehen. Ein Gesetzentwurf über ein Zwangsanlehen bei den Reichen ist vorbereitet und wird der konstituirenden Versammlung vorgelegt werden.
ad 7. Der General Mieroslawski wurde schon vor vierzehn Tagen zum Oberkommandanten der badischen und pfälzischen Streitkräfte von uns ernannt. Wir haben ihm zur Hierherreise mit einigen andern Staabsoffizieren die nöthigen Geldmittel nach Paris geschickt.
ad 8. Wegen der Verhaftung unseres Mitbürgers Fickler haben wir sogleich an das Würtemberger Volk den energischsten Aufruf erlassen, wir haben ferner den Abgeordneten Raveaux nach Stuttgart gesandt, um zur Befreiung Fickler's alle möglichen Schritte zu thun, insbesondere der würtembergischen Regierung zu erklären, daß wir die Verhaftung Fickler's für eine Kriegserklärung ansehen und darnach handeln werden.
ad 9. Die politische Vereinigung Badens mit der Rheinpfalz ist angebahnt, und die Genehmigung wird von der konstituirenden Versammlung verlangt werden. Zum energischen Einschreiten gegen die Festung Landau und Germersheim werden wir dem Oberkommandanten die nöthige Weisung geben.
ad 10. Es versteht sich von selbst, daß wir in unserer politischen Wirksamkeit keinen andern Standpunkt haben, als den des europäischen Völkerkampfes; vor Allem aber muß Baden, soweit seine schwachen Kräfte reichen, das Panier der Freiheit und Einheit Deutschlands vorantragen.

 Karlsruhe, den 6. Juni 1849. [Beck49].

 

Noch am gleichen Tag bekommt Becker den Befehl zum Abmarsch, denn die Regierung ist bestrebt, die kampfbereiten Linken möglichst rasch aus der Landeshauptstadt zu entfernen. Da es den Truppen aber an Ausrüstung mangelt, verzögert sich Beckers Aufbruch. Darauf erhält er folgenden Befehl:  

 

Bürger Becker hat Angesichts dieses auf dem Rathhause zu erscheinen.
Karlsruhe, den 6. Juni.
Im Namen der provisorischen Regierung:
Brentano

 

Becker begab sich sogleich in den kleinen Rathhaussaal, wohin ihn die Bürgerwehrmänner, gleich einem Arrestanten, begleiteten. Er fand den Saal überfüllt von Bürgerwehrmännern. Brentano, todtenblaß, mit krampfhaft verzerrten Mienen, fuhr Becker an: Warum sind Sie noch nicht abgereist? Becker erwiderte: Ich habe dazu noch keinen förmlichen Befehl bekommen und mein Büreau und Kasse noch nicht regelmäßig übergeben. Brentano fragte: Hat Ihnen Reininger keinen Befehl überbracht? Becker antwortete: Reininger hat mir einen Wisch gegeben. - Hier unterbrach ihn Brentano mit den Worten: Im Namen der provisorischen Regierung sind Sie verhaftet.

 

 Becker erwiderte: Sie übereilen sich, Sie beurtheilen mich und meine Wirksamkeit falsch; Sie sind irregeleitet und mystifizirt. Brentano meinte, das würde sich finden. Sie gehen, befahl er, jetzt ins Gefängniß; Sie haben mir früher oft gesagt, ich habe keine Energie; ich will Ihnen jetzt zeigen, daß ich Energie habe. Becker antwortete, Sie haben Energie, wie es scheint, gegen die Freunde und nicht gegen die Feinde der Sache. Sie begehen eine unverantwortliche Ungerechtigkeit, und ich kann unmöglich glauben, daß die Regierung mit ihrer Maßregel einverstanden ist. Brentano, der wuthschnaubend hin und her lief, wiederholte mehrere Male seinen Verhaftsbefehl. Becker bemühte sich immerfort, Brentano seine Ungerechtigkeit vorzuwerfen, aber steigerte nur dadurch die Wuth Brentano's, der ihn zuletzt aufforderte, den Säbel abzugeben. Dieser Befehl und der steigende Zorn Brentano's, wie die Unverschämtheit der Bürgerwehr, machten Becker nun auch zornig; er erklärte, sich lieber zusammenhauen zu lassen, als den Säbel abzulegen. Die Bürgerwehrmänner rückten auf den Befehl Brentano's Packt ihn! mit gefälltem Bajonette auf Becker los. Dieser warf darauf seinen Säbel hin und meinte, er wolle dann gehen, es würde ja doch nicht lange dauern [Beck49].  

 

 

9. Juni

 

Karlsruhe: Becker und Struve verhaftet

 

Mittlerweile hatte in demselben Gebäude die Sitzung des Clubb's begonnen. Die Mitglieder hatten die militärischen Zurüstungen gesehen, … deshalb hatten sich Mehrere bewaffnet. Die Antwort der Regierung wurde mitgetheilt und Struve sprach sich bedingungsweise zufrieden über dieselbe aus. Darauf entstand eine confuse Diskussion zwischen einem Würtemberger und einem Badenser über die politische Haltung beider Länder. Plötzlich wurde die Thüre aufgerissen und es flog die Nachricht herein, Becker ist verhaftet. Es dauerte nicht eine Minute, daß der ganze Saal geleert war, bis auf wenige Männer, die mit Struve über den Vorfall sich unterhielten. Dieser eilte bald darauf zu Brentano und fragte ihn: Du hast Becker verhaftet? Und Dich auch, war die Anwort Brentono's. Jedoch wurde Struve nicht in das Gefängniß abgeführt, sondern in dem ersten Balkonzimmer des Rathhauses gefangen gehalten [Beck49].  

 

Die Ereignisse des sechsten Juni, der Bruch Brentano's mit Struve, die Gefangennehmung des Letzteren aber schienen der Bourgeoisie Gelegenheit zu geben, ihre contrerevolutionäre Wuth gegen den Verhaßten in vollem Maße auslassen zu können. Während seiner Gefangenschaft stürmten wiederholt die edlen Spießbürger und auch wohl aufgehetzte Infanteristen in den Saal der Regierung, um Struve's Blut zu fordern. Man hörte wiederholt Aeußerungen, wie, man wolle ihn vom Balkone des Rathhauses hinabschießen, und Aehnliches. Als daher Brentano Struve frei ließ, erwiderte ihm dieser: Du hast die Leidenschaften aufgeregt, es ist jetzt an Dir, sie wieder zu besänftigen. Brentano gerieth in peinliche Verlegenheit. Er wußte nichts Anderes zu sagen, als daß er Struve wiederholt erklärte, er sei frei. Dieser aber erwiderte, daß er in Lebensgefahr schwebe, daß er, obschon durch Brentano freigelassen, doch noch durch die von Brentano entfesselten Volksleidenschaften bedroht sei, Brentano entließ die Bürgerwehren, welche Struve bewacht hatten. Diese enfernten sich langsam und zögernd, wüthende Blicke dem Gefangenen nachschickend. Struve aber erklärte wiederholt, er betrachtete sich so lange als der Arrestant Brentano's, bis dieser seine persönliche Sicherheit garantirt habe. Brentano lief in entsetzlicher Verlegenheit im Zimmer umher. Er merkte in diesem Augenblicke, daß er es mit allen Partheien verdorben habe, daß er am Ziel seiner Popularität und Macht stehe. Er hatte seine früheren Freunde und Ueberzeugungen einer feigen, verrätherischen Bourgeoisie geopfert und jetzt wurde ihm der Zwang auferlegt, die dadurch errungene Allianz mit dieser Bourgeoisie wieder zu zerstören. Er hatte nicht den Muth, Struve preiszugeben; er erschrak vor dem Zorn einer Bürgerschaft, die nur durch seine Hülfe aus ihrer Feigheit und Machtlosigkeit wieder zu einer bedeutenden Unverschämtheit erstarkt war. Der Mann der Mitte, der gemäßigten Revolution, sah sich jetzt von der steigenden Reaktion eben so sehr überfluthet, wie zur Zeit der Offenburger Versammlung von den Wogen der Revolution - ... Brentano sah die Tragweite der Revolution seine eigene Entwickelungsfähigkeit überragen. Er merkte, daß er, wie jener Zauberlehrling Göthe's, durch die von ihm selbst heraufbeschworenen Geister überwältigt werden würde.

 

Brentano hielt es nicht aus, mit Struve in einem Zimmer zu bleiben. Ich gehe, sagte er zu Struve, Du kannst machen, was Du willst; ich erkläre Dir nochmals, daß Du frei bist. Dieser, der Brentano ganz in seiner Gewalt hatte, betheuerte, er würde nicht von dessen Seite gehen. Da machte Brentano gute Miene zum bösen Spiel; er bedeckte seine Verlegenheit und Haltungslosigkeit mit dem Schleier der Großmuth. Gut denn, erwiderte er, so werde ich Dich mit meinem Leibe gegen Deine Feinde schützen [Beck49].  

 

 

10. Juni

 

Karlsruhe: Anstellung des Pechvogels Mierosławski

 

Schon des anderen Tages legte Brentano in einer weiteren geheimen Sitzung den Vertrag mit Mieroslawski vor, der bereits angekommen war. Dieser Vertrag war der Art, daß er (den polnischen General Ludwik) Mieroslawski zum Diktator von Baden, zum Herrn über Gut und Blut der Bürger machte. Nichts destoweniger war dieser Vertrag von Brentano und Gögg unterzeichnet. Die Constituante wählte sofort eine Kommission zur Begutachtung dieses Vertrages, und diese Kommission erhielt in ihrer Sitzung den Aufschluß, daß der Bürger Peter, Mitglied der provisorischen Regierung in Heidelberg mit Mieroslawski zusammen gewesen, ihn dort als einen recht liebenswürdigen Mann kennen gelernt und seine mit Bleistift in französischer Sprache notirten Forderungen übersetzt und in Form eines Vertrages gebracht habe. Auch erfuhren wir, daß Mieroslawski von vorn herein 140,000 fl. zur Equipirung für sich und seinen Generalstab verlangt habe, aber sodann auf 30,000 fl. heruntergekommen sei, als man ihm mittheilte, die geforderte Summe mache den größten Theil der badischen Staatsgelder aus, Brentano äußerte bezüglich des Vertrages, es sei ganz gleichgiltig, was man in den Vertrag setze, wir spielten jetzt va banque. Gögg erklärte, er habe gar nicht weiter nach dem Inhalte gesehen und den Vertrag unterzeichnet, weil er ja doch vor die Constituante gebracht werden sollte. Die Constituante war einstimmig mit der Kommission der Ansicht, daß sie dem Lande schuldig sei, mit dem Geschicke Badens durch den Polen Mieroslawski kein va banque spielen zu lassen, verwarf den vorgelegten Vertrag und nahm einen von der Kommission vorgelegten neuen Vertrag an, welcher den General unter die Regierung stellte und ihm nur in den Kriegsoperationen freie Hand ließ, während Requisitionen irgend einer Art nur von 3 im Hauptquartiere anzustellenden Civilkommissären ausgehen konnten. Die Wahl Mieroslawski's mußte man annehmen, da ein anderer Feldherr nicht da war, obgleich man umsonst nach den Gründen gerade dieser Wahl gefragt und geltend gemacht hatte, daß Mieroslawski nur durch seine Niederlagen bekannt und die Anstellung eines solchen Pechvogels ein schlimmes Omen sei [Mörd49].  

 

 Ludwik Mierosławski hatte schon 1830 als 16-Jähriger im Polenaufstand für sein Land vergeblich gegen die russische Herrschaft, später dann ebenfalls vergeblich 1846 und 1848 in Posen gegen die Preußen gekämpft.

 

Mit der Ernennung Mierosławskis tritt der bisherigen Befehlshaber Sigel als Generaladjutant des Obergenerals ins zweite Glied zurück [Beck49].  

 

 

10. Juni

 

Karlsruhe: Die Constituante tritt zusammen

 

 Während der obengeschilderten Ereignisse war indessen der 10. Juni herangekommen, an welchem Tage die Abgeordneten des Volkes sich in einer verfassunggebenden Versammlung vereinigen sollten [Mörd49]. Beim Anblick der versammelten Männer ist Brentano entsetzt und bezeichnet die Kontituante als eine Versammlung, deren Mehrheit aus ganz unfähigen, gewöhnlichen Schreiern besteht. Sie bot das kläglichste Bild einer Volksvertretung, welche je getagt, und welche ihren gänzlichen Mangel an Einsicht und Kenntnissen hinter sogenannten revolutionären Anträgen verbergen wollte, die heute zum Beschluß erhoben, morgen als unausführbar wieder umgestoßen werden mußten [Enge10].

 

Auch Mördes sieht wohl die Unfähigkeit des gewählten Gremiums und möchte deshalb die Thätigkeit der Constituante auf die Beschlußfassung folgender 4 Anträge beschränkt wissen:  

 

a) Die Constituante setzt eine Exekutive nieder, bestehend in einem Chef des Ministeriums und den weiteren Vorständen der einzelnen Ministerien; die letzteren sollen durch den von der Constituante zu wählenden Chef oder Präsidenten gewählt werden.
b) Die Constituante erläßt sofort zwei Gesetze zur Herbeischaffung der nöthigen Geldmittel, eines zur Creirung von Staatspapieren, ein anderes zur Creirung eines Zwangsanlehens.
c) Die Constituante erläßt ein Gesetz betreffend die bäuerlichen Grundlasten, dasselbe soll die folgenden Sätze enthalten:

1) Alle bäuerlichen Grundlasten sind aufgehoben.
2) Alle Forderungen auf Ablösungskapitalien aus solchen Grundlasten sind verfallen, dieses findet auch dann statt, wenn bereits rechtbeständige Urtheile über die Forderungen auf Ablösungskapitalien entschieden hätten.

d) Die Constituante anerkennt die deutsche provisorische Regierung und unterwirft sich derselben ausdrücklich [Mörd49].

 

In der sich am 13. Juni anschließenden Debatte über die Einsetzung einer demokratischen Regierung stellen die gemäßigten Abgeordneten den Antrag, eine provisorische einheitliche Regentschaft in der Person des Bürgers Brentano zu ernennen, der den Titel führen soll: provisorischer Regent von Baden und hoffen somit auf eine Verständigung mit dem Großherzog [Enge10]. Die Linken dagegen sind für eine mehrköpfige Vollziehungsbehörde, die verantwortlich und jederzeit von der constituirenden Versammlung absetzbar sein solle.

 

Schließlich einigt man sich auf die Ernennung eines Triumverats, einer dreiköpfigen provisorischen Regierung mit dictatorischer Gewalt, wobei die constituirende Versammlung ... die diesen 3 Männern übertragene Gewalt jederzeit zurücknehmen kann [Enge10]. Als Diktatoren werden Brentano, Goegg und der ebenfalls Radikale Maximilian Joseph Werner gewählt.

 

Mördes lästert über dieses Konstrukt: Der Diktator Brentano hatte alle möglichen Kleinigkeiten zu absolviren, die den Staat gar wenig berührten. Der Diktator Gögg dilettantisirte beim Heere und erklärte, daß er mit der Verwaltung nichts zu thun habe. Der Diktator Werner machte den Requisitionskommissär. Man hatte drei Diktatoren und keine Diktatur. Darin lag die Dummheit, daß man das Institut schuf, ohne die Männer dazu zu haben.  

 

Alle diese Bemühungen kamen indessen zu spät. Sie konnten keine Wirkung mehr haben, da man alles versäumt hatte, um auf der einen Seite die Reaktion niederzuhalten, auf der andern die Anarchie zu vermeiden. Die Diktatur war nur eine Erklärung der Constituante über den elenden Zustand der Dinge, den die Minister der Diktatur bei aller Erkenntniß der Ursachen desselben nicht mehr ändern konnten. Das Schicksal der Revolution lag in dem Heere. Siegte dieses, so konnte man auf eine Ausbreitung des Aufstandes rechnen; siegte es nicht, so war Alles verloren, und wir hatten nicht für die Zeit nach uns zu sorgen, mit außerordentlichen Mitteln die Kassen für die Regierung unserer Gegner zu füllen [Mörd49].

 

 

Karlsruhe: Der badische Banquerott ist klar

 

Neben den militärischen beschäftigen die provisorische Regierung vor allem finanzielle Sorgen. Als Mittel zur Deckung der Ausgaben für die nächste Zeit gab Gögg ein Zwangsanlehen an und versprach die Vorlage eines Entwurfes für das betreffende Gesetz. Daß aus diesen Mittheilungen keine Erkenntniß über die Lage der Finanzen geschöpft werden konnte, ersah Jedermann. Die Mehrheit der Versammlung fand sich nichtsdestoweniger befriedigt, da der Gögg'sche Vortrag mit einer Reihe von revolutionären Phrasen schloß. Und doch war soviel klar, daß die Finanzen diejenige Branche bildeten, auf der nebst dem Kriege jetzt Alles beruhte. Brentano erklärte in dieser Beziehung, der badische Banquerott sei klar [Mörd49]. Schließlich beschließt man zur Verbesserung des Haushalts eine Verringerung der Beamtenbesoldungen und den Verkauf eines Teils der badischen Roheisen-Reserve.  

 

 

15. Juni

 

Neustadt: Für Republik zu sterben

 

Mitte Juni trifft Friedrich Engels, der zuvor im Mai den Elberfelder Aufstand aktiv unterstützt hatte, in der Pfalz ein und schließt sich den Freischärlern an. In der Eisenbahn nach Neustadt trifft er singende junge Burschen:

 

Nur im Sturz von sechsunddreißig Thronen
Kann die deutsche Republik gedeihn;
Darum, Brüder, stürzt sie ohne Schonen,
Setzet Gut und Blut und Leben ein.
Für Republik zu sterben,
Ist ein Los, hehr und groß, ist das Ziel unsres Muts!
[Enge60]

 

Als Adjutant August Willichs, dem Oberkommandierenden der revolutionären Pfälzischen Armee, schreibt Engels meist ironisch gekonnt über die sogenannte deutsche Verfassungskampagne. Die militärischen Aktionen in der Pfalz sind das reinste Chaos und bestehen beim Näherrücken der preußischen Interventionsarmee wesentlich aus Rückzugsbewegungen der Freischärler, die schließlich Karlsruhe erreichen: Dort erhielten wir Gewehre für unsre Sensenkompanie und einiges Tuch zu Mänteln. Wir ließen Schuhe und Kleider so rasch wie möglich reparieren. Auch neue Leute kamen zu uns, mehre Arbeiter, die ich vom Elberfelder Aufstand her kannte, ferner Kinkel, der als Musketier in die Besançoner Arbeiterkompanie eintrat, und Zychlinski, Adjutant des Oberkommandos im Dresdner Aufstand und Führer der Arrieregarde beim Rückzug der Insurgenten. Er trat als Schütze in die Studentenkompanie [Enge60].

 

Doch mit diesen Studenten geht Engels hart ins Gericht: Überhaupt zeigten sich die Studenten während des ganzen Feldzugs als malkontente, ängstliche junge Herrchen, die immer in alle Operationspläne eingeweiht sein wollten, über wunde Füße klagten und murrten, wenn der Feldzug nicht alle Annehmlichkeiten einer Ferienreise bot. Unter diesen "Vertretern der Intelligenz" waren nur einige, die durch wirklich revolutionären Charakter und glänzenden Mut eine Ausnahme machten [Enge60].

 

 

15. Juni

 

Mannheim – Karlsruhe: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten

 

Inzwischen ist Leopold in seinem Exil nicht untätig. Der geflüchtete Großherzog von Baden markte zwischen Baiern und Preußen, um bei der Eroberung seines Landes durch fremde Truppen möglichst wenig Souveränitätsrechte zu verlieren. Es war natürlich, daß er der preußischen Invasion den Vorzug gab, da er voraussichtlich von Berlin nicht in einer so großen Abhängigkeit gehalten werden würde, wie er es von Baiern, welches vielleicht noch gar die badische Pfalz zurückgefordert hätte, erwarten konnte [Beck49]. Der Schönschreiber der Hohenzollern-Geschichte Hermann Jahnke sieht das durch seine preußische Brille: Infolge dieser Wendung der deutschen Bewegung kam es in Baden zu einem Aufstande. Die Rebellen stürzten die Regierung, und der Großherzog im Bunde mit anderen vom Aufruhr bedrohten süddeutschen Fürsten, wandte sich in seiner Not an den König von Preußen um Beistand. Friedrich Wilhelm sagte Hilfe zu und ernannte am 8. Juni den Prinzen von Preußen zum Oberbefehlshaber des Truppenkorps vom Rhein, welches zum Ausmarsch nach Baden bestimmt war [Jahn90].

 

Bereits im März hatte Friedrich Wilhelm IV. seinem greisen Dichterfreund Ernst Moritz Arndt in einem Brief anvertraut: Jedoch zum Abschied die Wahrheit: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten [Mohr14]. Unter diesem Leitmotiv schickt er seinen Bruder den Kartätschenprinzen mit zwei improvisierten Armeechors an die Revolutionsfront. Anfang Juni beginnt das 1. Preußische Armeechor unter dem Befehl Moritz von Hirschfelds seine erfolgreiche militärische Operation in der Pfalz. Am 15. Juni hatten die Preußen unter der Führung des Prinzen von Preußen Rheinbayern (die Pfalz) beinahe ohne Schwertstreich erobert [Mögl09], während die Badener Revolutionstruppen am 15. und 16. Juni lediglich Achtungserfolge gegen das 2. Preußische Armeechor unter Friedrich von der Groeben an der Neckarlinie bei Mannheim, Käferthal, Ladenburg und Hirschhorn erringen. Jetzt war seitens der badischen Revolutionsarmee wegen der Nähe und Uebermacht des Feindes an keine Offensive mehr zu denken [Beck49].

 

So ist, als Hecker am 15. Mai gerufen vom regierenden Landesausschuss aus den USA im Juni in Straßburg eintrifft, bereits alles vorbei und verloren.

 

 

21. Juni

 

Germersheim – Waghäusel: Den Rheinübergang erzwungen

 

Am 20. Juni hatten die Preußen mit ihrer Avantgarde, geführt von dem General von der Gröben, durch einen Überfall den Rheinübergang bei Germersheim erzwungen und ihre Richtung nach Bruchsal genommen [Mögl09]. Bald darauf strömen 60 000 Mann über den Rhein und besetzen Mannheim. Bereits vorher hatte der Kartätschenprinz bestimmt, wie mit den gefangenen Revolutionären umzugehen sei und den Kriegszustand in Baden erklärt: Hiernach verfallen nunmehr alle diejenigen Personen in dem Großherzogtum Baden, welche den unter Meinen Befehlen stehenden Truppen durch eine verräterische Handlung Gefahr oder Nachteil bereiten, dem Kriegsrecht. Die Corps-Commandeurs haben hiernach das Erforderliche anzuordnen und sind befugt, die Todes-Urteile zu bestätigen [Enge10].

 

 

Die Preußen kommen

 

 

Am 21. Juni kommt es bei Waghäusel zur entscheidenden Schlacht zwischen den Bundestruppen und der Revolutionsarmee unter Ludwik Mierosławski. Wie von vielen befürchtet: Auch diesmal ist dem polnischen Freiheitskämpfer das Kriegsglück nicht hold. Auch Theodor Mögling nicht: In der Schlacht bei Wagehäusel zerschmettert die Kugel eines Scharfschützen ihm den Schenkelknochen. Noch im Lazarett wird Mögling verhaftet und ins Gefängnis überführt.

 

Schlacht bei Wagenhäusel

 

22. Juni

 

Heidelberg ist nur ein kleiner Teil von Deutschland

 

Als sich Reste der geschlagenen Revolutionstruppen nach Heidelberg zurückziehen, fürchtet der Stadtrat den Angriff der Preußen, denn Struve möchte die Stadt gegen die anrückenden Truppen verteidigen und argumentiert: Heidelberg ist nur ein kleiner Teil von Deutschland, und wenn kein Stein auf dem anderen bleibt, so ist es nur ein kleines Opfer für die große Sache [Berg07]. Doch Sigel heißt am 22. Juni die Truppen abmarschieren denn, die Hauptmasse derselben [der Volkswehren] zerstob nach allen Seiten hin und fand natürlich zu ihrer Rückkehr an den väterlichen Herd allerwärts gefälligen Beistand ... Die tiefe Verachtung, mit der Mierosławski in seinen Berichten vom militärischen Standpuncte aus über die Volkswehr spricht, ist durch diese Erscheinungen gerechtfertigt. Hierin liegt aber zugleich eine Anklage gegen die Häupter der Revolution, daß sie auf so schwache Kräfte ihre Hoffnung setzten [Enge10].

 

 

23. Juni

 

Karlsruhe: Brentano ging noch am Mittag von Karlsruhe ab

 

Die letzte Sitzung der Constituante in Karlsruhe fand statt am Samstag den 23. Juni Abends. Es war eine geheime Sitzung von dem Präsidenten Damm berufen. Als Tagesordnung wurde verkündet, die Berathung über die Sicherheit der Constituante. Man hörte nämlich an jenem Abende von allen Seiten der Stadt Karlsruhe schießen, während man wußte, daß die Preußen bereits Morgens in Bruchsal gestanden und deßgleichen sich der Feind jenseits des Rheines bei Knielingen gezeigt hatte [Mörd49].

 

 Über den weiteren Fortgang berichtet Mördes: Als ich … in das Ständehaus kam und in den Sitzungssaal der Constituante eintrat, hörte ich gerade, daß der Präsident einen Beschluß verkündete, wonach die Constituante binnen einer Stunde von Karlsruhe weg und sich mit der Regierung nach Freiburg begeben solle. Ich protestirte dagegen, indem ich darauf hinwies, daß man doch erst die eingeholten Nachrichten abwarten müsse, und nicht durch die augenblickliche Bestürzung sich zu einem Schritte hinreißen lassen dürfe, der das Ansehen der Regierung vernichte. Es war nicht möglich sich Gehör zu verschaffen, Alles lief fort, um sein Gepäck zu besorgen, während Damm noch ausrief, die Constituante müsse in würdigem Zuge sich entfernen, nicht so wie in Nacht und Nebel davon laufen. Ich suchte Brentano zu bewegen, dem Schritte der Constituante nicht zu folgen, es gelang nicht, und so mußte ich denn ebenfalls fort, mein Gepäcke und die Akten des Ministeriums zu besorgen. Statt aber sodann auf die Eisenbahn zu fahren, kehrte ich noch einmal um, um das Aeußerste zu versuchen, die Regierung wenigstens in Karlsruhe zurückzuhalten. Es gelang mir sowie dem Abgeordneten Lehlbach endlich, Brentano, der indessen ruhiger geworden war, von seinem Entschlusse abzubringen. Die anwesenden Deputirten fuhren darauf sofort mit mir auf die Eisenbahn. Ich gab Befehl, daß keine Lokomotive ohne meine spezielle schriftliche Weisung den Bahnhof verlasse und theilte den daselbst versammelten Deputirten mit, die Majorität habe beschlossen, nicht fortzugehen, worauf die Meisten, bereits gleichfalls ruhiger geworden, ihre Effekten nahmen und sich entfernten, die Uebrigen aber nothgedrungen ebenfalls folgten [Mörd49].  

 

Am 24. Juni war spätestens klar, daß Brentano und die Minister nicht mehr länger in Karlsruhe verbleiben konnten, deßgleichen die Constituante. Mit dem Bezuge der Murglinie war Karlsruhe wieder in den Händen der großherzoglichen Regierung, beziehungsweise der Preußen. Die Regierung beschloß sofort nach Offenburg zu gehen und benachrichtigte hievon die Mitglieder der Constituante. Brentano ging noch am Mittag von Karlsruhe ab, die übrigen Mitglieder und die Constituante folgten ihm des Nachts. Werner und Gögg waren bei der Armee, der erstere mit den Funktionen eines Proviantirungskommissärs, der letztere ohne Funktion [Mörd49]

 

 

24. Juni

 

Freiburg: Der Krieg gegen die Feinde der deutschen Einheit und Freiheit
wird mit allen zu Gebote stehenden Mitteln fortgesetzt

 

Als am 24. Juni die Revolutionsregierung und mit ihr Einheiten der Revolutionstruppen nach Freiburg im Breisgau fliehen, ordnet Mördes durch den Bürgermeister an, daß am anderen Tage die sämmtlichen Behörden, inklusive der Geistlichkeit, am Bahnhofe sich einfänden, um die Regierung zu empfangen; übertrug dem Grafen von Görtz die Kommandantur der Stadt und ließ durch denselben eine Parade der Volkswehr anordnen. Diesen Weisungen wurde ohne Weiteres Folge gegeben, allein der Empfang konnte nicht stattfinden, da die Uebersiedelung nach Freiburg durch eine in einem nahe liegenden Orte ausgebrochene Contrerevolution verzögert wurde. Des anderen Tages, den 27., fand indessen eine Sitzung der Constituante (im Basler Hof) statt, welche im Wesentlichen durch einen siegessprühenden Bericht Gögg's ausgefüllt war. Am gleichen Tage wurde in einer geheimen Sitzung von Struve die Aenderung der Regierung, die Umwandlung von Diktatur in eine provisorische Regierung aus 5 Departementschefs vorgeschlagen [Mörd49].  

 

Die schwärenden Konflikte innerhalb der Regierung brechen voll auf, als Struve am Nachmittag des 28. den dringlichen Antrag stellt, die Constituante wolle beschließen: Der Krieg gegen die Feinde der deutschen Einheit und Freiheit wird mit allen zu Gebote stehenden Mitteln fortgesetzt und jeder Versuch einer Unterhandlung mit dem Feinde als Verrath am Vaterlande betrachtet und bestraft [Mörd49]. Die unmittelbare Veranlassung ... bildete ein Antrag des Abgeordneten Junghanns, welchen dieser bereits Dienstag den 26. Juni zu Offenburg gestellt hatte und dahin ging, Unterhandlungen mit dem Feinde einzuleiten. Der Antrag Struve's wurde von Brentano mit der äußersten Gereiztheit bekämpft. Als derselbe nichts destoweniger mit ansehnlicher Stimmenmehrheit von der Landesversammlung angenommen wurde, legte Brentano zuerst seine Stelle als Mitglied der Regierung, und kurz darauf auch diejenige eines Mitgliedes der constituirenden Versammlung vermittelst zweier an den Präsidenten derselben gerichteten Schreiben nieder, und verließ im Dunkel der Nacht den Sitz der Regierung ungeachtet die Landesversammlung unmittelbar nach Eingang des ersten Schreibens den Beschluß gefaßt hatte, ihn zu ersuchen, im Amte zu verbleiben und ihm ausdrücklich zu erklären, daß der oben erwähnte Beschluß durchaus kein Mißtrauensvotum gegen ihn enthalten sollte. Zwei Mitglieder der Landesversammlung begleiteten den ehemaligen Dictator auf der Flucht. Mit der größten Entrüstung wurde von der Landesversammlung in ihrer Sitzung vom 29. Juni die Nachricht von der Entweichung Brentano's aufgenommen.

 

Eine Untersuchungskommission gibt dazu folgende Erklärung ab: Die constituirende Landesversammlung hat bereits die erforderliche Vorsorge getroffen, um jede Störung in dem Gang der Geschäfte zu verhüten, indem an die Stelle des entflohenen Diktators Brentano der Bürger Kiefer von Emmendingen einstimmig ernannt wurde.

 

Bürger! seid wachsam! die constituirende Landesversammlung wird es auch sein. Bürger und Freiheitskämpfer, fahrt fort, eure Pflichten treu zu erfüllen! Wir unsererseits geben euch die heilige Versicherung, mit euch zu stehen und zu fallen, Mit euch auszuharren bis zum Ende. Der große Freiheitskampf wird siegreich durchgeführt werden, wenn Volk und Heer, Regierung und Landesversnmmlung fest zusammen stehen. Wehe den Verräthern! Hoch lebe das freie, das einige, das große deutsche Vaterland! [Mörd49].

 

Nach der Sitzung vom 29. Juni wurde die Landesversammlung nicht mehr vollzählig, um Beschlüsse fassen und öffentliche Sitzungen halten zu können. Mittlerweile trafen vom Heere die niederschlagendsten Nachrichten ein [Stru49].

 

 

25. Juni

 

 Durlach: Da Kamerad, iß auch!

 

Bei einem kurzen Halt der Preussen nach der Erstürmung der Barrikaden von Bruchsal berichtet Jahnke über eine anrührige Begebenheit mit dem Erlöser Badens, wobei Brot und Wein nicht fehlen dürfen: Es gelang dem Prinzen, mit seinen tapferen Preußen den Aufstand nach kurzer Zeit zu unterdrücken und Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Er erwies sich hier als tüchtiger und mutvoller Heerführer und gewann durch seine leutselige Art nicht nur die Herzen seiner Soldaten, sondern auch die Liebe und den Dank der Bewohner. Nach der Erstürmung der Barrikaden von Durlach (25. Juni) brachten die Bürger den Befreiern Brot und Wein ins Lager. Der Prinz, welcher nach der Kampfesarbeit Hunger fühlte, nahm auch seinen Teil von den Liebesgaben. Mit einem Stück Brot in der Hand begegnete er einem Musketier, der noch nichts bekommen hatte; er teilte seinen Imbiß und reichte die Hälfte dem Hungernden mit den Worten: Da Kamerad, iß auch! [Jahn90]. So zieht der preußische Heilsbringer am 25. Juni mit seinen Truppen kampflos in Karlsruhe ein.

 

 

29. Juni

 

Gernsbach: Die letzte Position der badischen Armee verloren

 

Als die Murglinie seitens der Aufständischen erreicht war, setzten sie sich, um einen letzten entschlossenen Widerstand zu versuchen. Dies führte am 29. und 30. Juni zu den ziemlich blutigen Gefechten bei Kuppenheim, von denen das eine diesseits, das andere jenseits der Murg geschlagen wurde. An dem Gefechte diesseits der Murg (29.) nahmen unsere Musketierbataillone, an dem Gefechte jenseits der Murg (30.) unsere Füsiliere teil. Besonders zeichnete sich von denen das eine diesseits, das andere jenseits der Murg geschlagen wurde. An dem Gefechte diesseits der Murg (29.) nahmen unsere Musketierbataillone, an dem Gefechte jenseits der Murg (30.) unsere Füsiliere teil. Besonders zeichnete sich am 29. das 2. Bataillon aus. Das Erscheinen des 2. Bataillons 24. Regiment war entscheidend. Die Freudigkeit, mit der es ins Gefecht ging, ist über alles Lob erhaben, und bald war auch das verlorengegangene Terrain und noch mehr gewonnen. Der Feind zog eilig über die Murg nach Kuppenheim ab [Font16].  

 

Die preußischen Interventionstruppen schossen Gernsbach mit Granaten in Brand, und als den Flammen kein Einhalt mehr zu tun war, gab Herr Sigel, den Mierosławski hingeschickt hatte, um den Posten um jeden Preis zu halten, selbst den Befehl, Herr Blenker solle sich mit seinen Truppen fechtend zurückziehn. Herr Sigel wird dies nicht leugnen, ebensowenig wie er es in Bern tat, als ein Adjutant des Herrn Blenker in seiner, des Herrn Sigel, und Willichs Gegenwart dies Kuriosum erzählte. Mit diesem Befehl, den Schlüssel der ganzen Murgposition "fechtend" (!) aufzugeben, war natürlich das Treffen auf der ganzen Linie, war die letzte Position der badischen Armee verloren [Enge60].

 

Gefecht bei Gernsbach

 

30. Juni

 

Offenburg: Am 30. kamen den ganzen Tag hindurch
Trains voll zersprengter Soldaten an

 

Mördes erlebt den chaotischen Rückzug wie folgt: Die Murglinie war jetzt verloren und die Armee völlig debandirt. Am 30. kamen den ganzen Tag hindurch Trains voll zersprengter Soldaten [in Offenburg] an und bei ihrem Anblicke liefen denn auch noch die kaum organisirten Volkswehrbataillone auseinander. Umsonst suchte man die Soldaten wenigstens in geordneten Zügen nach der Stadt Freiburg zu bringen, es nützte zu nichts. Heumsch und ich standen auf der Eisenbahn mit den blanken Säbeln, allein die Truppen stiegen aus der einen Seite aus, während wir auf der anderen waren. Dazu kam dann eine große Erbitterung, weil man nicht sofort für die Aufnahme dieser Massen Sorge tragen konnte. Des Mittags sammelten sich hunderte von Soldaten auf einem Platze, wir begaben uns sofort dahin, Gögg hielt eine Rede, sie schrieen auch noch Hoch, besprachen, sich aber unterdessen darüber, daß sie uns in der Nacht verlassen wollten [Mörd49].

 

Am gleichen Tag erklärte der Minister des Innern, Florian Mördes, daß sowohl unter der Bürgerschaft der Stadt als unter den Truppen eine sehr ungünstige und gemischte Stimmung herrsche und beschwor namentlich den Abgeordneten Struve, nicht länger in Freiburg zu verweilen, indem, wie er aus zuverlässiger Quelle wisse, seine persönliche Sicherheit daselbst im höchsten Grade gefährdet sei. Struve ließ sich jedoch durch diese Erklärungen nicht abhalten, in Freiburg zu bleiben. Sonntag den  1. Juli reiste er vielmehr, im Auftrage, des Dictators Goegg, nach Offenburg, um Mieroslawsky und Sigel aufzusuchen, sich bei diesen über den Stand der Verhältnisse zu erkundigen und mit eigenen Augen sich nach demselben umzusehen. In Offenburg erfuhr Struve, daß Mieroslawsky den Oberbefehl des Heeres niedergelegt habe, und sah mit eigenen Augen, daß die Trümmer des Heeres, welche daselbst in mehreren Zügen auf der Eisenbahn nach Freiburg verbracht wurden, in vollständiger Auflösung begriffen seien [Stru49].

 

 

1. Juli

 

 Freiburg: Das letzte Aufgebot

 

Während des 1. Juli sammelten sich die noch übrigen Reste des Volksheeres in Freiburg. Am Morgen des 2. Juli fand noch eine Revue der Reste des Volksheeres, die sich in Freiburg gesammelt hatten, auf dem Karlsplatze statt, wo sie auch teilweise an Wachfeuern unter freiem Himmel die Nacht zugebracht hatten. Sie bildeten noch immer ein Korps von mehr als 4000 Mann, welche an der nur noch aus Werner und Gögg bestehenden provisorischen Regierung von Baden und dem Oberkommandanten Sigel vorüberzogen. Voran marschierten die Linientruppen mit beinah noch vollständiger Artillerie; nur eine reitende Batterie weigerte sich mitzuziehen. Dann folgte die Volkswehr in ihren verschiedenen Abteilungen. Am achtbarsten das Schützencorps aus Hanau, meist bestandene, zum Teil schon ergraute Männer, denen man es wohl ansah, daß es ihnen mit dem Kriegswesen bitterer Ernst sei. Die Rheinpfälzer hatten eine Kolonne ,,Robert Blum" unter sich, im ganzen junge, lebensfrohe Leute. Ungünstigen Eindruck machten einige Mädchen in Männerkleidern in ihren Reihen, die gerade nicht von patriotischer Begeisterung erfüllt zu sein schienen. Das Kontingent der eigentlichen badischen, zunächst der Freiburger Volkswehr, war sehr gelichtet; manche Teilnehmer hatten sich offenbar nur aus Zwang angeschlossen. Dennoch flatterten die deutschen Fahnen noch vom Münsterturme und aus den Fenstern herab so lustig, als wenn sie nicht den letzten Gruß den abziehenden zuwinkten und nicht selbst daran wären, Freiburg — wer weiß wie lange? — zu verlassen. Unter den letzten stieg auch der bisherige Zivilkommissar Aschbach in seinen Wagen ein, leichenblaß, mit ernster Selbstbeherrschung. Hinter ihm verschwanden mehr und mehr die deutschen Fahnen [Hunn41].

 

Angesichts der Übermacht der anrückenden Interventionsarmee ist die Moral der Freiburger Truppen schlecht. So erfährt Goegg am 2. Juli seine persönliche Niederlage, als er mit seinem Pferd auf dem Münsterplatz reitend erleben muss, wie sich Soldaten mit Bürgerwehrmännern unter dem Ruf: Es lebe der Großherzog verbrüdern [Sieb99].

 

 

2. Juli

 

Freiburg: Jedem Mann werde sein Gehalt oder Sold vollständig ausbezahlt

 

Nach diesen Entwicklungen wechselt Struve in das Lager der Tauben. Sarkastisch kommentiert Engels: Und Held Struve, derselbe, der am 29. Juni noch Herrn Brentano und jeden, der mit dem Feinde unterhandeln wollte, für einen Volksverräter erklärte, war drei Tage später, am 2. Juli, so vernichtet, daß er sich nicht schämte, in einer vertraulichen Sitzung der badischen Konstituante den [folgenden] Antrag zu stellen [Enge60]:  Unter diesen Umständen ist eine Kriegführung unmöglich. Es fehlen uns die Mittel, auch nur eine Feldschlacht zu schlagen. Setzen wir jetzt noch unsern Widerstand fort, so wird die einzige Folge desselben sein, daß auch das Oberland, wie das Unterland, die Schrecknisse des Kriegs empfindet, daß viel kostbares Blut vergossen wird. Ein Schlachten ist noch möglich, keine Schlacht, ein Raubzug kann noch ausgeführt werden, kein Krieg. Wir müssen zu retten suchen, was noch zu retten ist. Ich trage daher darauf an, daß

1)  in gleicher Weise wie den Mitgliedern der Landesversammlung jedem Manne, welcher sich bei unserer Revolution betheiligt hat, sein Gehalt oder sein Sold vollständig ausbezahlt werde bis zum 10. Juli und daß überdies Jeder ein entsprechendes Reisegeld erhalte;
2)  daß wir uns mit unserm ganzen Heere, mit Waffen, Vorräthen, Kassen und allem beweglichen Staatsvermögen auf schweizerisches Gebiet in guter Ordnung zurückziehen.

 

Gegen diesen Antrag erhoben sich Sigel, Werner und Goegg auf das entschiedenste. Sigel erklärte sogar, er würde der erste sein, welcher revoltirte, falls derselbe angenommen werden sollte. Die Versammlung trennte sich, ohne einen Beschluß gefaßt zu haben [Stru49].

 

 

7. Juli

 

Beim Rheinübergang in die Schweiz: Aus schlechtem Cattun, das ist schwarz rot gold

 

Nach einem düsteren Zwischenraum von einigen Tagen rückten am 7. Juli über 4000 Mann stark von allen Waffengattungen die Preußen in Freiburg ein, der Prinz von Preußen mit seinem ganzen Generalstabe* an der Spitze. Unter einem wurde die Ablieferung aller Waffen befohlen und der Kriegszustand des ganzen Großherzogtums verkündet. [Hunn41].

*darunter Armeegeneral Moritz von Hirschfeld

 

Die Revolutionäre Goegg und Sigel flüchten in die Schweiz. Die Schweizerbehörde erhielt Munition, Waffen, Artillerie ec. übergeben [Mörd49]. Als Gottfried Keller die Flüchtigen beim Überqueren des Rheins erblickt, schreibt er:

 

Das ist eine düstere Gesellschaft im Boot,
wie Blut weht am Hute die Feder rot,
zerrissen die Bluse, geschwärzt das Gesicht,
in den Augen flackert das Totenlicht.
Ein dürftiges Fähnlein im Winde sich rollt,
aus schlechtem Cattun, das ist schwarz rot gold
[Böhm05].

 

In Freiburg setzen die preußischen Besatzer statt des am 3. Juli 1849 die Schweiz geflüchteten Alexander Buisson provisorisch Joseph von Rotteck wieder als Oberbürgermeister ein, der dem Kartätschenprinzen für die Niederschlagung des ebensosehr verbrecherischen wie in seinen Folgen unheilvollen Aufstandes dankt [Hart01].

 

 

8. Juli

 

Thiengen: Engels (ent)kommt als letzter in die Schweiz

 

Friedrich Engels als Adjutant August Willichs erreicht auf dem Rückzug in den Süden folgender Befehl: Hauptquartier Thiengen, 8. Juli 1849. - An den Obersten Willich in Eggingen. Da der Kanton Schaffhausen schon jetzt in einer feindseligen Weise gegen mich auftritt, so ist es mir unmöglich, die von uns besprochene Position einzunehmen. Du wirst danach Deine Bewegungen richten und Dich gegen Griessen, Lauchringen und Thiengen zu bewegen. Ich marschiere morgen von hier ab, um entweder nach Waldshut oder hinter die Alb (d.h. nach Säckingen) zu gehn ... Der Obergeneral, Sigel.

 

Es ist alles zu spät. Wir marschierten durch Lottstetten bis an die Grenze, biwakierten die Nacht noch auf deutschem Boden, schossen am Morgen des 12. unsre Gewehre ab und betraten dann, die letzten der badisch-pfälzischen Armee, das Schweizer Gebiet [Enge60].

 

 

1./23. Juli

 

Rastatt: Letztes Bollwerk der Freiheit

 

Nach den Treffen bei Gernsbach am 29. und bei Kuppenheim am 30. Juni, in denen württembergische Korps (Schwaben!) die badischen Republikaner über die Murg zurückdrängen., warf sich ein Teil nach Rastatt zurück unter ihrem Gouverneur Gustav Nicolaus Tiedemann. Der Rest zerstob in alle Winde. Damit war der Feldzug abgeschlossen, unsere Vierundzwanziger aber wurden dem Okkupationskorps zugeteilt, das bis November 1850 in Baden verblieb [Font16]

.

Das Interesse Fontanes gilt hier nicht der badischen Revolution, sondern dem Schicksal des ursprünglich in Neuruppin stationierten 24. Preußischen Infanterieregiments, welches der Soldatenkönig 1732 seinem Sohn dem damaligen Kronprinzen Friedrich und späterem Großen als „Regiment Cronprintz“ unterstellt hatte. Und so fährt Fontane fort: Der Feldzug kostete den 24. 3 Tote, 18 Verwundete [Font16].

 

Als das letzte Bollwerk der Freiheit bietet die Bundesfestung* Rastatt noch Schutz vor den anrückenden Bundestruppen. Deren kommandierender General Karl von der Groeben lässt die eingeschlossenen Revolutionäre am 2. Juli wissen: Eine zahlreiche Armee hat Eure Mauern fest eingeschlossen, bereit, den Angriff zu beginnen [Mohr14].

*Bundesfestungen dem deutschen Bund seit 1815 unterstellt sind gegen französische Expansionsbestrebungen (in der Vergangenheit  Ludwig XIV und Napoleon) gerichtet. Es sind dies Luxemburg, Mainz und Landau. Später kommen Ulm und Rastatt dazu, wobei in Rastatt die Festung die Stadt umschloss.

 

Hier in der zernierten Festung Rastatt gibt der Schriftführer im Kriegsministerium der revolutionären Regierung, der Journalist Ernst Elsenhans, praktisch im Alleingang vom 7. bis zum 22. Juli 1849 vierzehn Ausgaben einer Zeitung, Der Festungs-Bote, heraus. Es ist ein Organ voller Durchhalteparolen, in dem lange die Niederlage der Revolutionsarmee in Südbaden geleugnet und als gegnerische Propaganda abgetan wird.

 

 

Was ist und was will die soziale Demokratie?

 

Nachdem der Club für entschiedensten Fortschritt die Grundsätze der sozialen Demokratie für diejenigen erklärt hat, nach welchen er sich in seiner ganzen Thätigkeit richten welle, scheint es uns nöthig, zuerst über die Demokratie, und sodann über den Sozialismus unsere Ansicht auszusprechen.

 

Was zuerst die Demokratie betrifft, so ist dieselbe diejenige Regierungsform, bei welcher das Volk selbst, d.h. sämmtliche Bürger zusammengenommen, die höchste Gewalt ausübt. Diese Regierungsform zerfällt in zwei Hauptabtheilungen, in die reine und die repräsentative. Bei der ersteren wird die höchste Gewalt gehandhabt durch Entscheidung der Bürger mit Stimmen-Einheit oder Mehrheit. Sie paßt nur für kleinere Staaten, da natürlich nicht alle Staatsbürger in einem größeren Lande jeden Augenblick zur Berathung berufen werden können, und in dringenden Fällen die Entscheidung über wichtige Angelegenheiten nicht ohne Schaden verzögert würde. In der Repräsentativ-Demokratie wird die höchste Gewalt durch Repräsentanten – Stellvertreter – ausgeübt, und das Volk äußert seinen unmittelbaren Antheil an der obersten Leitung des Staats, blos mittelbar, d.h. durch seine Deputierten, durch seine Wahlen.

 

Die Vorzüge der demokratischen Staatsform, bestehen wie selbst ihre Gegner zugeben müssen, "in der großen und aufopfernden Vaterlandsliebe, welche dadurch erweckt wird, daß sie jedem Bürger ein Gefühl der Würde und Unabhängigkeit durch die möglichste Gleichheit derselben, durch die möglichste Theilnahme an der Landes-Regierung und durch die Oeffentlichkeit der letzteren verleiht“.

 

Wir haben diese Vorzüge hier kurz aufgeführt, weil es Leute gibt, denen die Wahrheit nicht oft genug wiederholt werden kann. Indessen sind wir weit entfernt von der Ansicht, daß von der Republik oder Demokratie an sich das Heil der Welt ausgehen wird, denn wir sehen aus der Geschichte sowohl, als aus der täglichen Erfahrung, daß es Republiken gegeben hat und noch gibt, welche die Ansprüche des Menschen auf Glück in keiner Weise befriedigen. Die Demokratie an sich wird uns weder Arbeit noch Brod geben, sie wird unsere fälligen Zinsen nicht zahlen, sie wird uns nicht von Sorgen und Leiden befreien, denn sie stößt bei Lösung ihrer Aufgabe, das Volk zur Herrschaft zu bringen, stets auf das Mißverhältniß des Eigenthums, des Besitzes.

 

Diese Ungleichheit, dieses Mißverhältniß sucht nun der Sozialismus durch Herstellung der Gleichheit aufzuheben. Er will der Unterdrückung und Unwahrheit, welche überall herrscht und dem trostlosen Elend, dessen Bild uns in den unteren Schichten, d.h., in der ungeheueren Mehrzahl der Bevölkerung entgegen tritt, dadurch ein Ende machen, daß er auf fortwährende Verbesserung des sittlichen, geistigen und körperlichen Daseins, der zahlreichsten und ärmsten Klasse dringt, und statt der Herrschaft des Kapitals die Herrschaft in der Arbeit oder doch, deren Gleichstellung mit dem Kapital anstrebt.

 

Die Vertheilung der Güter soll nach dem Verlangen der Sozialisten von der Arbeit abhängig gemacht und dadurch die möglichste Gleichheit unter den Menschen erzielt, es soll jedem fleißigen, ordentlichen und geschickten Mann Gelegenheit verschafft werden, so viel Besitz zu erwerben, als zu einem vernünftigen Genuß des Lebens nötig ist.

 

Die Gleichstellung der Arbeit, also mit dem Kapital, mit anderen Worten, die Organisation der Arbeit, und infolge davon, die Aufhebung des ungeheueren Missverhältnisses zwischen den Besitzenden und Nichtbesitzenden, dem sogenannten Proletariat, ist es, womit sich der Sozialismus beschäftigt, der in Frankreich zuerst als Wissenschaft aufgetreten ist, und als dessen Urheber St. Simon und Fourier* betrachtet werden müssen.

*Französische Frühsozialisten Henri de Saint-Simon (1760-1825) und Charles Fourier (1772-1837)

 

Der Sozialismus in Verbindung mit der Demokratie erscheinen allen denkenden Menschenfreunden als das Mittel, durch welche es uns gelingen könne, endlich in das gelobte Land der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eintreten, und es wird ihnen gelingen, die Menschen zu diesem Ziele zu führen, wenn auch einzelne noch vierzig Jahre um das goldenen Kalb der Monarchie tanzen, in der Wüste der Dummheit und Niederträchtigkeit herumtappen, und wenn auch das ganze jetzt lebende Geschlecht darüber aussterben sollte. Denn die Wahrheit siegt zuletzt immer, die Wahrheit wird uns frei machen, und sie ist es welche den demokratischen Sozialisten zur Richtschnur dient [Else49].

 

Auf den zum Buch gebundenen 14 Ausgaben des Festungsboten findet sich folgenden Eintrag in Sütterlinschrift: Ernst Elsenhans, Literat aus Würtemberg, wurde nachdem sich Rastatt am 23. Juli 1849 auf Gnade und Ungnade ergeben hatte, wegen Herausgabe dieses "Festungsboten" in Folge kriegsrecht-lichen Spruches am 7. August 1849 in Rastatt erschoßen.

 

 

23. Juli 1849

 

 

Rastatt: Übergabe der Bundesfestung

 

Der Kartätschenprinz hoch zu Ross demütigt die Verteidiger (©IBBW)

Die eingeschlossenen Republikaner erwarten vergeblich den Entsatz durch Sigel. Als dieser ausbleibt, bricht die preußische Belagerung den letzten Widerstand der deutschen Revolution. Revolutionäre und badischen Truppen kapitulieren vor der erdrückenden Übermacht, ergeben sich auf Gnade und Ungnade und übergeben Rastatt am 23. Juli den Preußen.

 

Leutnant Carl Schurz ist einer der Letzten, der durch einen Abwasserkanal aus der Festung fliehen kann. Er wird es später in den USA zum Innenminister bringen.

 

Freischärler in den Kasematten von Rastatt (Zeichnung von F. Kaiser)

Die kaltfeuchten Kasematten der Bundesfestung dienen als Kerker, in denen viele Gefangene schon vor der Gerichtsverhandlung ihren Verletzungen erliegen oder an Krankheiten sterben. Die Sieger halten im Ahnensaal des Barockschlosses Standgericht und verhängen 21 Todesurteile, von denen 19 in den Festungsgräben vollstreckt werden.

 

Großherzog Leopold von Baden zieht in einem Galawagen am 19. August feierlich in Karlsruhe ein. An seiner rechten Seite sitzt der Kartätschenprinz, beide in preußischer Generalsuniform. Der Großherzog sprach dem Prinzen von Preußen öffentlich seinen Dank aus und überreichte ihm das Großkreuz des Militär-Verdienstordens. Die Rede gab den vollen Ausdruck der Empfindung und war deshalb so wohltuend. Das vielleicht Drückende und Demütigende, welches dieser Act so leicht für den Großherzog hätte haben können, verlor diesen Charakter vollständig durch die Haltung unseres Prinzen, der mit seinem bewunderungswerten Tacte und seiner anspruchslosen Bescheidenheit nur wie der General dastand und, in diesem Sinne antwortend Alles abwies, was ihn hätte als den Thronerben jener Macht erscheinen lassen, die Baden eben unter ihre Fittige genommen [Enge10].  

 

 

Bekanntmachung der standrechtlichen Erschießung Tiedemanns

 

 

 

 

Die Deutsche Revolution, die vor gut einem Jahr im Badischen begonnen hatte,
endet auch dort

 

Struve nennt den Grund: Jede Revolution, welche nicht an revolutionären Kräften reißend zunimmt, geht unter. Es mußte daher die badische Revolution mit aller Macht nach der Vermehrung ihrer revolutionären Kräfte streben, sich bemühen, die engen Gränzen des badischen Landes zu überschreiten und überall ln Deutschland Anhänger und Freunde zu werben. Dieses war nur möglich, wenn man die nichtbadischen Revolutionäre an sich zog und in Thätigkeit setzte. Eine badische Revolution konnte nicht gelingen. Es handelte sich darum, aus derselben eine deutsche zu machen.

 

Schließlich hat er eine Vision: Das Volk verlangt Befreiung von dem sechsfachen Joche, das auf ihm lastet. Nur aus dem Scheiterhaufen, auf welchem verbrannt werden die sechs Geißeln: des Königsthums, des Geburtsadels, des Beamtenthums, des stehenden Heeres, des Pfaffenthums und des Geldwuchers -nur aus diesem Scheiterhaufen kann dem Volke Freiheit, Wohlstand und Bildung erstehen.  

 

Achtzig Jahre lang kämpften die Niederländer gegen die spanischen Tyrannen, sieben Jahre dauerte der nordamerikanische Freiheitskrieg. Der deutsche Freiheitskampf hat noch kaum begonnen. Das Blut, welches in Wien, Berlin, Dresden und in Baden floß, bildete nur kleine Bächlein im Verhältnis zu den Strömen, welche noch fließen müssen, um die Träger der sechs Geißeln der Menschheit in ihrem Blute zu ersticken.  

 

Als Nobert Blum in der Brigitten-Au bei Wien bereit stand, das tödtliche Blei zu empfangen, sagte er voraus: Aus jedem Tropfen meines Blutes wird ein Freiheitskämpfer erstehen. Tausende sind seither erstanden, tausende sind seither gefallen. Auch aus jedem Tropfen ihres Blutes wird ein Freiheitskämpfer erstehen. In riesenhafter Progression wird so die Zahl der Freiheitskämpfer wachsen. Mit Löwenkühnheit wurde im Badischen gekämpft gegen die Uebermacht. Die badischen Artilleristen haben sich ein Denkmal gesetzt, das länger dauern wird als das Erz der Kanonen, die sie bedienten. Das Beispiel, welches das badische Volk vereint mit dem badischen Heere dem gesammten deutschen Vaterlande gab, die begeisterte Hingebung, mit welcher sie in den Tagen der Schlachten kämpften, --wird Nachfolge erwecken. Der Gedankenstrom, welcher im badischen Schwarzwalde seinen Ursprung fand, wird sich ergießen über das gesammte deutsche Vaterland. Er wird sich vereinigen mit den Gedankenströmen, welche in Paris, Rom und Debreczin entsprangen und wird überfluthen das ganze Europa. Aus dem durch diese Fluthen gedüngten Boden aber wird emporkeimen eine neue Saat und wird sich entwickeln ein neues Geschlecht. Jene Saat wird sein die Freiheit und dieses Geschlecht wird keine Tyrannen mehr dulden [Stru49].

 

Auch Mördes spekuliert, allerdings über die künftige Rolle Preußens in Deutschland: Die Nationalversammlung ist gesprengt, die Revolution des deutschen Volkes ist ohne anerkanntes Organ; diejenigen deutschen Völkerstämme, welche den Kampf mit dem Fürstenthume wieder aufnehmen wollten, sind unterdrückt … Preußens Taktik wird also für den Moment siegen müssen, Preußen wird die Monarchie festhalten und die Fürstenthümer zweiten Ranges mediatisiren. Es schafft ein Reich für seine Krone, fürstliche Pairs zum Schutze dieser Verfassung. Preußen will keinen Staatenbund noch Bundesstaat, es will und muß einen Einheitsstaat haben. Diese Einheit liegt in der Dreikönigverfassung. Dieselbe vernichtet die Kronrechte der Einzelstaaten und enthält den Organismus, der sie im Laufe der Zeit rasch beseitigen muß. Es verwandelt diese Institutionen einfach in sociale Institutionen und wirft darum den Kampf von dem politischen auf das sociale Feld. Gelingt es diesen Train in Gang zu bringen, so ist das Königthum ohne Zweifel für lange Zeit außer aller Gefahr, und es ist wohl kaum zweifelhaft, daß dasselbe alsdann auch durch freisinnigere Institutionen die konstitutionellen Elemente für sich gewinnt [Mörd49].  

 

Und Engels als Mitkämpfer der Erhebung von 1849 hat seine eigene linke Meinung zum Scheitern der Revolution: Die Kleinbürgerschaft hat versagt, und die Arbeiter und Bauern werden bei der nächsten Insurrektion das Heft in die Hand bekommen: Die Reichsverfassungskampagne ging zugrunde an ihrer eignen Halbheit und innern Misere. Seit der Juniniederlage 1848 steht die Frage für den zivilisierten Teil des europäischen Kontinents so: entweder Herrschaft des revolutionären Proletariats oder Herrschaft der Klassen, die vor dem Februar herrschten. Ein Mittelding ist nicht mehr möglich. In Deutschland namentlich hat sich die Bourgeoisie unfähig gezeigt zu herrschen; sie konnte ihre Herrschaft nur dadurch gegenüber dem Volk erhalten, daß sie sie an den Adel und die Bürokratie wieder abtrat. In der Reichsverfassung versuchte die Kleinbürgerschaft, verbündet mit der deutschen Ideologie, eine unmögliche Ausgleichung, die den Entscheidungskampf aufschieben sollte. Der Versuch mußte scheitern: denjenigen, denen es ernst war mit der Bewegung, war es nicht ernst mit der Reichsverfassung, und denen es ernst war mit der Reichsverfassung, war es nicht ernst mit der Bewegung ...  

Die Reichsverfassungskampagne hat ferner in den deutschen Ländern, wo die Klassengegensätze noch nicht scharf entwickelt waren, zu ihrer Entwicklung bedeutend beigetragen. Namentlich in Baden. In Baden bestanden, wie wir sehen, vor der Insurrektion fast gar keine Klassengegensätze. Daher die anerkannte Herrschaft der Kleinbürger über alle Oppositionsklassen, daher die scheinbare Einstimmigkeit der Bevölkerung, daher die Raschheit, mit der die Badenser wie die Wiener von der Opposition in die Insurrektion übergehn, bei jeder Gelegenheit einen Aufstand versuchen und selbst den Kampf im offnen Feld mit einer regelmäßigen Armee nicht scheuen. Sobald aber die Insurrektion ausgebrochen war, traten die Klassen bestimmt hervor, schieden sich die Kleinbürger von den Arbeitern und Bauern. In ihrem Repräsentanten Brentano blamierten sie sich auf ewige Zeiten. Sie selbst sind durch die preußische Säbelherrschaft so zur Verzweiflung getrieben, daß sie jetzt jedes Regime, selbst das der Arbeiter, dem jetzigen Druck vorziehn; sie werden einen viel tätigeren Anteil an der nächsten Bewegung nehmen als an jeder bisherigen; aber glücklicherweise werden sie nie wieder die selbständige, herrschende Rolle spielen können wie unter der Diktatur Brentanos. Die Arbeiter und Bauern, die unter der jetzigen Säbelherrschaft ebensosehr leiden wie die Kleinbürger, haben die Erfahrung des letzten Aufstands nicht umsonst gemacht; sie, die außerdem ihre gefallenen und gemordeten Brüder zu rächen haben, werden schon dafür sorgen, daß bei der nächsten Insurrektion sie und nicht die Kleinbürger das Heft in die Hand bekommen. Und wenn auch keine insurrektionellen Erfahrungen die Klassenentwickelung ersetzen können, die nur durch einen langjährigen Betrieb der großen Industrie erreicht wird, so ist doch Baden durch seinen letzten Aufstand und dessen Folgen in die Reihe der deutschen Provinzen getreten, die bei der bevorstehenden Revolution eine der wichtigsten Stellen einnehmen werden [Enge60].

 

 

Karlsruhe: Des Heimathsrechtes für verlustig erklärt

 

 Die geflüchteten Theilnehmer am Aufstande wurden ihres Heimathsrechtes für verlustig erklärt und in contumaciam verurtheilt; für alle näher oder entfernter Betheiligten wurde außerdem die solidarische Verbindlichkeit für den Schaden von 3 Mill. ausgesprochen, welcher dem Staate durch die Revolution erwachsen war [Pier57].

 

 

31. Juli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Standrechtliche Erschießung

Friedrich Neffs 

Freiburg: Wer für eine Überzeugung kämpft, muss auch den Mut haben,
dafür zu sterben

 

In Freiburg werden nach jeweils nur kurzer Verhandlung

 

am 31. Juli Max Dortu, während der Revolution Kommandant der Gernsbacher Volkswehr,

am 9. August Friedrich Neff, Student der Philosophie und Teilnehmer und den Freischarzügen von Hecker und Struve, sowie

am 21. August Gebhard Kromer, Korporal der badischen Revolutionsarmee,

 

zum Tode verurteilt und auf dem Wiehre-Friedhof standrechtlich erschossen.

 

Nach der Erschießung Dortus konnte man in Freiburg noch am gleichen Tag folgenden Anschlag lesen:

 

Zur Warnung!

Johann Ludwig Maximilian Dortu aus Potsdam, ehemals Königlich Preußischer Auskultator und Unteroffizier im 24. Landwehr=Regiment, hatte sich aus Anlaß der im Mai d. J. stattgefundenen Staatsumwälzung in dieses Land begeben und war nach dem Einrücken der Königlich Preußischen Armee den Truppen seines eigenen rechtmäßigen Landes= und Kriegsherrn, seinen eigenen Waffenbrüdern und Landsleuten mit den Waffen in der Hand feindselig gegenübergetreten. Derselbe wurde daher am 11. Juli c. wegen Kriegsverrats hier selbst vor ein Kriegsgericht gestellt. Das von diesem wider ihn erlassene Erkenntnis ist am gestrigen Tage von mir dahin bestätigt worden, daß der Angeschuldigte wegen Kriegsverrats, unter Degradation zum Gemeinen, Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes und dem Verluste der National=Konkarde, mit dem Tode durch Erschießen zu bestrafen.  

Diese rechtskräftige Erkenntnis ist heute morgen um 4 Uhr an dem Angeschuldigten in der Nähe des Kirchhofes von Wiehre vollzogen worden, was hiermit zur öffentlicher Kenntnis gebracht wird.

 

Hauptquartier Freiburg, den 31. Juli 1849

 

Der kommandierende General des Ersten Armeekorps der Königlich Preußischen Operationsarmee am Rhein.  

v. Hirschfeld.

 

Max Dortu schreibt vor einem Tod an seinen Eltern: Wer den Mut hat, eine Überzeugung zu bekennen und für dieselbe zu kämpfen, muß auch den Mut haben, für dieselbe zu sterben [Haum01].

 

Im Zweiten Reich kolportieren die Geschichtsschreiber bei der Aufarbeitung der für sie so schändlichen Volkserhebung von 1848: Dortu soll am Morgen vor seiner Hinrichtung einem Geistlichen gesagt haben: Sie sehen, daß ich ruhig und gefaßt sein kann, obwohl ich die totale Überzeugung habe, daß ich ins Nichts gehe. Und es wird angefügt, dass auch der Kartätschenprinz findet, daß bei den Verurteilten (Dortu und Neff) ein so totaler Mangel an allem religiösen Sinn zu Tage getreten ist, worin er eine der wirksamsten Triebfedern ihres heillosen Treibens glaubte suchen zu müssen [Hebe10].

 

Friedrich Neff wird am 8. August zum Tode verurteilt, da er sich schon bei den früheren hochverrätherischen Unternehmungen betheiligt hatte, namentlich bei dem von Struve im September vorigen Jahres unternommenen Umwälzungsversuch durch Plünderung von Staatskassen und andere Verbrechen. Ferner habe er im Mai 1849 die deutschen Flüchtlinge im Auslande zur Unterstützung der Revolution in das Großherzogthum gerufen, dieselben organisirt und vom 5. bis 29. Juni als Bewaffneter mit ihnen den Kriegszug über Heidelberg, Schönau, Heddesbach nach Durlach und Rastatt in der Eigenschaft eines Kriegskommissärs gemacht [Enge10]. In einem Abschiedsbrief schreibt er an seine Mutter:  Was mich betrifft, so werde ich so ruhig morgen in den Tod gehen, als ich einst in unseren Garten zu gehen pflegte. Beweiset durch Standhaftigkeit, dass ihr die Mutter eines Republikaners seyd ... Kein Schritt, den ich gethan habe in meinem Leben reuet mich, und wenn ich noch zehn Leben hätte, würde ich all zehn der Freiheit weihen [Moeh07].   Neff starb am 9. August 1849, Morgens 4 Uhr, auf derselben Stelle, auf welcher wenige Tage vor ihm Dortü ihm vorangegangen war. Ehe die tödtlichen Kugeln ihn erreichten, schwang er seinen Hut und rief: Es lebe die Freiheit! es lebe die deutsche Republik! [Stru49].

 

Die Anschuldigung Gebhard Kromers bestand hauptsächlich darin, daß er die Soldaten wiederholt zum Treubruch und zur Absetzung ihrer Offiziere verleitet, dieselben in öffentlichen Reden zum Kampfe gegen die zur Wiederherstellung der rechtmäßigen Regierung einrückenden Truppen aufgefordert, und endlich selbst in den Reihen der rebellischen Truppen als Corporal das Gefecht bei Groß-Sachsen mitgemacht habe [Enge10]. Alle Einwände des Verteidigers, Hofgerichtsadvokat Thiery, werden vom Tisch gefegt, aber der Staatsanwalt stellt dem Gericht frei, angesichts der minderen Bedeutung des Angeklagten von der Höchststrafe abzusehen. Nach eineinhalb Stunden Beratung fällt das Tribunal mehrheitlich das Urteil: Tod durch Erschießen. . Wie in den anderen Fällen wird das Todesurteil gleich am nächsten Morgen vollstreckt. Um halb fünf Uhr fällt Gebhard Kromer tot auf die Erde des Wiehre-Friedhofes. Ein Soldat, der zur Hinrichtung abkommandiert wurde, schildert die Szene folgendermaßen: Auf dem Platz stand ein leerer Sarg. Kromer ging 10 Schritte vor die Soldaten bis neben den Sarg, drehte sich um und rief laut: Ich war standhaft im Leben und werde standhaft sterben. Ich sterbe aber unschuldig. In diesem Moment fiel er tot mit 12 Kugeln aus Zündnadelgewehren durchbohrt neben den Sarg nieder ... Der Hinübergegangene hat ein Mädle mit 2 Kindern hinterlassen, welche hier wohnen sollen. Kurz nach der Erschießung wollen die Schwestern Kromers das Grab schmücken. Sie werden von preußischen Soldaten festgenommen und einem Bericht der Frankfurter Zeitung zufolge auf das entblößte Sitzfleisch gezüchtigt [Rödl98].

 

 

Baden: Schlaf mein Kind, schlaf leis'

 

Preußische Soldaten verhöhnen die Fahne der Revolutionäre als Schwarz-Rot-Mostrich und benehmen sich wie Besatzer. Heinrich Schreiber erinnert sich: Neue Einzüge und Durchmärsche folgten Tag für Tag; die Last der Einquartierung wurde umso drückender, als die Gäste selbst solche nicht selten durch ihr Betragen erschwerten. Sie schienen es nämlich, wenigstens einem großen Teile nach vergessen zu haben, daß sie auch in Baden auf deutsche Brüder trafen, daß ihr eigenes Berlin die Fahne der Revolution geschwungen und daß die Zurückweisung der deutschen Kaiserkrone durch ihren eigenen König zur allgemeinen Zerrüttung beigetragen hatte. Sie betrachteten im Gegenteile Baden nur als ein erobertes fremdes Land, in dem sie die Aufgabe hätten, überall Wühler aufzuspüren und zu verfolgen und auch den ruhigsten Bürger den vollen Jammer des Kriegszustandes fühlen zu lassen.

 

Ich war auf einem Spaziergange selbst Zeuge davon, wie ein Bannwart in einem Weinberge Preußen ersuchte, fremdes Eigentum zu schonen und einer der Angerufenen ihm darauf erwiderte: ,,Ihr badischen Hunde, wir haben euer Land erobert und können nehmen, was wir wollen!" Überhaupt dürften sich die Preußen, obgleich das Gegenteil in öffentlichen Blättern verkündet wurde, im allgemeinen im Badischen keineswegs beliebt und ihrerseits nicht viel dazu beigetragen haben, die angeerbte Abneigung des Süddeutschen gegen den Norddeutschen zu vermindern [Hunn41].

 

Bis Ende Oktober 1849 arbeiten in Baden preußische Militärtribunale und fällen mehr als 230 Urteile über die Aufständischen von standrechtlichen Erschießungen über Zuchthaus bis Gefängnis [Enge05].

 

Damals beklagt ein Badisches Wiegenlied die Schrecken der der preußischen Besatzung:

 

Schlaf mein Kind, schlaf leis,
Da draußen geht der Preuß,
Deinen Vater hat er umgebracht,
Deine Mutter hat er arm gemacht,
Und wer nicht schläft in guter Ruh,
Dem drückt der Preuß die Augen zu.

 

Schlaf mein Kind, schlaf leis,
Da draußen geht der Preuß,
Der Preuß hat eine blutige Hand,
Die streckt er über's badische Land.
Und alle müssen wir stille sein,
Als wie dein Vater unter'm Stein ...

 

Schlaf mein Kind schlaf leis,
draußen dort geht der Preuß
Gott aber weiß wie lang er geht,
bis daß die Freiheit aufersteht -
Und wo dein Vater liegt, mein Schatz,
da hat noch mancher Preuße Platz!
Schrei mein Kindlein schreis
dort draußen liegt der Preuß!

 

 

20. Oktober

 

Mannheim: Ich verlange als Kriegsgefangener angesehen und behandelt zu werden

 

Theodor Mögling wird am 20. Oktober in Mannheim vor einem preußischen Standgericht als Anstifter und Führer der Revolution angeklagt. Vor der Urteilverkündigung sagte der Angeklagte in seinem Schlusswort: Meine Herren, der Kampf hier in Süddeutschland hatte viel Ähnlichkeit mit dem in Norddeutschland, wir standen der großherzoglichen Regierung gegenüber wie die Schleswig-Holsteiner der dänischen. Ihr König hat die Schleswig-Holsteiner unterstützt, und zwar mit seinen Truppen. Wenn nun einer Ihrer Kameraden, der freiwillig am Kampf Anteil genommen, schwer verwundet in dänische Gewalt geraten, dort vor ein Kriegsgericht gestellt und wegen Hochverrats angeklagt würde, was würden Sie dazu sagen? Ich verlange als Kriegsgefangener angesehen und behandelt zu werden [Mögl09]. Nach kurzer Beratung fällt das Gericht folgendes Urteil: Das Standgericht hat mit allen gegen eine Stimme den Angeklagten Theodor Mögling von Brackenheim, von der Anklage auf Hochverrat freigesprochen, wegen ausgezeichneter Teilnahme am Kampfe aber zumTode verurteilt. Wegen seiner körperlichen Zustände empfiehlt es ihn dringend zur Begnadigung, da die Vollziehung des Urteiles ein zu grosses öffentliches Ärgernis geben würde [Mögl09]. Der Großherzog von Baden lässt schließlich Gnade vor Recht ergehen und wandelt die Todesstrafe in eine zehnjährige Zuchthausstrafe. Mögling empfindet diese Begnadigung als infamierend, doch gegen diese Entscheidung, so erfährt er, ist keine Protestation erlaubt.

 

Zivile Gerichte verurteilen weitere 1000 Bürger. Als Folge der Revolution wandern 80 000 Verfolgte etwa 6% der badischen Bevölkerung aus [Kapp06].

 

 

Die Niederwerfung des Badischen Aufstandes markiert zugleich das Ende der revolutionären bürgerlichen Freiheits- und Einheitsbestrebungen für lange Zeit und den Beginn der preußischen Hegemonie in Deutschland [Sieb99].

 

Großer Revolutionskehraus in Europa. Preußen säubert Baden von Aufständischen, die sich unter die Schweizer Mütze flüchten.

 

Epilog 1: Hoffman von Fallersleben, Autor des Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein! und  Verfasser des Liedes der Deutschen hatte bereits im April 1849 resigniert festgestellt:  

 

Sag wo ist, sag wo ist Vetter Michels Vaterland?
Wo Belagerungszustand ein Recht ist
Und das Volk ein gehorsamer Knecht ist.
Da ist, da ist Vetter Michels Vaterland!
Wo der Teufel mit Fürsten im Bunde steht
Und Einheit und Freiheit zu Grunde geht.
Und wo alles am End’ einerlei ist.
Wenn es nur nicht geg’n unsre Polizei ist
[Sont14a].

 

Epilog 2: Eine Revolution ist ein Unglück, aber ein noch größeres Unglück ist eine verunglückte Revolution, meint Heine und fügt noch hinzu:

 

Gelegt hat sich der starke Wind,
Und wieder stille wird's daheime;
Germania, das große Kind,
erfreut sich wieder seiner Weihnachtsbäume
[Hoyn14].

 

Epilog 3: Der Schweizer Gottfried Keller dichtet 1849 ein Totenlied auf die deutsche Revolution:

 

Ich sah des Sommers helle Glut
Empörtes Land durchziehn;
Sie stritten um das höchste Gut,
Geschlagen muss das freiste Blut
Aus hundert Wunden fliehn ...
Doch jene, die zur Sommerszeit
Der Freiheit nachgejagt,
Sie schwanden mit der Schwalbe weit,
Sie liegen im Friedhof eingeschneit,
Wo trüb der Nachtwind klagt.

 

Georg von Langsdorff als Pensionär in Freiburg

 

 

 

 

 

Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein

Preis: ½ Sgr.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Epilog 4: Georg Herwegh macht in seinem Gedicht Wohlgeboren die Haltung des satten Bürgertums für das Scheitern der Revolution verantwortlich:

 

So hab' ich's doch nach all den Jahren
Zu diesem Posten noch gebracht,
Und leider allzu oft erfahren,
Wer hier im Land das Geld vermacht.
Du sollst, verdammte Freiheit, mir
Die Ruhe fürder nicht gefährden!
Lisette! noch'n Gläschen Bier!
Ich will ein guter Bürger werden.

 

Auch ich sprach einst vom Vaterland
Und solchen sonderbaren Dingen,
Ich trug mein schwarzrotgolden Band
Und ließ die Sporen furchtbar klingen:
Doch selig, wer im Gleise geht
Und still im Joche zieht auf Erden –
Was hilft die Genialität?
Ich will ein guter Bürger werden.

 

Diogenes in seiner Tonne
Vortrefflich wie beneid' ich ihn.
Es war ja keine Julisonne,
[des Revolutionmonats]
Die jenen Glücklichen beschien.
Was wär' ihm eine ewige Republik,
Daß sich die die Leute toll gebärden!
Zum Teufel mit der Politik!
Ich will ein guter Bürger werden.

 

Gewiß, man tobt sich einmal aus –
Es wär ja um die Jugend schade –
Doch, führt man erst sein eigen Haus,
So werden Fünfe plötzlich grade.
In welcher Mühle man uns mahlt,
Das macht uns nimmer viel Beschwerden;
Der ist mein Herr, der mich bezahlt
Ich will ein guter Bürger werden.

 

Jedwedem Umtrieb bleib ich fern,
Der Henker mag das Volk beglücken!
Ein Orden ist ein eigner Stern,
Wer einen hat, der soll sich bücken.
Bück dich, mein Herz! bald fahren wir
Zur Residenz mit eignen Pferden;
Lisette, noch ein Gläschen Bier!
Ich will ein guter Bürger werden.

 

Epilog 5: Engels schreibt einen klassenkämpferischen Nachruf: Den mehr oder weniger gebildeten Opfern des badischen Aufstandes sind von allen Seiten in der Presse, in den demokratischen Vereinen, in Versen und in Prosa Denksteine gesetzt worden. Von den Hunderten und Tausenden von Arbeitern, die die Kämpfe ausgefochten, die auf den Schlachtfeldern gefallen, die in den Rastatter Kasematten lebendig verfault sind oder jetzt im Auslande allein von allen Flüchtlingen das Exil bis auf die Hefen des Elends durchzukosten haben - von denen spricht niemand. Die Exploitation der Arbeiter ist eine althergebrachte, zu gewohnte Sache, als daß unsre offiziellen "Demokraten" die Arbeiter für etwas andres ansehen sollten als für agitablen, exploitablen und exlosiblen Rohstoff, für pures Kanonenfutter [Enge60]

 

Epilog 6: Die Erhebung bleibt im Volke lebendig und taugt in der Erinnerung immerhin zu Moritaten. Besonders besungen wird der Heckerzug und Struves dilettantischer Versuch eines Aufrufs zur Republik als Struwwel-Putsch karikiert.

 

Epilog 7: Nach Heckers Abschied von der Alten Welt im September 1848 he was received in NewYork – with great celebration – as a revolutionary hero [Kurd10]

 

 

Ein dort angebrachter Text beschreibt den weiteren Werdegang des badischen Revolutionärs: ... his liberal views were in conflict with the existing regime. After leading an unsuccessful revolutionary force in 1848 he was forced to flee to Switzerland. He traveled in exile to England in 1851, and then to the United States one year later.

 

After settling in New York City in 1852, he taught in public and German schools, co-founded the German-American Institute, joined the Fifth New York Militia, and wrote for the New Yorker Staats-Zeitung, and the New York Times.

 

He moved to St. Louis in 1857 to teach at the German-American Institute. At the outset of the American Civil War, Sigel formed a regiment that helped to keep Missouri and the federal arsenal for the Union. Rising to the rank of major general in the Union Army, he fought in several decisive campaigns including Pea Ridge and the Second Battle of Bull Run. He is credited with encouraging many German-Americans to fight for the Union. Sigel returned to New York in 1867, first working in the transportation industry and them serving in various positions in local and federal government. He then resumed his career in journalism as the publisher of the New York Deutsches Volkblatt and editor of the New York Monthly. He died on August 22nd 1902.*

*... seine liberalen Ansichten standen in Widerspruch zum bestehenden Regime. Nachdem er Truppen der gescheiterten Revolution von 1848 befehligt hatte, musste er in die Schweiz fliehen. Im Jahre 1851 ging er nach England ins Exil und ein Jahr später in die Vereinigten Staaten.

Ab 1852 wohnte er in New York Stadt, unterrichtete an öffentlichen und deutschen Schulen, war Mitbegründer des Deutsch-Amerikanischen Instituts, wurde Mitglied der Fünften New Yorker Miliz und schrieb für die New Yorker Staats-Zeitung sowie für die New York Times.

Er zog 1857 nach St. Louis, um am Deutsch-Amerkanischen Institut zu unterrichten. Beim Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs stellte Sigel ein Regiment auf, welches half, dass Missouri und das Bundeszeughaus bei der Union blieben. Er nahm an verschiedenen entscheidenden Feldzügen wie Pea Ridge teil, kämpfte in der zweiten Schlacht von Bull Run und brachte es in der Unionsarmee zum Generalmajor. Indem er viele Deutschamerikaner zum Kampf für die Union ermunterte, machte er sich verdient. Sigel kehrte 1867 nach New York zurück, wo er zunächst in der Transportbranche arbeitete und später verschiedene Stellen in der lokalen Verwaltung und der Bundesregierung bekleidete. Anschließend nahm er seine journalistische Tätigkeit als Herausgeber des New York Deutsches Volksblatt und als Redakteur des New York Monthly wieder auf. Er starb am 22. August 1902.

 

Epilog 9: Ende 1849 lässt Friedrich Wilhelm IV. im Park des Schlosses Babelsberg ein Michaelsdenkmal errichten zum brüderlichen Dank für die Niederwerfung des Aufstandes in Baden. Der Erzengel tötet den Drachen der Revolution.

 

 

Epilog 10: Aus dem später von der Bevölkerung spöttisch genannten Münstergeneral Georg von Langsdorff wird in den Augen der Obrigkeit der steckbrieflich gesuchte und aufgewertete Generalissimus der Ausständigen gegen die Reichstruppen. Ihm gelingt die Flucht in die Schweiz [Rödl98]. Wie Hecker wandert er in die USA aus. Er schließt dort sein Medizinstudium als Zahnarzt ab und eröffnet eine Praxis. Im Jahre 1870 kehrt er nach Freiburg zurück, arbeitet hier weiter in seinem Beruf und ist daneben in der akademischen Ausbildung tätig. Er bleibt auch in dem von ihm mitbegründeten Turnverein von 1844 bis ins hohe Alter aktiv und stirbt 1921 mit 99 Jahren.

 

Epilog 11: In seinem Schweizer Exil wird Georg Herwegh der Bevollmächtigte des neu gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) in der Schweiz, der als Vorläuferorganisation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) gilt. Zur Gründung des ADAV schreibt der Dichter 1863 eine Hymne auf das revolutionäre Proletariat, welche sich unter dem Motto: You are many, they are few für 1/2 Silbergroschen verkauft und von der die Zeilen: Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will noch heute bekannt sind:

 

Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein

 

Bet' und arbeit'! ruft die Welt.
Bete kurz! denn Zeit ist Geld.
An der Thüre pocht die Noth -
Bete kurz! Denn Zeit ist Brot.

 

Und Du ackerst und Du säst,
Und Du nietest und Du nähst,
Und Du hämmerst und Du spinnst -
Sag' o Volk, was Du gewinnst!

 

Wirkst am Webstuhl Tag und Nacht,
Schürfst im Erz- und Kohlenschacht,
Füllst des Überflusses Horn,
Füllst es hoch mit Wein und Korn -

 

Doch wo ist Dein Mal bereit?
Doch wo ist Dein Feierkleid?
Doch wo ist Dein warmer Herd?
Doch wo ist Dein scharfes Schwert?

 

Alles ist Dein Werk! o sprich,
Alles, aber Nichts für Dich!
Und von Allem nur allein,
Die Du schmiedst, die Kette Dein!

 

Kette, die den Leib umstrickt,
Die dem Geist die Flügel knickt,
Die am Fuß des Kindes schon
Klirrt - o Volk, das ist Dein Lohn.

Was ihr hebt an's Sonnenlicht,
Schätze sind es für den Wicht;
Was ihr webt, es ist der Fluch
Für Euch selbst - in's bunte Tuch.

 

Was ihr baut, kein schützend Dach
Hat's für Euch und kein Gemach;
Was ihr kleidet und beschuht,
Tritt auf Euch voll Übermuth.

 

Menschenbienen, die Natur,
Gab sie Euch den Honig nur?
Seht die Drohnen um Euch her!
Habt ihr keinen Stachel mehr?

 

Mann der Arbeit aufgewacht!
Und erkenne Deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn Dein starker Arm es will.

 

Deiner Dränger Schaar erblaßt,
Wenn Du, müde Deiner Last,
In die Ecke lehnst den Pflug,
Wenn Du rufst: Es ist genug!

 

Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Noth der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Noth!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

*Veranstaltet von der Initiative zur Erinnerung an die Badische Revolution

 

 

 

Mausoleum der Familie Dortu auf dem alten Wiehre-Friedhof

 

 

 

Revolution von oben: Das 2. Reich

 

 

Zurück zur Restauration

 

 

 

 

Nachdem sich das Grab vor einigen Jahren in einem ungepflegten Zustand präsentierte, hat eine Bürgerinitiative Gedenkstätte Maximilian Dortu – Initiative zur Erinnerung an die Badische Revolution 1848/49 in Zusammenarbeit mit der Stadt und freiwilliger Arbeit von Auszubildenden im Jahr 2004 die Grabstätte von Maximilian Dortu wieder instand gesetzt und eine neue Gedenktafel für Dortu, Neff und Kromer gestiftet.

 

Blumengebinde mit Schleifen niedergelegt am Dortu-Mausoleum anlässlich der Gedenkfeier
am 31. Juli 2014 für die an dieser Stelle standrechtlich erschossenen Revolutionäre.

Von links: In Gedenken Gemeinde Rümmingen (Geburtsort von Friedrich Neff);
Initiative zur Erinnerung an die Badische Revolution 1848/49:
Sie kämpften für Freiheit und Demokratie: Maximilian Dortu, Friedrich Neff, Gebhard Kromer;
Der Oberbürgermeister der Stadt Freiburg i. Br.;
Die Potsdamer Delegation: Freiheit, Gleichheit Gerechtigkeit. Dem Potsdamer Revolutionär Max Dortu.

This page was last updated on 16 October, 2023